Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Irkutsk – Zusammmenfassung einer 3-teiligen Veröffentlichung von Thomas Graf Grote, Irkutsk .

In den Jahren 1558-1583 zerschlug Ivan der Schreckliche den Livländischen Orden und befahl die Deportation von tausenden Bewohnern der eroberten Ländereien in die zentralen Gebiete des russischen Imperium, die Mehrzahl der Deportierten gehörten zur Evangelisch-Lutherischen Kirche.

1832 erläßt der Imperator Nikolai I. ein Dekret, nach dem die evangelisch-lutherische Kirche eine staatlich anerkannte, offizielle religiöse Einrichtung wird. Von diesem Moment an ist die Evangelisch-lutherische Kirche verstaatlicht.

Ende des 19 Jhd. besiedeln deutsche Kolonisten Gebiete in Südsibirien und Kasachstan.

Vom Beginn der Entstehung der ersten Gemeinden bis 1914 war die evangelisch-lutherische Kirche eine multinationale Kirche, die in ihren Gemeinden Letten, Esten, Litauer, Deutsche, Finnen, Schweden, Polen, Lybier, Armenier und natürlich auch zahlreiche Russen vereinte.

In der UdSSR

In der Sowjetzeit erduldete die Evangelisch-Lutherische Kirche vielerlei Verfolgung und Unterdrückung. Auf der einen Seite war die Sowjetmacht bemüht kirchliche Einrichtungen zu vernichten, zum anderen, als Besonderheit der Zeiten des II. Weltkrieges, wurden die Gemeindeglieder der Evangelisch-Lutherischen Kirche auf dem Gebiet der UdSSR aufgrund nationaler Äußerlichkeiten verfolgt, da die Mehrheit der Gemeindeglieder nicht russischer, sondern deutscher Nationalität waren.

Bis 1938 wurden alle Gotteshäuser auf dem Gebiet der UdSSR, die der Evangelisch-Lutherischen Kirche gehörten, geschlossen, alle uns bekannten Kirchendiener wurden entweder erschossen oder in Konzentrationslager oder die Arbeitsarmee gebracht. Das Weiterleben christlicher Gruppen fand nur im familiären Kreise und im Untergrund statt. In kleinen Gruppen, in den Lagern und Verbannungsorten versammelten sich die Menschen zum Bibellesen und Gebet. Dies waren dann die Gemeinschaften von „Brüdern“ und „Schwestern“,die über die Zeit von Verbannung und Zwangsumsiedlungen einige Bibeln, kirchliche Gesangbücher, sowie Predigtsammlungen von Karl Blühm, Brastberger und Hofacker aufbewahrten.

Ab 1964 entstehen erste Kontakte von dem Lutherischen Weltbund zu einigen „Brüdergemeinden“. 1976,77,78 kam es zu ersten offiziellen Besuchen des LWB einiger lutherischer Gemeinden auf dem Gebiet der UdSSR.

In der Russischen Föderation

Um 1980 beginnt der Prozess der Wiedergründung Evangelisch-Lutherischer Gemeinden auf dem Gebiet der UdSSR. 1992 wurden kirchliche Leitungsstrukturen, sowie eine administrative Gliederung in Eparchien und Propsteien geschaffen .

Von 1990 an gehört die „Evangelisch-Lutherische Kirche in Russland, der Ukraine, Kasachstan und Mittleren Asiens“ (Innerhalb der russischen Föderation bekannt als ELK, auf internationalen Niveau als ELKRAS) dem Lutherischen Weltbund an.

Ebenfalls ab 1992 hat sich parallel zur ELR eine eigenständige Evangelisch-Lutherische Kirche Ingermanlandes gebildet. Ein Großteil der zur ELKI gehörenden Gemeinden befindet sich auf dem Gebiet des heutigen Kareliens und im Umland von St.Petersburg. In diesem Gebiet hatten sich sich vor vielen Jahrhunderten zwei Volksgruppen, die Voten und die Ingrier, niedergelassen. Von der Bezeichnung der letzteren her stammt dann auch die Bezeichnung des Gebietes, welches sie besiedelten, Ingermanland oder Ingrien.

Zur ELKI gehören auch einige Gemeinden auf dem Gebiet Sibiriens, darunter auch die 1999 gegründete „St.Mariengemeinde“ in Irkutsk.

Zum heutigen Tage gilt die ELK als die offiziell anerkannte historische Kirche auf dem Territorium der Russischen Föderation. Zu ihr gehören 456 Gemeinden, die mehr als 20 tausend Gemeindeglieder unter sich vereinen.

Das erste Erscheinen von Lutheranern im Irkutsker Gebiet wird auf die Zeit der russisch-schwedischen Kriege unter Peter I. angesetzt. Schwedische Kriegsgefangene wurden nicht nur nach West, sondern auch nach Ostsibirien in Verbannung geschickt. Dabei kann davon ausgegangen werden, das im Jahr 1711 schwedische Gefangene die ersten Lutheraner in Irkutsk waren. Aus ungesicherter Quelle heißt es, dass Gottesdienste mit Abendmahl stattgefunden haben.

1826 bereits wird die erste Kirche, eine Holzkirche, gebaut. Sie lag im nord-westlichen Viertel der Stadt, am Ufer der Angara. Die Straße, an der sie lag, ist in die Geschichte mit dem Namen „Spaso-Lutheranskaya“ eingegangen. Heute heißt sie Surikova-Straße.

1879 kam es in Irkutsk zu einem gewaltigen Brand, der viele Gebäude und Dokumente vernichtete, die sonst den Weg in das wertvolle Archiv der Stadt gefunden hätten. So brannte auch die lutherische Holzkirche ab, von der es auch ansonsten keine Abbildungen mehr gibt.

Um 1880 wird mit dem Bau einer neuen Kirche – der „Kircha“ begonnen, diesmal als Steinbau. Das neue Grundstück war bereits vorhanden: an der Kreuzung von der Amurskoj und der Bolshoj Straße. Dieses zweite Kirchengebäude wurde von dem Architekten Rosen 1885 fertiggestellt und 1886 eingeweiht.

Von der Bedeutung des Gebäudes für die Menschen, die gegen ihren Willen nach Sibirien verbannt wurden, in das kalte und dünn besiedelte Gebiet ohne Zivilisation ohne die warmen Augen der Freunde und Verwandten, ist ein einmaliges Dokument erhalten. Es sind die Erinnerungen des 1915 in die Verbannung geschickten Pastors Schabert aus Riga:

„ [...] Wir waren mehrere Verbannte, denen jeglicher Aufenthalt verwehrt war. Wir näherten uns dem Verbannungsort, der Stadt Irkutsk. Für uns Westeuropäer eine schier endlose Reise mit dem Zug von 7 Tagen und 7 Nächten mit 12 Stunden Verspätung wegen schwieriger Verhältnisse. … Oh, Hauptstadt des Fernen Ostens des Russischen Imperiums…. Schlaglöcher von 4 Fuß Breite auf jeder Straßenseite, heruntergekommene Baracken und einetagige Blockhäuser….Und ganz unerwartet zwischen ihnen, auf der Kreuzung der Großen Straße und einer Seitenstraße, stand plötzlich die kleine evangelische Kirche aus ungebrannten Ziegeln mit ihren Glocken auf dem Turm! Auf der ganzen Strecke über 5000 Werst war dies die erste lutherische Kirche. Wie wohltuend eine vertraute Kirche in der Fremde anzutreffen. Mit Dankbarkeit dachten wir an die Menschen, die irgendwann mit Unterstützung der Hilfskasse und Spenden diese Kirche gebaut haben. Und wenn es ihre Aufgabe war die Aufmerksamkeit der Lutheraner zu wecken, so haben wir durch sie als Verbannte und Kriegsgefangene den ersten Gruß der Heimat bekommen […].

Thomas Graf Grote, Irkutsk

(mit Genehmigung aus: http://www.irkutsker-deutsche-zeitung.ru/

Bürgerreporter:in:

Gisela Görgens aus Quedlinburg

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