Börwang – was uns der Name erzählt (zum Kulturförderprojekt :"Intelligente Landschaften")

Auferstehungsmythen. Michael Stöhr: Perchta, die alte Göttin

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.Die behütete Landschaft

Der Ort im Allgäu hat wie viele andere alemannische Gründungen die Nachsilbe –Wang (pl. Wangen). Hierunter verstand man eine von Wald, Schichtsteinmauern, Hecken oder Ähnlichem umgrenztes und damit definierbares Stückchen Land, meist zungenförmig in Hanglage, das sich zur Bepflanzung eignete.
Nur, was sich in der Nähe eines Dorfes für die landwirtschaftliche Nutzung als bearbeitungswert zeigte, wurde in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wahrnehmungs- und Vorstellungswelt mit einem Namen versehen (Land-schaft). Wald, Strauchwerk, Gebirge, Sumpfwiesen hatten dagegen einen beängstigenden Charakter ( engl. land-e-scape) oder wurden bestenfalls nur in der Gesamtheit als uninteressantes Ödland wahrgenommen.
„ Machet euch die Erde untertan, im Schweiße Eures Angesichtes , mit Eurer Hände Arbeit sollt Ihr das Land bestellen“, damit wird alle Natur, die man nicht verwerten oder gar ausbeuten kann, fast schon zum Gegner. Wilde Tiere, verstoßene Dorfgenossen, aussätzige Kranke, vogelfreie „Verbrecher“, gottloses Volk sind in eben jenem unkontrollierten Stück Natur, im Wald an zu treffen. Grund genug, davor Angst zu haben. Die wilden Tiere, Bären, Füchse und Wölfe drängen im Winter in Richtung Dorf und müssen im Frühjahr zu Beginn der Feldbestellung vor Allem zur Sicherheit der Kinder vom beackerten Land vertrieben werden. Böse Geister vertreibt man durch viel Lärm, Geschrei und christliches Glockengeläut am besten durch noch schrecklicher aussehende Gestalten. So machen es die Wolferer aus dem Bayerischen Wald…. sehen wir gerade hier auch die Börwanger Kläuse? Nein sicher nicht, die kommen ja gezähmt mit dem Nikolaus im Herbst… davon aber an anderer Stelle.
Oft erscheint in der Vorsilbe zu –Wang/Wangen eine Benennung, was auf diesem Stückchen Land gewachsen ist: Nessel-wang, Bins-wangen, Ebers(beer)-wang. Jetzt wäre es natürlich sehr einfach, wenn man damit ganz schnell auch die Vorsilbe Bör (Beere, Bären) erklären könnte. Aber nein: Bör (Börr) ist der Name eines germanischen Gottriesen, der vor der eigentlichen Schöpfung gelebt haben soll und wiederum Sohn eines männlichen Riesengeschöpfes Buri gewesen sein soll. Der oberste germanische Gott Odin soll aus seinem zerstückelten Körper die großen Formen der ganzen Welt zusammengesetzt haben.

Königsmord - das patriarchale Erfolgsmodell

Das erinnert ein wenig an die bekanntere Weltentstehungssage von Zeus, der seinen Vater Kronos (die ewige Zeit) gemeuchelt und zerstückelt hat, weil der Mythos den Kindern des Kronos vorausgesagt hatte, dass sie vom eigenen Vater verschlungen würden. Ebenso war es vorher schon dem genauso kinderfressenden Großvater Uranos (dem Himmelsgott) ergangen, den sein Sohn Kronos zerstückelt hat und ihm sein zur Reproduktion wichtigstes Körperteil abgeschnitten hatte. Sigmund Freud sah darin ein Zeichen für die Kastrationsangst und erklärt auch die Geschichte des Ödipus, der seinen Vater tötet , hieraus.
Ein zerstückelter , kastrierter und wieder zusammengesetzter Gott , erscheint auch schon vor der griechischen Göttermythologie, die wohl zwischen 1000 und 500 v. Chr. aufgeschrieben worden ist, erscheint schon mit Osiris, der vom jüngeren Bruder Seth getötet und mit all seinen Teilen über das ehedem unfruchtbare ägyptische Nilschwemmland verteilt wurde. Bis auf wertvolles Mannesglied findet die Schwestergattin Isis den Leichnam, setzt in zusammen und regiert als Fruchtbarkeits- und Erdgöttin zusammen mit dem wiedererweckten Gott über die Totenwelt, der selbst ja zwecks fehlender Manneskraft kaum mehr für die Fruchtbarkeit des Landes sorgen kann. Ein Gott, ein Heroe, der geschunden in die Unterwelt eingeht und wiederkehrt ist wiederholt wie bei Orpheus, Atis, Dionysos und wohl auch bei Christus Kernfigur eines Wiedergeburtskultes, einer mythischen Auferstehungsreligion.
Mythen entstehen aus dem Bedürfnis der Menschen sich scheinbar unerklärliche Naturerscheinungen verständlich zu machen oder um notwendige aber unangenehme Zwänge und Regeln im menschlichen Zusammenleben als in der Weltordnung fest verankert dar zu stellen. Mythen sind tiefschürfende Erzählungen, die in einer Zeit vor Erfindung der Schrift natürlich nur durch immerwährendes Weitererzählen erhalten blieben. Durch die freilich individuelle Sichtweise der Erzählenden verändern sich die Inhalte immer ein wenig, fremdes Kulturgut wird mit hinein genommen. Verständlicherweise übernehmen neue Religionen (wie das Christentum oder der Islam) Inhalte aus alten Geschichten, deuten sie evtl .um und bauen sie in die eigene Religionsvorstellung mit ein. Das gilt im Besonderen für die Mysterienkulte, die sich mit dem Wunsch nach Auferstehung nach dem Tod, nach jedem irgendwie verheißungsvollen Zweig in anderen Kulten strecken.
Bei vielen Kulten lässt sich regional zwar feststellen, wo in etwa sie zuerst stattfanden (Isiskult in Ägypten, Orphische Mysterien in den Rodopen im Süden Thrakiens, Dionysoskult in Mazedonien und Nordgriechenland, eleisinische Mysterien um Persephone und Demeter im Süden Griechenlands). Nicht genau feststellbar aber bleibt, welche exakten anderen Glaubensideen, von denen es ja ohnedies im großen Kulturtiegel rund um den fruchtbaren Halbmond eine große Menge bereits wiederum schon vorher gab, bei Ihrer Entstehung mitwirkten. Auffällig sind hier all die Ähnlichkeiten, die Wiederaufnahme von Teilen der Göttergeschichten und das Auftauchen von in anderen Mysterien bereits verehrten Heroen. Nur vage vermutet werden kann vor Beginn der schriftlichen Fixierung leider aber nur, welches wohl die Urform der Geschichte war.
Sicher gab es in der Zeit matriarchaler Ackerbauerinnen im fruchtbaren Halbmond eine örtlich bedingte gesellschaftliche Trennung zwischen den Frauen und den Männern. Aussähen, Ernten, Vorratshaltung und gerechte Verteilung von Erzeugnissen des Ackerbodens waren ortsansässig fest gebunden. Jagd- und Tierhaltung von kaum gezähmten Auerrindern waren an ausschwärmendes Nomadentum geknüpft. So sollte man davon ausgehen, dass beide Gruppen einander eher selten sahen. Der Großteil der jungen vielleicht auch schnelleren Männer sollte auf Tierfang gehen, die älteren noch kräftigen Männer die wilden Rinderherden bewachen, den Frauen oblag die Verwaltung der Lehmdörfer. Während bei der gemeinsamen Beratung kluger Frauen (hiervon zeugt z.B. ein Fund der Cucuteni-kultur mit einer kreisförmig sitzende Figurengruppe aus Peatr Neamt in Moldawien ) bereits demokratische Strukturen vorherrschen , war die gesellschaftliche Ausrichtung der jagenden Männergruppe idealerweise auf einen Anführer zu gepolt.
Hier bei der Jagd hatte die zwar insgesamt zusammen wirkende Gruppe nur Erfolg, wenn einer die schnellen Kommandos gab und mit Glück der Schnellste oder Stärkste das Tier zur Strecke brachte. Vergleicht man das vermutete Zusammenleben der neolithischen Jäger mit den späteren Pferdenomaden in Zentralasien (Kurganvölker, Botai, Skythen, Hunnen etc.) so spielen Wettkämpfe eine wichtige Rolle, um die besten Männer zu ermitteln. Die Frauen wurden hier bei den zentralasiatischen Nomaden bereits weit zurückgestuft und mussten mit Schafen, Ziegen, den abgebauten Zelten und dem restlichen „Besitz“ der Männer im Tross hinterher kommen. Der hochverehrte patriarchale Anführer der Gruppen dort wird als Einziger in einem weithin sichtbaren Erdhügel (Kurgan) bestattet.
Diese durch die unterschiedlichen Aufgaben bei den Ackerbaukulturen erklärbare örtliche Distanzierung von Männer und Frauengruppen brachte es mit sich, dass im Dorf der Frauen ansonsten nur Knaben und alte Männer zu finden waren. Während den in der Dorfverwaltung politisch verdienten älteren Frauen ein Begräbnis unter dem Fußboden der Wohnhäuser zustand – sie waren ja immer ein Teil des Dorfes und der Erdgöttin und der Göttin der Fruchtbarkeit lieb-, wurden nach wenigen Funden zu schließen die alten Männer am Rande, oder sogar außerhalb des Dorfes begraben. Sie waren Fremdkörper im Dorf der Erdgöttin.
Die große litauische Matriarchatsforscherin Marija Giambutas vermutet nun, dass die Männer in Fellkleidung der gehüteten oder gejagten Tiere (evtl.mit Tiermasken) nur zu Feierlichkeiten zurück zum Dorf durften. Da weder Knaben noch Greise für die Zeugung zur Verfügung standen und die Frauen wohl eher in Frühjahr und im Sommer wieder ganz für die schwere Feldarbeit zur Verfügung stehen mussten, war der Zeitpunkt für dieses Fest wohl im späten Frühjahr oder Sommer. Ist dieser Zeitpunkt in den späteren Fruchtbarkeitsfesten der Kelten, Alemannen, usw. (Beltane- Fest der freien Liebe im Mai zum Äquinoktium und Lugknagard - das Fest des Königs zum Mitsommertag) noch in Erinnerung?
Vermutet werden sollte, dass während der Festlichkeiten die Männliche Jugend durch Wettspiele und Tierkämpfe (besonders Stierspringen?) ihr Können zeigen durfte. Gerade der Geschicklichkeitstest im Umgang mit dem stärksten Stier der von den Männern gehüteten Herde ist in vielen späteren Kulturen (z.B.Catal Hüuk und Knossos) durch Wandbilder belegt. Sicher sehr gewagt, wenn auch mir selbst sehr einleuchtend, wäre eine These, die den Sinn dieser Kampfspiele darin sucht, den/die für die weibliche Dorfelite besten Zeugungspartner zu ermitteln. Der alte Zeugungspartner der Oberpriesterin wird durch den „Besten“ aus den Geschicklichkeitswettbewerben ersetzt und vollzieht mit ihr die „Heilige Hochzeit“ als Kultform. Es wird vermutet, dass der „alte König“ erdrosselt und sein Leichnam zerstückelt als symbolische Speise für die Erdgöttin auf den Feldern verstreut wird.
Am Ende der neolithischen Gesellschaft des Matriarchats drängen zu Beginn des 3.Jahrtausends v. chr. patriarchalische Reiter- bzw. Streitwagen-nomaden aus Zentralasien nach Süden, die durch Dürreperioden aus dem Norden verdrängt wurden. Gemäß gesellschaftlichem Vorbild nur eines obersten Anführers haben sie nur einen Gott, üblicherweise den Sonnengott, der durch Dürre bestrafend und mit Erleuchtunng belohnend tägliche Orientierung bietet. Die Kulturen der Ackerbauern werden erobert und beide Kulturen vermischen sich. Diese Strömungen erfolgen klimabedingt in Schüben bis zur letzten indogermanischen Wanderung um 1000 v.Chr. Der griechische Götterhimmel mit Zeus, wie auch der keltische und germanische Göttermythos ordnen die alten weiblichen Gottheiten in Hierarchie zum obersten Gottvater ein.
Trägt vielleicht das patriarchalische System immer noch die Urangst vom Austauschen des nicht mehr ganz so geschickten Gruppenleiters, den sogenannten Königsmord, in sich? Fühlen wir alternde Männer uns denn immer noch von unseren nach und damit hoch strebenden Söhnen bedroht? Weg mit diesem Ödipuskomplex, oder vielleicht sogar gleich ganz weg mit dem Patriarchat unserer auf Erfolg und Ellbogen gegründeten Gesellschaft! Ist der König tot ? Dann lebe endlich wieder das Miteinander- und Füreinander-denken des alten Matriarchats!

Bürgerreporter:in:

Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf

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