Skandal im Naumburger Rathaus: unser Oberbürgermeister wird bespitzelt!

4. Februar 2011
Markt, 06618 Naumburg (Saale)

Oder wie würden Sie es bezeichnen, wenn ständig so einer (siehe Bild) von oben auf Sie herabblickt?

Nun ist ein Oberbürgermeister sicher so manches gewöhnt, seine Wähler beobachten ständig, ob er ihren Erwartungen entspricht, der Stadtrat, ob er die gefassten Beschlüsse auch richtig umsetzt. Und nun auch noch die permanente Beobachtung von oben, sobald er im Sitzungszimmer 104 seinen Platz einnimmt!

Wie ein Oberbürgermeister das aushält, machte mich neugierig. Ich fand heraus, dass schon seit mehr als 355 Jahren seine Amtskollegen in derselben Situation waren. Doch immer der Reihe nach:

Beim großen Stadtbrand von 1517 brannte unser Rathaus bis auf die Grundmauern nieder. Der Wiederaufbau, bei dem das Haus in etwa das heutige Aussehen erhielt, dauerte bis 1528. Doch auch danach fanden immer noch An- und Umbauten statt. So wurden u. a. 1556 die Fürstenstube, die Gerichtslaube und der neue Wendelstein gebaut sowie 1594 der Eingang zum Rathaus in der Herrenstraße.

Von 1608 bis 1612 wurde ein umfassender Innenausbau vorgenommen und das neue Spätrenaissance -Hauptportal errichtet. Im Fürsten- oder Magistratszimmer, dem heutigen Sitzungszimmer 104, kann man am Pfeiler zwischen dem mittleren und rechten Fenster deutlich die Jahreszahl 1609 und die Buchstaben C S (Baumeister Conrad Steiner) sehen. 1655 brachte der Erfurter Hans Nicole Pabst hier eine Stuckdecke an und kassierte dafür, wie aus alten Ratsrechnungen ersichtlich, 15 Thaler.

Ruth Cypionka beschreibt in einem Beitrag über die Naumburger Stuckdecken des 17. und 18. Jahrhunderts diese Decke wie folgt: „Das Ornament ist in seinem Formenreichtum unübersichtlich“, die „Formgebung insgesamt gleichförmig und ausdruckslos“, „erst bei genauerer Betrachtung lassen sich die geflügelten Engelsköpfe mit Perlenkette und die unterschiedlichen Vogelgestalten innerhalb des rankenden Blumenwerks erkennen“.

Es ist also ein Engelskopf, der sich genau über dem Stuhl unseres Oberbürgermeisters befindet und ihn fortwährend beobachtet. Zum Glück ist der Kopf aus Gips und kann somit, solange er oben bleibt, keinen Schaden anrichten.

Also gibt es gar keinen Skandal?
Doch: es ist skandalös, dass ich den Engel für einen Spitzel gehalten habe!

Bürgerreporter:in:

Gerd Henschel aus Naumburg (Saale)

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