Sportliches Miteinander ist ganz schön kompliziert

Als ich das Foto im Katalog des Sporthauses entdeckte, wusste ich sofort: Inlineskates muss ich auch haben! Unbedingt. In Gedanken sah ich mich schon lautlos und elegant durch unser Stadtviertel gleiten.
Welche Schuhgröße mein Sohn denn habe, wollte der smarte Verkäufer im Sportgeschäft wissen. Ich lächelte souverän und deutete auf die hochhackigen Sandalen an meinen Füßen. Dem kurzen Zucken seiner Lachmuskeln folgten ein wohlgefälliges Nicken und die Feststellung "Siebenunddreißig".
Erste peinliche Rollversuche im Mittelgang des Geschäftes verfolgte er mit einem aufmunternden "Sie werden das bald raus haben, das sehe ich schon!".
Mein Selbstbewusstsein schlug einen Purzelbaum.
Ein frisch geteerter Radweg am Stadtrand wurde zum Versuchsgelände bestimmt und das Outfit der Verhältnismäßigkeit meines Könnens angepasst: Knie-, Ellbogen und Handgelenkschutz in Leuchtfarben über einem in dezentem Schwarz gehaltenen Strechover.
Wie ich nun so mit weit vorgestreckten Armen die ersten Meter ungebremst daherruderte, musste ich wohl eine auffallende Ähnlichkeit mit einem bei Film-Dreharbeiten entwichenen Horror-Zombi gehabt haben, denn warum sonst hätten ausgewachsene Männer fluchtartig den Weg verlassen und Hunde knurrend den Schwanz eingezogen?
Abgesehen von einem starken Ziehen in den Schienbeinen empfand ich die viertelstündige Premiere als vollen Erfolg.
Klammheimlich meldete ich mich daraufhin bei einer Skaterschule an und wurde unterrichtet, wie man sich auf Knie/Ellbogen und dann Handgelenke fallen lässt, Schlangenlinien fährt und bremst. Nach anschließendem, eingehendem Parkplatz-Training blieben Hunde spazieren führende Herren bald wie angewurzelt stehen, manch einer lächelte mir anerkennend zu.
Bald sehnte ich mich nach größerem Auslauf, und so mischte ich mich unter das Skater-Völkchen. Ein bestimmter Radweg an der Isar war inzwischen zu einer Skater-Autobahn avanciert: unvermeidbare Begegnungskonflikte zwischen Skatern und irritierten Radlern versuchten die Beteiligten in der nächsten Gartenwirtschaft lautstark auszudiskutieren.

Die rasenden Rennradler zeigten sich besonders genervt. An den lästigen, aber gerade noch tolerierten Fußgängern hatten sie bisher immer noch im letzten Moment vorbeikurven können, doch bei den Haken schlagenden und ausholenden Flitzern, die oft auch noch im Doppel rollten, waren sie zur ständigen Bremsbereitschaft verdammt. "Scho wieda so a Bleeder" zischten wütende Radler den fröhlich ihren Geschwindigkeitsrausch auswedelnden Skatern zu.

Seit kurzem rolle ich schmalspurig, habe die Nase nicht mehr am Boden und kann mich bei Bedarf mit einem Sprung in die Wiese retten. Ich freue mich, nicht mehr als Zauberlehrling gescheucht, sondern als berechenbare Mitsportlerin angesehen zu werden. Nachdem auch die Gäste der Gartenwirtschaft, in die ich spritzig zur Pause einrolle, bei meinem Anblick davon absehen, hektisch die Stühle zur Seite zu reißen, ist mein Wohlgefühl perfekt.
Gestern Abend hörte ich meinen halfpipeerfahrenen, bremsenlos und akrobatisch skatenden Sohn zu seiner noch etwas ängstlich auf den Rollen stehenden Freundin sagen: "Hey Lisa, neben meiner Mutter würdest du ganz schön alt aussehen!"

Das schöne Wetter macht es möglich - morgen werde ich meine schnellen Stiefel ungeniert sichtbar geschultert, das Haus verlassen und in einer ruhigen Nebenstraße meine erste Pirouette probieren...

Bürgerreporter:in:

Ilka Franz aus München

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