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Kölner Büdche(n) kommt nach Hannover

  • Hannover: Nebgenbude vor dem Gasthof "Zur Hofmeisterei" (direkt neben Goseriedebad), um 1914.
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In Köln wurden die ersten Trinkhallen, im Rheinland Büdchen genannt, 1891 durch den Tafelwasserfabrikanten Carl Nebgen auf den Kölner Ringen und an Ausfallstraßen erbaut, meldet der Kölner Stadtanzeiger online am 26. Juli 2007. Dagegen soll lt. Stadtlexikon Hannover, Carl Nebgen im Jahr 1891 rund 100 Trinkhallen übernommen haben, die von zwei amerikanischen Brüdern betrieben wurden. Es sind Einraum-Holzpavillons mit Verzierungen und Spitzdächern, die orientalisch anmuten. Verkauft wird Mineralwasser mit Kohlensäure in Glasflaschen, die der rührige Unternehmer in einer eigenen Trinkwasserfabrik abfüllen lässt.
Die sogenannte Kugelverschlussflasche, je nach Region, auch als Klicker- oder Knickerverschlussflasche bezeichnet, ist die historische Form einer Getränkeflasche, speziell für kohlesäurehaltige Getränke. Ihr besonderes Merkmal liegt darin, dass sie durch eine Glaskugel („Klicker") verschlossen wird, die durch den Druck der Kohlensäure unter einen Gummiring im Flaschenhals gepresst wird. Zum Öffnen der Flasche wird die Kugel mittels eines Fingers oder eines Stabes in den Flaschenhals gedrückt, wobei der Innendruck entweichen kann.
Damit die Kugel beim Entleeren oder Trinken aus der Flasche nicht in den Gummiring zurückrollt und so die Flasche wieder verschließt, gibt es im Flaschenhals zwei Vorsprünge, die die Kugel im Hals zurückhalten. Unterhalb des Flaschenhalses, im oberen Drittel der Flasche, existiert eine weitere Verjüngung, auf der die Kugel beim Abstellen der Flasche zu liegen kommt und diese wieder provisorisch verschließt. Gefüllt werden Kugelverschlussflaschen kopfüber unter Vakuum stehend, sodass die Kugel in den Gummiring fallen kann und die Flasche durch den größeren Innendruck verschlossen wird.
(siehe Bilderstrecke). Quelle: Wikipedia Kugelverschlussflasche.

Es gibt heute nur noch ganz wenige Flaschen, da die Kinder die Flasche nach dem Trinken zerdepperten um an die Glaskugel im Innern zu kommen.
Für ein Glas Mineralwasser musste man 5 Pfennig berappen.

Die Mineralwasserfabrik in Köln läuft wohl so gut, dass Nebgen beschließt seine Aktivitäten zu erweitern. Rund 10 Jahre später eröffnet er in Hannover eine weitere Mineralwasserfabrik und platziert Trinkhallen im Stadtgebiet. Leider sind die Standorte der ersten Trinkhallen kaum mehr zu ermitteln, da sie im hannoverschen Adressbuch nicht verzeichnet sind. Es existiert aber eine Ansichtskarte, entstanden um 1914, die eine Carl-Nebgen-Trinkhalle zeigt. Sie stand vor dem alten historischen Gasthaus mit Ausspann „Zur Hofmeisterei“, das 1629 erbaut wurde.
Die vollständige Ansicht wird im Kalender „Hannover gestern 2017“ zu sehen sein, der im Sommer 2016 erscheint und in vielen Buchhandlungen sowie im Internet zu beziehen sein wird. Man sieht auf dem Foto, dass die Hannoveraner Nebgen-Buden, im Gegensatz zu den Kölner Büdchen, verhältnismäßig schlicht gebaut sind.
Neben den Nebgen-Trinkhallen gibt es in Hannover zur Kaiserzeit noch zahlreiche andere Trinkhallen (Fotos).

Die Standorte der Mineralwasser-Fabriken, gelegentlich auch Trinkwasser-Anstalten genannt, sind im Adressbuch zu finden.
Um 1900 gibt es in Hannover ca. 25 Mineralwasser-Fabriken und diverse Mineralwasser-Handlungen. Es sind in der Regel keine großen Fabriken, also ein Komplex mit mehreren Gebäuden und großen Fertigungshallen, sondern Räumlichkeiten mit einer Abfüllanlage im Parterre oder Keller eines Hauses, oft im Hinterhaus, oder in einem schuppenähnlichen Gebäude.
Die Getränkeflaschen wurden zunächst mit einem Pferdegespann oder Handwagen ausgeliefert, später auch per Automobil (LKW). Leider kann dies bildlich nicht belegt werden.

Erste bekannte Adresse einer Carl Nebgen–Mineralwasserfabrik mit Trinkhallenbetrieb ist das Haus Engelbosteler Damm 114a (Hinterhaus). Im Branchenteil des hannoverschen Adressbuches ist zu lesen:
Carl Nebgen, Mineralwasserfabrik, Trinkhallenbesitzer, vormals P. J. Happ, H. Pleners Nachfolger, Engelbosteler Damm 114a, p. (Parterre), F:514.
Bereit ein gutes Jahr später verlagert Carl Nebgen seinen Betrieb zum Klagesmarkt in das Hinterhaus Klagesmarkt Nr. 10. Die Betriebsführung übernimmt der Kaufmann Johann Nebgen (Sohn des Gründers?). Im Gegensatz zu Carl Nebgen wohnt Johann N. in Hannover, zunächst Klagesmarkt 11, dann im Vorderhaus Klagesmarkt 10. Im Jahr 1914 verliert sich seine Spur. Wurde er Soldat? Sein weiteres Schicksal konnte nicht ermittelt werden. Der Betrieb wechselt noch vor Kriegsausbruch in die Spichernstraße 33, Hinterhaus, Parterre. Die Mineralwasserfabrik nennt sich jetzt Seltersfabrik.

Nach dem 1. Weltkrieg bleibt die Fabrik trotz eines vorübergehenden Produktionsstillstandes (wegen Inflationsturbolenzen?) zunächst noch in der Spichernstraße 33 ansässig.
Um 1928 verlegt Nebgen die Firma, die sich wieder als "Mineralwasserfabrik und Trinkhallenbetrieb" ausgibt, in Hannovers Nordstadt, unweit der ersten Produktionsstätte. Sie firmiert jetzt für eine längere Zeit, es sollten über 30 Jahre werden, unter der Adresse Im Moore 31/32.

Vermutlich wurde die Geschäftsführung der Niederlassung Hannover zwischen den Weltkriegen von Köln aus gesteuert, da ein Mitglied der Familie Nebgen im hannoverschen Adressbuch nicht erwähnt wird. Möglich ist aber auch, dass in Hannover ein familienfremder Geschäftsführer die Geschicke der Firma leitete. Neben Mineralwasser mit Kohlensäure füllt man auch Glasflaschen mit Tafelwasser und/oder Limonade ab.

Nach dem 2. Weltkrieg startet Carl Nebgen sehr schnell wieder mit der Produktion. Geschäftsführer wird der Gründer-Enkel Carl- Günther Nebgen. Dieser bezieht zunächst mit seiner Mutter Margarethe (Witwe von Johann Nebgen?) eine Wohnung in der Vahrenwalder Straße56 G. Die Fabrik bleibt noch bis Ende der 1950-er Jahre am alten Vorkriegsstandort.

In den 1950-er und 1960-er Jahren nimmt die Anzahl der Nebgen-Buden sehr stark zu, in der Spitze sind es rund 80 Kioske. Das Sortiment wird erheblich ausgeweitet. Neben Getränken gibt es jetzt auch Süßwarenartikel, Tabakerzeugnisse, Zeitschriften und weitere Artikel des täglichen Bedarfs zu kaufen. Den stärksten Umsatz machen die Kioske nach Ladenschluss der Lebensmittelgeschäfte und an Sonn-und Feiertagen, hatten sie doch an diesen Tagen bis Mitternacht geöffnet.

Der Berichterstatter kann sich noch gut an eine Nebgen-Bude in der List, Ferdinand-Wallbrecht-Straße, erinnern. Sein gesamtes Schüler-Taschengeld ging für Sinalco (…die Sinalco macht’s…), Nappa und Kaugummi mit Fußball-Sammelbildern drauf.

Auch der Lindener Horst Bohne erinnert sich an eine Nebgenbude in Linden-Nord
http://www.lebensraum-linden.de/internet/page.php?...
"Der dritte Anlaufpunkt ist die 'Nebgenbude' auf dem kleinen Platz, an dem sich Fössestraße, Rodenstraße, Viktoriastraße und Nieschlagstraße treffen. In diesem Kiosk gibt es für wenige Pfennige 'Brause' in kleinen Flaschen mit einem Glaskugelverschluss, auch Lakritzstangen und Nougat sowie auch die kleinen Salmiakpastillen. Diese kann man so schön sternförmig mit Spucke auf den Handrücken kleben und dann genussvoll langsam ablecken.“

1957/1958 verlagert Nebgen die Fabrik aus Kapazitätsgründen in die List, Mengendamm 12. Jetzt steht ein erheblich größeres Areal zur Verfügung. Die Produktionsanlagen werden dem gestiegenen Bedarf angepasst. Kein Vergleich mehr zu den Anfangsjahren.
Auch der Geschäftsführer Carl-Günther Nebgen sucht sich eine neue Wohnung in der Nähe, Walderseestraße 46, (Malerviertel).
Im Jahr 1969 kommt ein mehrstöckiger, sehr repräsentativer Büroneubau am Standort Mengendamm 12 hinzu.

Nach Jahren des großen Erfolges schmälern die neu entstandenen Discounter den Gewinn. Vielleicht expandierte man auch zu stark und zu schnell. Der Betrieb geriet in eine finanzielle Schieflage. So kam, was schlussendlich nicht zu vermeiden war:
1979 meldet Nebgen Konkurs an. Die Kioske bleiben noch bis zum Tod des Geschäftsführers Carl-Günther Nebgen im Jahr 1987 erhalten. Dann war auch für sie Schluss.

Noch einmal zurück nach Köln, dorthin, wo alles angefangen hat.
Am 25. Mai 1999 ging die Muttergesellschaft Carl Nebgen GmbH u. Co Kg Köln, eingetragen HRA 1174, in Liquidation.

Quelle: Stadtlexikon Hannover, 2009, Seite 464, Schlütersche Verlagsgesellschaft

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  • Hannover: Trinkhalle, nicht Nebgen, Simonsplatz, um 1903.
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  • Hannover: Taxi vor einer Nebgenbude, um 1938. Foto: Dierk Schäfer
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  • Adolfstraße, um 1907, "Trinkbude" des 93-jährigen Fritz Eilert.
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  • Trinkhalle, nicht Nebgen, vor der Garnisonkirche, Humboldtstraße, um 1905.
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  • Werbeanzeige aus "Amtliches Telefonbuch für den Reichspostdirektionsbezirk Hannover", 1934.
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  • Glaskugelflasche Carl Nebgen, Vorderseite Foto: Knickerflasche.de
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  • Glaskugelflasche Carl Nebgen, Rückseite. Foto: Knickerflasche.de
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  • Hannover: Nebgenbude, nahe am Klagesmarkt, 1959/60. I
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  • Ehemalige Nebgenbude, Badenstedter Straße 19, Hannover-Linden, 26.3.2016. Foto: Jürgen Wessel
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17 Kommentare

Eine wunderbare Recherche zu einem Alltagsthema, das nie in einem Geschichtsbuch auftauchen würde. Deshalb herzlichen Dank an Bernd Sperlich für diesen Beitrag! Beim Stichwort "Nebgenbude" klingelt es ja so ziemlich bei jedem von uns, aber so "rund" kannte unsereiner die Geschichte denn doch noch nicht.
Eine Anekdote kann ich noch beitragen. Ein ehem. Mitspieler in unserer Frezeitfußballmannschaft, im Zivilberuf Richter, wusste von etlichen Verhandlungen vor Gericht zu erzählen, wo es z.B. um Delikte wie Einbruchdiebstahl ging. Viele dieser Taten wurden "mit dickem Kopf", also unter Alkoholeinfluss begangen, was nicht selten dazu führte, dass die Täter auf frischer Tat ertappt wurden. Wenn dann so ein Duo vor Gericht schildern sollte, wie es eigentlich zu dem Einbruch gekommen ist, lautet die Overtüre häufig so (oder so ähnlich): "Wir standen an der Nebgenbude, mein Kumpel und ich, und tranken Bier. Da sagte mein Kumpel ..."

">Da sagte mein Kumpel ..."< "Die Bude macht jetzt dicht, wo kriegen wir noch Sprit her, Fiete? Vielleicht bei Erna? Und dann..." Danke, Michael Jürging, für die mit köstliche Anekdote.

Vielen Dank für diesen informativen Beitrag :-)

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