Belohnung für alle treuen Bürgerinnen und Bürger

Belohnung für alle treuen Bürgerinnen und Bürger

aus der Reihe
Neues aus Narrenberge
von
Margaretha Main

Vorgestern erhielten alle Narrenbergerinnen und Narrenberger eine Einladung. Es wurde mitgeteilt, dass es eine Bürgerpflicht sei, sich vor dem Rathaus zu versammeln. Natürlich war ich dabei. So ein Großereignis konnte ich mir schlecht entgehen lassen.

Um Punkt fünfzehn Uhr wurde die Tür zum Rathausbalkon geöffnet. Zwei schwarzuniformierte Männer traten ins Freie und wurden mit lautem Beifall begrüßt. Als wenige Sekunden später Herr Dr. Einrenk – man hatte ihm zwischenzeitlich die Ehrendoktorwürde der Stadt Apfelmusimkopfingen verliehen – nach draußen trat, wurde der Applaus zum Orkan.
Im ersten Moment hatte ich ihn gar nicht erkannt, da er ganzkörpervermummt war. Sein Gesicht war hinter einer Plastikmaske verborgen, so dass ich nur die mir wohl bekannten Züge erahnen konnte.
Nachdem er sich nach allen Seiten hin verbeugt hatte, hob er die Arme und das Volk verstummte.

„Liebe Narrenbergerinnen und Narrenberger!“
Seine Stimme hörte sich ein wenig blechern an.

Wieder brandete Applaus auf und wieder breitete er die Arme aus.

„Ich habe euch hierhergebeten, um euch noch einmal ganz herzlich zu danken. Das Fleißpunkte-System ist unglaublich gut angenommen worden. Omma Wichitg hat gestern Abend gegen zweiundzwanzig Uhr die Tausend-Punkte-Marke übersprungen. Obwohl sie nur eine Trefferquote von drei Prozent erreichte, bleiben doch genügend Fleißpunkte übrig, um hier den Vogel abzuschießen.
Omma Wichtig! Vielen Dank für deine Mühe!“

Erneut brandet Applaus auf.

„Obendrein laufen inzwischen über neunzig Prozent der Hochrisikobetroffenen mit entsprechenden Blumen herum. Dafür auf diesem Wege herzlichen Dank!“

Applaus.

„Mir wurde vor ein paar Tagen klar, dass so viel Solidarität belohnt werden muss. Deshalb habe ich beschlossen, dass alte Regeln abgeschafft, also alte Zöpfe abgeschnitten werden müssen.
Ab jetzt dürfen alle Narrenbergerinnen und Narrenberger dreimal im Monat zur Krebsvorsorge gehen, also alle zehn Tage testen lassen, ob sich irgendwelche Krebse oder Vorstufen davon im Körper eingenistet haben. Das Mamamobil wird hiermit abgeschafft. Entsprechende Räumlichkeiten werden hier direkt im Rathaus eingerichtet. Ich werde mich persönlich mehrmals am Tag davon überzeugen, dass sowohl Unterleibs- als auch Brustuntersuchungen gewissenhaft durchgeführt werden. Auch die allseits beliebten Darm- und Magenspiegelungen werde ich persönlich überwachen.“

Die letzten Worte gehen in grenzenlosem Jubel unter. Dr. Einrenk muss minutenlang die Arme ausbreiten, um sich Gehör verschaffen zu können.

„Amputationen der Brüste, Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken, Prostata-OPs, Kniegelenks-, Hüft- und Bandscheiden-Operationen können ab sofort und ohne Zweitmeinung durchgeführt werden.“

Der Jubel ist unbeschreiblich.

„Auch im Hinblick auf Medikamente habe ich einiges geändert. Jede Narrenbergerin und jeder Narrenberger hat ab jetzt ein Anrecht auf mindestens fünfzehn Medikamente. Ich habe die hiesigen Apotheker angewiesen, entsprechende Vorräte anzulegen. Dieser Bitte wurde entsprochen und ihr könnt sofort eure Medikamente abholen – natürlich kostenfrei.“

Jubel.

„Ich habe letzte Woche mit dem Baumarktbetreiber gesprochen. Ihr könnt euch dort einen Handwagen mit ausklappbarem Kofferaufsatz abholen, um eure Medikamente jederzeit mit euch führen zu können. Vier verschiedene Farben stehen zur Verfügung. Auch bei Regen gibt es kein Problem, da eine wasserdichte Pelerine im Preis von nur 998,- Euro bereits enthalten ist.“

Minutenlanger Jubel. Ohrenbetäubender Applaus.

Plötzlich gibt Dr. Einrenk einen Wink und dreihundert schwarzgekleidete Männer mit langen Stöcken und Schilden treten aus dem Rathaus hervor. Die Menge weicht erschrocken zurück.

„Nein, nein, ihr müsst euch nicht fürchten. Diese Männer sind auf eurer Seite. Mein Freund Pluto hat sie mir zur Verfügung gestellt. Sie werden in Zukunft für Recht und Ordnung sorgen. Ihr könnt euch ab jetzt direkt an sie wenden, wenn ihr Unregelmäßigkeiten im Hinblick auf die Kontaktsperre feststellt. Sie sind ermächtigt, sofort Maßnahmen zu ergreifen. Auch Fleißpunkte könnt ihr bei den Herren sofort beantragen.
Häusliche Gewalt und Übergriffe auf Kinder sind allerdings weiterhin der Polizei zu melden. Wir müssen uns hier ja nicht verzetteln und Wichtiges mit Unwichtigem vermengen.“

Brutale Erleichterung macht sich breit und erneut brandet Applaus auf.

„Obendrein habe ich noch ein Bonbon für euch. Ich habe den Konferenzraum im Rathaus zum Untersuchungszimmer umbauen lassen. Alle Frauen, die sofort an einer Mammographie teilnehmen wollen, bekommen einen Gutschein über zehn Euro für das Nagel- oder Tatoo-Studio ihres Herzens. Alle Männer, die sich sofort einer Prostata-Untersuchung unterziehen wollen, bekommen den neusten Kalender von Ati Muse mit dem Thema „volle Brüste“.“

Und erneut bricht großer Jubel aus. Während etliche Frauen sich Blusen, Pullover und BHs vom Körper reißen und auf den Rathauseingang zustürmen, sind die Zuschauer völlig aus dem Häuschen.
„Einrenk! Einrenk! Einrenk!“, tönt es aus tausenden Kehlen.
Einrenk nimmt lächelnd zur Kenntnis, dass ein Meer wogender Brüste auf ihn zustürmt und unter ihm im Rathaus verschwindet.
Auch etliche Männer öffnen schon während des Rennens ihre Hosen, um keine Zeit zu verlieren. Wer möchte schon gern eine schmackhafte Enddarmuntersuchung verpassen und sich einen der begehrten Kalender durch die Lappen gehen lassen?

„Danke, Danke, Danke, meine lieben Freunde! Alle, die heute nicht mehr an die Reihe kommen, können sich als kleines Trostpflaster ein großes Röhrchen Schmerztabletten unten am Empfang abholen. Das geht auf mich!“

Erst nach über einer Stunde des Jubels zerstreut sich die Menge. Selbst nach Stunden hört man in ganz Narrenberge noch Sprechchöre. „Einrenk! Einrenk! Einrenk!“

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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