Purifizierung oder lebendige Geschichte?

23. Januar 2011
22:15 Uhr
Pfarrhaus, 06648 Eckartsberga
Anker-Steinbaukasten-Kirche, die mein Sohn gebaut hat
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Besonders wenn es um Kirchen geht, lässt sich die ahistorische Sichtweise mancher Denkmalschützer klar erkennen. Jüngstes Beispiel ist die Äußerung, dass die „Purifizierung“ der Klosterkirche zu Schulpforte im Jahr 1958 eine begrüßenswerte Rückumwandlung des Kircheninneren in einen mittelalterlichen Raum gewesen sei. (Danke an das NTB, dass Sie diesen erheblichen Missgriff nicht unkommentiert gelassen haben!)
Was hier „Purifizierung“ heißt, war in Wirklichkeit ein Akt schlimmster Barbarei – mit Recht verglichen mit der Sprengung der Paulinerkirche in Leipzig und anderen Verbrechen des DDR-Regimes. Dies auch nur in irgendeiner Weise gutzuheißen, zeugt von unentschuldbarer Blauäugigkeit.
Und es zeugt – über diese spezielle geschichtliche Epoche hinaus auch von völlig unhistorischem Denken. Kirchengebäude sind als Teil einer lebendigen Kirche und Gemeinde keine einmal erschaffenen Kunstwerke, sondern lebendige Zeichen dessen, wie die Bewohner eines Ortes oder einer Region denken und fühlen. Sie werden allererst dadurch zu Denkmalen, dass Kirchengemeinden sie erbauen und im Laufe der Jahre immer wieder umbauen und erneuern. Die allermeisten Kirchengebäude wären ohne diesen fortwährenden Prozess überhaupt nicht mehr vorhanden. Im Lauf meines Lebens habe ich Kirchen in allen Stadien der Blüte und des Verfalls gesehen – es geht erstaunlich schnell, dass eine Kirche vom Abriss bedroht ist, wenn sich nicht fortlaufend Menschen um ihre Erhaltung kümmern.
Kirchengebäude sind, wenn man so will, lebendige Organismen und keine statischen Kunstwerke. Sie sind Denkmale, die gerade dadurch zum Denkmal werden, dass und indem sie sich wandeln. Und sie sind Zeugnisse der Menschen, die sie erbauen und bewahren. Da mag es sein, dass sich das ästhetische Empfinden von Landleuten nicht immer mit dem eines Kunsthistorikers deckt. Aber letztlich nutzen ja auch die Kirchengemeinden ihre Kirche, und nicht irgendwelche Denkmalpfleger. Also muss eine Kirche vorrangig den Kirchengemeinden gefallen.
Überdies – und ganz davon abgesehen – ist das Mittelalter keineswegs eine Zeit von farblosem Stein, sondern von intensiver farblicher Ausgestaltung gewesen. Insofern ist die Klosterkirche zu Schulpforte in ihrer heutigen Gestalt keineswegs ein mittelalterlicher Raum. Auch dies ist eine denkbar unhistorische Sichtweise.
Alles in allem wird es also keinem Kirchenraum gerecht, wenn er laut Denkmalpflege künstlich in nur einer Zeitepoche gehalten werden soll. Wenn also Denkmalpflege vorschreibt, dass eine Kirche in einer bestimmten Farbfassung, Außen- oder Raumgestaltung gehalten werden muss, wird dies dem Wesen von Kirchengebäuden keineswegs gerecht. Es spricht ja nichts dagegen, die Spuren der verschiedenen Gestaltungen zu erhalten und für künftige Generationen zu bewahren (wie beispielsweise Farbreste an Wänden oder Emporen etc., indem man sie mit Japanpapier abdeckt). Aber nur ihre getreue Wiedergabe als denkmalgerecht gelten zu lassen, geht an der Art und Weise, wie Kirchen über Jahrhunderte hinweg erneuert und gepflegt worden sind, meilenweit vorbei. Damit wird eine Historizität vorgegaukelt, die es so nie gegeben hat.
Vor allem dann ist eine solche Herangehensweise höchst bedenklich, wenn aus solcherart puristischen Sichtweisen dann Auswüchse an denkmalrechtlichen Forderungen erwachsen, die den weiteren Erhalt des Gebäudes in Frage stellen: Zum Beispiel, dass an eine Kirche keine Dachrinne angebaut werden dürfe, weil sie ja nie eine gehabt hätte etc..
So kann ich nur hoffen, dass sich die Denkmalpflege in Zukunft stärker auf historische Entwicklungen besinnt, anstatt an einer pseudohistorischen und letzten Endes barbarischen „Purifizierung“ festzuhalten.

Anker-Steinbaukasten-Kirche, die mein Sohn gebaut hat
und so wird sie im Spiel lebendig genutzt, ohne darauf zu achten, ob alles einheitlich ist oder nicht
Bürgerreporter:in:

Bettina Plötner-Walter aus Eckartsberga

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