Leitkultur

Aufgebracht oder doch wenigstens in jüngster Zeit bekannt geworden ist dieses Wort aus den Kreisen der CDU/CSU in der deutlichen Absicht, die „christliche“ Kultur zu stärken. Also, es geht um Religion.
Da gibt es die Ein-Gott-Religionen, von denen ich nur die jüdische, christliche, moslemische wenigstens dem Namen nach nenne.
Historisch ist eindeutig, die jüdische ist die älteste, von der sich als Sekte das, was später „christlich“ genannt wurde, abgespalten hat. Ein paar Jahrhunderte später entsteht der Islam. Der Gründer des Islam kannte sowohl die jüdische als auch die damalige christliche Religion, und er war der einzige, der sofort seine Lehre selbst aufschrieb oder doch von einem Schreiber aufschreiben ließ.
Von den Juden kennen wir ihr (Geschichten- und Geschichts-)Buch als das „Alte Testament“ in unserer Bibel. Die Christen haben diesen Teil der jüdischen Überlieferung einfach mitgenommen, sich angeeignet.
Die christlichen Aufzeichnungen, das „Neue Testament“, sind ja erst später entstanden, gesammelt, ausgewählt worden. Das Neue Testament entstand in der Zeit um 150 bis 200 nach Christi Geburt. Und damit beginnt der Unterschied von Wissen und Glauben.
Das fängt bereits mit der Frage an: Hat Jesus Christus als historische Gestalt gelebt? Angeblich gebe es dafür nur christlich geprägte Überlieferungen, aber keine neutralen Zeugen.
Die Zeitangabe der Geburt ist in jedem Fall falsch, denn unsere Zeitrechnung kennt nur Zeiten (Jahre) vor oder nach Christi Geburt. Das Jahr 0 (Null) fehlt in unserer Zeitrechnung. In diesem fehlenden Jahr aber müsste er geboren worden sein. Das Geburtsjahr – ca. 5 bis 7 Jahre vor – wird indirekt abgeleitet: einerseits astronomisch aus einer bestimmten Stern-Planeten-Stellung und zum anderen aus einer angeordneten Volkszählung.
Inzwischen wurden Aufzeichnungen aus der Zeit vor unserer Zeitrechnung gefunden, in denen von bestimmten Wundertaten berichtet wird – nur diese gleichen Wunder schreibt die Bibel (Neues Testament) nun Christus zu. Diese Unterlagen werden zum Teil in einer Universität aufgehoben und sind damit der Wissenschaft zugänglich, zum anderen wurden sie von den Kirchen (vor allem der katholischen) aufgekauft und sind seitdem verschwunden.
Die existierenden christlichen Schriften in der Zusammenfassung des Neuen Testaments ist nur eine Auswahl, warum andere Schriften nicht aufgenommen wurden, ist offen. Auf jeden Fall ist diese Sammlung nicht vollständig.
Was dann geschah, ist weniger eine Frage der christlichen Religion als eine Frage der Kirche, zunächst wohl nur einer, dann in mehrere Hauptrichtungen aufgespalten und heute auch noch in viele Sekten zersplittert.
In unseren – staatlichen! – Schulen gibt es „Religionsunterricht“. Unterricht erteilen Vertreter der katholischen bzw. evangelischen Kirche und immer schön getrennt. Dieser so erteilte „christliche Religionsunterricht“ ist also in Wahrheit eine Kirchenlehre und keineswegs eine Lehre der christlichen Religion und schon gar nicht ein unabhängiger allgemeiner Religionssunterricht.
Nimmt man alles zusammen, dann gibt es bestenfalls eine kirchliche Tradition, niemals aber eine wirklich christliche Tradition und ein christliches Leitbild schon gar nicht.
Man kann auch sagen, unser angeblich so christliches Land folgt nur historischen Unwahrheiten, nicht bewiesenen Behauptungen und Erzählungen (Märchen), um nicht ganz krass von Lügen und Fälschungen zu sprechen. - Aber das ist eben genau der Unterschied von Glauben und Wissen. Und gegen Glauben kann nicht mit Wissenschaft argumentiert werden.
Ich habe hier nur eine – sehr unvollständige – Reihe von Stichpunkten genannt. Jeder, der es genau wissen will, sei auf die recht umfangreiche allgemein zugängliche Literatur verwiesen.
Alle drei Religionen behaupten, dass es nur einen Gott gäbe. Na gut, daraus folgt doch aber dann, dass alle drei auch an den gleichen Gott glauben – warum dann die Gegensätze?
Es heißt: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Also wir Menschen sind gottähnlich oder sogar gottgleich! Kein Wunder, dass wir uns so benehmen!
Es heißt: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Wenn es nur einen Gott gibt, wie kann ich dann andere Götter daneben haben? Aber schlimmer ist das andere: die in diesem Satz liegende Intoleranz. Und da wir ja so schrecklich gottgleich sind, sind wir auch so intolerant.
An dieser Stelle sollten wir mal an andere Religionen denken: was hatten die Germanen für Götter, was die Römer, was die Griechen! Allein die Vielzahl zwang zur Toleranz – auch nach den Geschlechtern, denn es gab ja männliche und weibliche Götter – nix von der männlichen Vorherrschaft.
Unsere Frauen kämpfen um ihre Gleichberechtigung. Ist die Ungleichbehandlung nicht auch nur eine Folge dieser einseitigen Religionsprägung? Warum treten nicht alle Frauen aus der Kirche aus? Wollen sie unbedingt unterdrückt werden?

Wie ist das nun mit dem Islam? Haben Sie schon mal den Koran gelesen? Ich ja. Die Ausgabe gibt es für wenige Euro in Deutsch. Eigentlich soll der Koran nicht übersetzt werden – und der Übersetzer meiner Ausgabe gibt unfreiwillig dafür gelegentlich ein Beispiel: er sagt, diese Textstelle könne er so oder ganz anders übersetzen. (Denken wir nur an das Kinderspiel Teekanne: gleiches Wort in unterschiedlicher Bedeutung.) Derartige Probleme kann man nur vermeiden, wenn keine Übersetzung zugelassen wird. Bleibt immer noch der Bedeutungswandel einzelner Wörter im Laufe der Zeit.
Sicher, vieles, was da im Koran steht, erscheint uns fremd, ungewohnt. Wie wird doch das Paradies beschrieben: Im Schatten unter grünen Bäumen mit klarem Wasser im plätscherndem Bach – in der Wüste ein Paradies, bei uns Alltäglichkeit. (Männer!) bedient von Jünglingen und ewigen Jungfrauen, zum Ausschänken der Getränke und anderem.
Aber von der Unterdrückung der Frau oder der Ermordung anders Gläubiger habe ich nichts gelesen. Auch im Islam fällt die Lehre der Religion und deren organisatorische Ausprägung auseinander.
Ich habe nicht den Eindruck, dass der Islam schlimmer sei, als das hier praktizierte Kirchentum, das fälschlich als Christentum bezeichnet wird.
CDU/CSU – christliche Leitkultur? Wer will das? Wollen wir Kindermissbrauch durch Kirchenvertreter? Wollen wir Wegnahme unehelicher Kinder? Sexualität nach Kirchenauffassung? Oder wollen wir die Hexenverfolgung und brennende Scheiterhaufen? Das alles ist (auch) „christliche Leitkultur“ - wollen wir das?

06.10.2010
Hermann Müller
Bentieröder Bruch 8
OT Bentierode
D-37547 Kreiensen

Bürgerreporter:in:

Hermann Müller aus Einbeck

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