Das Neue Rathaus in Hannover und die Panoramafreiheit

Das Neue Rathaus in Hannover.
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  • hochgeladen von Jens Schade

Die Veröffentlichung dieses Fotos hätte bis 1990 durchaus juristische Konsequenzen haben können. Weshalb? Nun, das Neue Rathaus in Hannover ist sicherlich kein Null-Acht-Fünfzehn-Bauwerk. Seine äußere Gestaltung hat vielmehr künstlerisches Gehalt und stellt damit ein urheberrechtlich geschütztes Werk des Architekten dar. Der Architekt des hannoverschen Tempels der kommunalen Selbstverwaltung, Hermann Eggert, verstarb aber erst am 12. März 1920.

Ein Foto von einem Bauwerk wie es das Neue Rathaus darstellt, ist rechtlich gesehen eine Kopie eben jenes Werkes. Und das Recht, Kopien eines künstlerischen Werkes herzustellen, ist nach dem deutschen Urheberrecht allein dem Urheber vorbehalten. Ohne die Einwilligung des Künstlers – hier des Architekten bzw. dessen Erben – geht es also jedenfalls erst einmal nicht. Es sei denn, der Künstler ist schon eine beträchliche Zeit verstorben.

Die Gesetzeslage der Bundesrepublik Deutschland schützt die Urheberrechte eines Künstlers nur bis 70 Jahre nach seinem Tod. Dies ist in § 64 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz - UrhG) so geregelt.

Nun wird der eine oder andere Leser vielleicht einwenden „Und was ist mit der Panoramafreiheit?“. Da liegt der Hase im Pfeffer! Verlässt man sich auf den reinen Wortlaut des Gesetzes, hätte es auch vor 1990 kein Problem mit der ungefragten Publizierung des Bildes vom Neuen Rathauses gegeben. Doch die Richter vom Bundesgerichtshofe (BGH) legten das Gesetz dann doch lieber anders aus.

Doch erst einmal der Reihe nach.

Was besagt eigentlich die Panoramafreiheit? Die einschlägige Vorschrift des § 59 Abs. 1 UrhG regelt: „zulässig ist, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Graphik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Bei Bauwerken erstrecken sich diese Befugnisse nur auf die äußere Ansicht.“

Also doch kein Problem? Das Neue Rathaus steht ja – wie es das Gesetz formuliert – bleibend an einem öffentlichen Platz.

Mit dieser Rechtsansicht wäre man bei unseren Nachbarn in der Bundesrepublik Österreich durchaus auf der Siegerseite bei einem Rechtsstreit. Denn in Österreich werden die Regelungen zur Panoramafreiheit ganz in Sinne des Wortlauts des Gesetzes ausgelegt. Man darf dort Gebäude fotografieren, die an einer öffentlichen Straße oder einem Platz stehen. Punktum. Nun hat zwar Bismarck Österreich aus Deutschland hinausgeworfen, die Gesetzeslage ist dort aber im Prinzip gleich. § 54 Abs. 1 des österreichischen Bundesgesetzes über das Urheberrecht lautet auszugsweise: „Es ist zulässig, … Werke der Baukunst … die dazu angefertigt wurden, sich bleibend an einem öffentlichen Ort zu befinden, zu vervielfältigen, zu verbreiten, durch optische Einrichtungen öffentlich vorzuführen und durch Rundfunk zu senden und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“

Auch in der Bundesrepublik Deutschland haben durchaus sachkundige Juristen die entsprechende gesetzliche Regelung in § 59 UrhG genauso wie ihre Kollegen in Wien § 54 der dortigen Regelung so ausgelegt, dass es ausreicht, wenn sich das abgelichtete Bauwerk an einer öffentlichen Straße (oder eben Platz) befindet.

So formulierten die Richter des Oberlandesgerichts München in ihrem Beschluss vom 16. Juni 2005 (Az. 6 U 5629/99) meines Erachtens durchaus zutreffend: „Ein Gebäude z. B. auf einem öffentlichen Platz, wird nur hinsichtlich seiner "äußeren Ansicht" vervielfältigt, wenn es von allen Seiten, auch von oben aus der Luft, fotografiert wird. "Werke, die sich im Freien befinden" (Fromm/Nordemann, 8. Auflage, § 59, Rn. 2) sind in der Tat nicht in § 59 UrhG angesprochen. Auch der innere Sinngehalt von § 59 UrhG spricht für die Interpretation des Senats in mehrfacher Hinsicht: Während das Lichtbild und der Film einer naturgetreuen Wiedergabe verhaftet sind, kann die Malerei oder Grafik sich davon lösen. Letztere Kunstrichtungen können die Perspektive völlig aufheben, verfremden oder aus einem frei gewählten Punkt darstellen. Die diversen Wiedergabearten in § 59 UrhG sind aber gleichwertig. Es wäre also widersinnig, dem Maler und Grafiker einen Wiedergabewinkel zu gestatten, der dem Fotografen verboten wäre. Ein Haus an einer öffentlichen Straße ist von einem öffentlich zugänglichen Turm aus sichtbar, den es möglicherweise zunächst nicht gegeben hat.“

Eigentlich überzeugend. Doch nicht für das höchste Zivilgericht in Deutschland. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob die Entscheidung auf. Für ihn stand der Schutz des Eigentums (zu denen auch Urheberrechte gehören) offenbar mehr im Vordergrund als die Freiheit von Fotografen. Über den Wortlaut hinaus wurde  § 59 Abs. 1 UrhG so eingeschränkt, dass auch der Fotograf selbst bei der Aufnahme auf der öffentlichen Straße stehen muss (BGH, Urt. v. 5. Juni 2003 – I ZR 192/00 –).

Und deshalb durfte man das hier abgebildete Foto – ohne Ärger mit den Erben des Herrn Eggert zu bekommen – auch erst nach 1990 aufnehmen und veröffentlichen. Denn das Bild entstand ersichtlich nicht vom Straßenniveau aus. Übrigens: Das Foto ist zwar in der Bildbearbeitung etwas auf nostalgisch getrimmt worden, es handelt sich aber tatsächlich auch noch um eine Aufnahme auf Schwarzweißfilm aus meiner "analogen" Zeit.

Bürgerreporter:in:

Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld

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