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Die Idee von Christine Krauskopf hat inzwischen bundesweit Schule gemacht: Die Kulturloge Lahn-Dill ermöglicht Menschen mit kleinem Budget die Teilhabe am kulturellen Leben

  • Gähnende Leere, so wie hier, herrscht in den Musentempeln in der Regel nicht. Aber oft bleiben Plätze unbesetzt. Viele Veranstalter stellen der Kulturloge dann Gratistickets zur Verfügung, die diese dann an Interessierte, die sich Eintrittskarten nicht leisten können, weiter reicht.
  • Foto: Stephan Drewianka
  • hochgeladen von Jürgen Heimann

Herborn-Seelbach (jh) So schnell kann’s gehen. Eben noch ein gut dotierter Job, und von jetzt auf gleich auf der Straße, dem Highway der Hoffnungslosigkeit. Arbeitslos, ausweglos, perspektivlos. Kurs Hartz IV. Die sozialen Kontakte brechen weg, die Kohle auch. Trübe Aussichten. Millionen Menschen in Deutschland teilen dieses Schicksal – und sind mehr und mehr von einer Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ausgeschlossen. Kultur? Ja, Kultur! Man soll es nicht glauben, aber ungezählt viele Betroffene aus dem Teufelskreis der Armut würden ja gerne, können aber nicht, können es sich einfach nicht (mehr) leisten. Im früheren Leben war der Besuch eines Konzerts, einer Theateraufführung oder eines Musicals locker und mit links zu bezahlen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Das Budget ist schwindsüchtig. Da tut jeder Cent weniger in der Börse weh. Also, Sinfonie hin, Komödie her, so etwas gibt die Haushaltskasse nicht mehr her. Bleiben Arte oder 3SAT. Es muss ja nicht gerade RTL 2 sein.
Das ist bzw. war das Ausgangsszenario, aus dem heraus eine Idee geboren wurde, die inzwischen bundesweit Schule gemacht hat: die der Kulturlogen. Solche gibt es inzwischen in allen größeren Städten, aber auch in den nicht ganz so großen. In Gießen beispielsweise, der der ehemalige Uni-Präsident Heinz Bauer vorsteht, aber auch im Lahn-Dill-Kreis. Das Prinzip funktioniert folgendermaßen: Mit Unterstützung der „Tafeln“, die Lebensmittel an Bedürftige weiter geben, oder anderer sozialer Einrichtung und Organisationen erstellen die Betreiber eine Kartei mit potentiellen Gästen, kontaktieren diese und fragen nach deren kulturellen Präferenzen (und natürlich Telefonnummern). Parallel dazu gilt es, Veranstaltern und Anbietern Freikarten aus den Rippen zu leiern. Liegen entsprechende Ticketzusagen vor und gibt es Interessensübereinstimmungen, genügt oft ein Anruf, um beides zusammen zu bringen.
„Erfunden“ wurde dieses System in Marburg. Dort hatte die heute in Herbornseelbach wohnende Journalistin Christine Krauskopf zusammen mit einer ehemaligen Mitstreiterin 2008 die bundesweit erste „Kulturloge“ aus der Taufe gehoben. In Folge und nach ihrem Umzug stand sie natürlich in der ersten Reihe, als dieser Gedanke im Lahn-Dill-Kreis umgesetzt wurde. Eine zahlenmäßig kleine, aber äußerst rege Gruppe, an deren Spitze heute der Wetzlarer Karlu Kreuzberg steht. Deren Klientelliste umfasst rund 500 Namen.

„Wer arm ist kocht im eigenen Saft“

Was sie zu ihrer Initiative veranlasst habe? Welche Beweggründe gab es? Christine Krauskopf: „Damals war ich als Redakteurin tätig und habe einen Bericht über Armut in Marburg geschrieben. Wer arm ist, kocht im eigenen Saft, wer arm ist, bleibt unter sich, sagte mir damals die Leiterin der der Obdachloseneinrichtung. Das hat mich tief erschüttert“. Als Kulturredakteurin habe sie auch feststellen müssen, dass bei vielen Veranstaltungen oft Plätze frei blieben. Und so führte eines zum anderen.
Im Falle einer erfolgreichen Vermittlung geben die „Logisten“ die Personalien der Interessenten an die Veranstalter durch, die die Billets dann auf deren Namen hinterlegen. Der Gast bekommt so seine Karten, ohne sich irgendwie als bedürftig outen zu müssen. In der Regel werden zwei Tickets pro Anfrage vergeben. Zum einen deshalb, weil es langweilig ist, alleine in ein Konzert zu gehen, zum anderen, weil man/frau sich, falls kein fahrbarer Untersatz vorhanden ist, jemanden mit Auto einladen kann.

Breit gestreutes Angebot

Thematisch ist das Angebot der hiesigen Kulturloge und das ihrer Partner breit gestreut und Genre übergreifend. Klassik, Rock-Pop, Theater, Comedy, Kino oder Sport, da werden viele Bereiche der kulturellen und gesellschaftlichen Szene abgedeckt. „Der Aufwand ist zwar hoch, doch es lohnt sich“, sagt die Seelbacherin. Ziel sei es aber nicht, so viele Eintrittsscheine wie möglich an den Mann oder die Frau zu bringen, sondern solche an die Richtigen. Dazu gehöre auch, das Miteinander-ins-Gespräch-Kommen. „Viele unserer Gäste haben sonst kaum Ansprechpartner und schütten mir und meinen Kollegen erst einmal ihr Herz aus“. Es sei mitunter erschreckend, auf welche Weise zum Teil hochgebildete Menschen in Hartz IV abgerutscht wären. Da tun sich Abgründe auf. Manchmal nehme sie auch Betroffene zu Veranstaltungen mit, um sich anzuhören, was sie bedrücke.

Initiative findet große Akzeptanz

Die Zusammenarbeit mit den Veranstaltern ist sehr gut, sowohl im Nord-, als auch im Südkreis. Ob Herborner Kulturscheune, Burbacher Heimhoftheater, die Städte Herborn oder Dillenburg, der Kulturkreis Eschenburg-Dietzhölztal, das Wetzlarer Franzis, die „Bunte Katze“, das Kellertheater oder die Rittal-Arena, die grundsätzlich zwei Karten für jede hier stattfindende Veranstaltung spendiert, sie alle unterstützen und fördern die gute Sache. Andere Anbieter wiederum zieren sich und lassen sich sehr lange bitten. Da heißt es Klinken putzen, Überzeugungsarbeit leisten, akquirieren. Mitunter werden die als Bittsteller für andere agierenden Logenmitglieder auch recht herablassend behandelt, oder blitzen gleich völlig ab. Aber das ist die Ausnahme. Selbst Tournee-Veranstalter, die gar nicht in der Region verwurzelt sind, zeigen sich oft erstaunlich aufgeschlossen und freizügig. Hinzu kommen zahlreiche Vereine, die zu Jubiläen oder Kirmesveranstaltungen einladen.
Aber seien wir doch mal ehrlich: Weh tut es doch wirklich keinem, zwei Freitickets für die gute Sache über den Tisch wandern zu lassen. Oft genug sind die Veranstaltungen ja auch gar nicht ausverkauft. Kulturförderung und soziales Engagement verzahnen sich auf diese Weise und fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das allein sollte es Politik und Administration gelegen sein lassen, diese Initiative stärker zu fördern, als das bisher der Fall ist. Der Lahn-Dill-Kreis und die Stadt Wetzlar unterstützen die Organisation bereits finanziell, aber es flossen auch Gelder über die von der Zeitungsgruppe Lahn-Dill organisierte Aktion „Helft uns helfen“.

Ein klassisches Win-Win

Die Universität Hildesheim hat 2011 im Rahmen einer Untersuchung am Beispiel der Kulturloge Berlin Erstaunliches herausgefunden: Mehr als die Hälfte der befragten Gäste, die vorher mit Kulturellem gar nix am Hut hatten, gehen mit der Loge nun regelmäßig in Theater, Kabarett, Konzerte oder Museen. Und es ist davon auszugehen, dass sie diese Gepflogenheit auch beibehalten, wenn es ihnen finanziell wieder besser geht und sie nicht mehr auf Sponsoring angewiesen sind. Insofern sind Kulturlogen auch ein wirksames und sehr niedrigschwelliges Instrument, um neue gesellschaftliche Gruppen für die Kultur zu gewinnen. Anders formuliert: Die Initiative spricht nicht nur Menschen jenseits von Bildungs- und Altersgrenzen an, sondern begeistert auch ein bisher wenig kulturaffines Publikum für den Besuch entsprechender Veranstaltungen. Um solches zu erreichen, daran haben sich schon ganz andere Institutionen und Organisationen mit den üppigsten Budgets im Rücken die Zähne ausgebissen. Aber hier funktioniert es. Das ist klassisches Win-Win.
Weitere Informationen über die Arbeit und Ziele der gemeinnützige Organisation hier: www.kulturloge-lahn-dill.de Sie ist Mitglied in einem bundesweit verzahnten Netzwerk, das unter www.kulturlogen-deutschland.de zu erreichen ist.

  • Gähnende Leere, so wie hier, herrscht in den Musentempeln in der Regel nicht. Aber oft bleiben Plätze unbesetzt. Viele Veranstalter stellen der Kulturloge dann Gratistickets zur Verfügung, die diese dann an Interessierte, die sich Eintrittskarten nicht leisten können, weiter reicht.
  • Foto: Stephan Drewianka
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  • Die Journalistin Christine Krauskopf aus Herbornseelbach hatte 2008 in Marburg die bundesweit erste Kulturloge aus der Taufe gehoben. Die Idee hat inzwischen in ganz Deutschland Schule gemacht.
  • Foto: Privat
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  • Auch im LDK-Land gibt es inzwischen eine Kulturloge, die sowohl den Nord-, als auch den Südkreis abdeckt. Eine kleine, aber äußerst rege Gruppe. Im Internet zu finden unter www.kulturloge-lahn-dill.de
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3 Kommentare

Die Marburger Kulturloge findet man hier:
http://www.kulturloge-marburg.de/
und den Bundesverband Deutsche Kulturloge e.V. hier:
http://www.kulturloge.de/

Nichts gegen das Engagement! Aber...

Erst müssen alle Steuerzahler - also auch die Ärmsten - für ein paar Kultureinrichtungen fette Subventionen zahlen (m.W. über 6 Mrd. jährlich) - womit man primär die betuchten Nutzer bezuschusst - und dann sollen sich ein paar der Ärmsten ein paar Freikarten erbetteln, aber auch nur falls solche gnädigerweise mal anfallen?!

Irgendwie schräg... :(

> "Lieber würde ich auf eine Scheibe Brot verzichten. Aber nicht auf Bücher und Bildung."

Geht ja nicht um Bildung, sondern um "Kultur" (s.o. Musical, Theater, etc.).

Und wie Barbara schon meinte, werden Arme ggf. sogar auf Bildung verzichten.

Auf Kultur an sich aber wohl kaum, denn Musik hören ja Arme auch, manche häkeln oder basteln nicht unbedingt Nötiges, manche malen oder sie hängen sich Heimat- oder Engelbilder an die Wand, usw. Irgendwie sind wir ja alle Kulturschaffende oder zumindest -nutzende/-konsumierende ;)

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