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100 Jahre Deutsches Jugendherbergswerk

  • Das erste Gebäude der JH Marburg anno 1924
  • hochgeladen von Nicole Henshke

An einem Abend im August 1909 überraschte ein Gewitter den Lehrer Richard Schirrmann und seine Schulklasse während einer Wanderung. Zuflucht für die Nacht fanden sie in einer kleinen Dorfschule. Dieses Erlebnis brachte Richard Schirrmann auf die Idee, günstige und einfache Übernachtungsmöglichkeiten für Wandernde zu schaffen – Jugendherbergen.
Um die Jahrhundertwende entstanden im deutschen Reich große Wandervereine wie die „Wandervögel“ und die ersten Pfadfindergruppen. Eine naturnahe Lebensweise war besonders bei der Jugend in Mode. Das pädagogische Konzept der Herbergen traf den Nerv der Zeit: „Sie verstanden sich als Kämpfer für das Jugendwandern, den Naturschutz, für die Volksgesundheit und eine natürliche Lebensweise“, wie Benno Hafeneger, Professor für Erziehungswissenschaften an der Philipps Universität Marburg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für das DJH-Jubiläumsjahr, erklärt. Laut Hafeneger sollte durch das Wandern die Liebe zur Natur, das Erleben von Gemeinschaft sowie die „körperliche Ertüchtigung und seelische Gesundung der Jugend gefördert werden – ganz in der Tradition der deutschen Lebensreform- und bürgerlichen Jugendbewegung“.
Bereits 1912 gründete Schirrmann die erste Jugendherberge, bis 1928 entstanden mehr als 2100 Herbergen, die über vier Millionen Übernachtungen verzeichneten.
„Die meisten Jugendherbergen hatten in den Anfangsjahren kein eigenes Gebäude. In Marburg stellte das Realgymnasium ihren Dachboden für Wanderer zur Verfügung. Erst 1924 wurde das als Jugendherberge genutzte Haus auf dem Hirsefeld, dem Gelände des heutigen Universitätssportplatzes, eingeweiht“, weiß Peter Schmidt, Herbergsvater der Jugendherberge in Marburg. In anderen Städten wurden Burgen oder Scheunen als Übernachtungsmöglichkeiten genutzt.
Dass die Jugendherbergen nicht nur als günstige Übernachtungsmöglichkeit dienten, sondern auch erzieherischen Aufgaben nachkamen, erläutert Peter Schmidt: „In der Hausordnung war festgeschrieben, dass Abends die Zähne und die Füße geputzt werden müssen. Außerdem wurde sehr genau darauf geachtet, wie die Bettdecken zusammen gelegt wurde.“
Unter den Nationalsozialisten veränderte sich der ursprüngliche Gedanke hinter dem Herbergswesen. „Aus dem Wandern wurde Marschieren und Geländedienst, Drill und Disziplin als Bestandteil der Formierung der jungen Generation“, charakterisiert Benno Hafeneger das Konzept der Nationalsozialisten. Die Herbergen verwandelten sich in Schulungsstätten der Hitlerjugend.
Sämtliche Wandervereine wurden im Zuge der Gleichschaltung verboten und in die Hitlerjugend eingegliedert. Schirrmann und Wilhelm Münker, der Mitbegründer und Hauptgeschäftsführer des „Reichsverbandes für deutsche Jugendherbergen“, traten von ihren Ämtern zurück. Das zur Pflicht gewordene Marschieren wirkte sich auf die Freizeitgestaltung der Menschen aus: Freiwillig wanderte kaum noch jemand lange Strecken, die bis dahin beliebten Wandertage der Schulen wurden abgeschafft.
Das stellte auch Richard Schirrmann fest, der im Januar 1944 in einem Brief an Münker schrieb: „Die Hitler-Jugend hat das Jugendwandern nahezu restlos ausgerottet.“
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernahmen die Jugendherbergen neue Aufgaben. Häufig dienten die Häuser zunächst als Auffanglager für vertriebene oder obdachlos gewordene Menschen. Das kleine Gebäude der Jugendherberge Marburg war auf die große Zahl von Gästen nicht ausgelegt. „Der ersten Marburger Herbergsmutter – Margarete Koch – gelang es, bei der amerikanischen Armee Zelte zu organisieren. Wo heute die Jugendherberge steht, stand in den 50er Jahren ein Zeltplatz“, erklärt Peter Schmidt. 1956 wurde dann das neue Gebäude der Marburger Jugendherberge in der Jahnstraße eingeweiht.
Laut Benno Hafeneger übernahm das Deutsche Jugendherbergswerk nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle: „Wanderfahrten und internationalen Begegnungen, Austauschprogramme, internationalen Wiederaufbaucamps, europapolitischen Aktionen und der Jugendauslandstourismus hatten – als Beitrag zur Völkerverständigung, als Horizonterweiterung von Jugendlichen und Teilhabe an der Ferne – einen wichtigen Stellenwert in diesem Zeitraum.“
In den folgenden Jahren sah sich das Deutsche Herbergswerk mit einem großen Problem konfrontiert: Wandernde Gruppen wurden immer seltener, dafür nahm die Zahl der motorisierten Reisenden stetig zu. Die Herbergen nahmen jedoch nur Radfahrer und Wanderer auf, wer mit dem Motorrad oder Auto kam, erhielt keinen Platz. Zusätzlich stiegen in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der Anspruch der Gäste an die Unterkünfte. Die einfach eingerichteten Herbergen entsprachen nicht länger den Anforderungen ihrer Gäste.
Als in den 80er Jahren die Zahl der Übernachtungen massiv zurückging, begann innerhalb des DJH ein Umdenken: Familien und Individualreisende wurden als neue Zielgruppe entdeckt, das Angebot für Gruppen und Schulklassen ausgeweitet und die Häuser modernisiert. Auch die Jugendherberge Marburg wurde an die neuen Anforderungen angepasst: 1989 wurden die 8-Bettzimmer zu 6-Bettzimmern und die Schlafsäle zu Tagungsräumen umgebaut.
Heute bieten nahezu allen Herberge spezielle Angebote für Gruppen, Familien und Klassen. Programme zur Gewaltprävention, Berufsorientierung oder zum sozialen Lernen gehören heute ebenso zu den Leistungen der Herbergen wie eine große technische Ausrüstungen für Seminare.
Damals wie heute sind Jugendherbergen Orte, an denen Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenfinden. Mehr als 10 Millionen Übernachtungen verzeichnen die deutschen Jugendherbergen heute: An ihrer Attraktivität haben sie seit jener Gewitternacht 1909 nichts verloren.

  • Das erste Gebäude der JH Marburg anno 1924
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  • 120 zusätzliche Übernachtungsplätze wurden mit dem Zeltplatz geschaffen. (Foto von 1955)
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  • Die Marburger JH heute. Auf der rechten Bildseite standen in den 50er Jahren die Zelte.
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7 Kommentare

Daumen hoch!

Hallo Nicole,
schade das es hier keinen "Danke Button" gibt, sonst würde ich den jetzt drücken.
Ein schöner Artikel.
Mir fällt gerade wieder ein, wieviel Unsinn wir in den Herbergen getrieben haben.
Das waren immer schöne Zeiten und ich möchte nicht wissen, wieviele Tuben Zahnpaste auf einer durchnittlichen Herbergstürklinke zum Einsatz gekommen sind ;-)
Grüße
Michael

Klasse Beitrag zu einer mehr als nur sinnvollen Einrichtung. Bin seit Jahren Mitglied im Deutschen Jugendherbergswerk und finde dass Sie in den vielen Einrichtungen hervorragende Arbeit für das Gemeinwohl leisten.

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