MEINE ERSTE SCHALLPLATTE 1957

Ein Schatz aus meiner Sammlung: meine erste Single 1957

Es waren schreckliche Zeiten für uns Jugendliche damals in den spießigen Nachkriegsjahren.
Unsere Eltern meinten, Alles was aus den USA kommt (außer den CARE-Paketen), ist Teufelswerk und verdirbt uns, die jugendliche Hoffnung Deutschlands. Im Radio (Fernsehen konnte sich Otto-Normalverbraucher nicht leisten) liefen so genannte „Schlager“ von Leuten, die von einer heilen Welt sangen, die es nicht mehr gab. Leute wie Lyss Assia, Werner Schneider, Freddy Quinn und Rudi Schuricke ließen die Milch sauer werden. Diese "Schlager"-Unmusik schlug uns Teenies voll auf die Ohren (Nomen est Omen) und wir flüchteten abends mit unserer „Philetta“, einem kleinen Radio, unter die Bettdecke, um „Urwaldmusik“ zu hören.

Da gab es auf Kurzwelle – total verpiepst und verstört – solche unglaublichen Fluchtmöglichkeiten wie „Radio Luxembourg“, BBC London oder die Piratensender „Veronica“, “Caroline“ und andere. Der Empfang war so miserabel, wie man es sich heute nicht mehr vorstellen kann. Aber da kamen Töne und Klänge, die uns tief ins Herz – oder besser in den Bauch -trafen. Unvorstellbare Klänge, die wir noch nie gehört hatten – nicht einmal in unseren Träumen. Von den Texten in Englisch verstanden wir kein Wort, weil unser Schul-„Denglisch“ nicht ausreichte, um diese verzerrten Kurzwellenklänge zu verstehen. Aber da kam ein Gefühl rüber, das wir alle aufsogen und das in unserem Körper widerhallte. Heute nennt man das Sex.

Doch eines Abends traf mich der Blitz. Plötzlich hörte ich auf meinem kleinen Kurzwellenempfänger unter der Bettdecke einen Klang von einem anderen Planeten. Kein Rock and Roll, keine amerikanische Schnulze, sondern etwas noch nie Erhörtes. Ein unglaublicher Klang, der mein akustisches Fassungsvermögen überstieg. Vor Aufregung verstand ich weder die Ansage des Titels noch des Interpreten. Doch die Melodie ging mir die ganze Nacht und den folgenden Tag nicht mehr aus dem Kopf. Ich war aufgeregt und süchtig. Mein Sparschwein musste (heimlich) dran glauben und ich stürmte in das beste Plattengeschäft der Stadt Marburg, das sich in der Bahnhofstraße befand.

Dort angekommen, wusste ich nicht, was ich sagen sollte, um klar zu machen, welche schwarze Scheibe es mir angetan hatte. Ich befürchtete begründeterweise, dass man weder meinen Musikwunsch erkennen, noch mangels internationaler Lagersubstanz, erfüllen konnte.
Die freundliche Verkäuferin, die mindestens 10 Jahre älter war als ich, war so geduldig und hilfsbereit, dass sie sich sogar meine hilflos gesummte Melodie anhörte. Und nach wenigen Takten meinte sie, dass sie mich verstanden hätte, griff ins Regal und zog eine kleine schwarze Scheibe in einem weiß/roten Umschlag heraus. Sie legte das schwarze Vinyl mit dem wunderschönen schwarz/silbernen Etikett auf den Plattenteller und ich hörte……
den Kurzwellentraum von gestern Abend:
Titel: Mama look at Bubu; Interpret: Harry Belafonte.
Meine Gefühle gingen mit mir durch und ich war kurz davor, der Dame einen Heiratsantrag zu machen – endlich eine Frau, die mich verstand – auch wenn ich nur summte: Waaaahnsinn!

Tja, und so wurde ich nicht nur zum Harry Belafonte-Fan, sondern auch zum hilflos ausgelieferten, hörigen Fan einer zehn Jahre älteren Schallplattenverkäuferin.

PS. Bei dem Titel handelt es sich um ein karibisches Volkslied „Mama looka booboo“, komponiert von Lord Melody, einem karibischen „King of Calypso“.
Hier eine kommerzielle TV-Version von Harry Belafonte mit Nat King Cole:
http://www.youtube.com/watch?v=F3vgaCNY-aI
die lange nicht an das Original heran reicht.

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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