Giacometti in Duisburg

Ab dem 31. Januar 2010 präsentiert das Lehmbruck - Museum eine Ausstellung zum Werk des Bildhauers Alberto Giacomett (1901 - 1966). Mit Unterstützung der Fondation Alberto et Annette Giacometti, Paris, dem wissenschaftlichen und organisatorischen Partner des Museums, werden rund 120 Werke und Fotographien als Leihgaben internationaler Museen und der Privatsammler in Duisburg vereint. Jede der Hauptleihgaben ist nahezu unverzichtbarer Baustein der Ausstellung rund um die Figur "Frau auf dem Wagen", die erstmals als Schlüsselwerk der figurativen Neuorientierung des Bildhauers gewürdigt wird. Gezeigt werden über 30 Skulpturen, ebenso viele Gemälde und Grafiken, mehr als 40 Fotographien sowie Dokumente und Archivmaterial.

Die Ausstellung konzentriert sich auf die Entstehung und das Umfeld einer singulären Figur, die im Mittelpunkt der Ausstellung steht. Die 153,5 cm hohe "Figur auf dem Wagen" entstand um 1945 im Atelier des Bildhauers, der während des Krieges in Genf und Maloja arbeitet. Sie ist die einzige Gipsskulptur von Alberto Giacometti in einem deutschen Museum und konnte 1986 dank finanzieller Hilfe der Peter-Klöckner-Stiftung für das Lehmbruck-Museum erworben werden. In Duisburg werden nun erstmals die vier existierenden Fassungen der "Femme au chariot" gemeinsam ausgestellt. Der Duisburger Erstfassung werden zwei Gipsfiguren und ein Bronzeguss aus dem Jahre 1964 zur Seite gestellt. Die bewegte Oberflächenbeschaffenheit des Duisburger "Originals" veranschaulicht die Handschrift und Arbeitsweise Giacomettis bis ins Detail. Die Bemalung des Gesichts, die Zeichnung von Brauen, Augen und Mund verleihen der Figur einen hoheitsvollen Ausdruck und die Wirkung von Nähe und Distanz zugleich.

Schon 2007 konnte die "Frau aus dem Wegen" von Veronique Wiesinger als die englische Malerin und Künstlermuse Isabel Nicholas (1912 - 1992) identifiziert werden. Die erste Begegnung zwischen Isabel Nicholas und Alberto Giacometti wird auf das Jahr 1931 datiert. Ab dem folgenden Jahr saß sie ihm Modell - "Tete d`Isabel" ist ein Beispiel hierfür. Die in London aufgewachsene Künstlerin, die ab 1930 an der Royal Academy of Arts studierte, kam 1934 nach Paris, wo sie enge Kontakte u. a. zu den surrealistischen Künstlern pflegte. Sie selbst gab sich den Künstlernamen Isabel Lambert. Francis Bacon malte sie später als Isabel Rawthorne.

Die vier Fassungen der "Frau auf dem Wagen" bilden das Herzstück der Ausstellung. Um sie herum erschließen sich in Sichtachsen im linken und rechten Ausstellungsbereich jeweils eine Bronzeplastik. Die hier gezeigten Werke treten in Dialog zum Ausstellungsthema. An der Rückwand des Ausstellungsraumes wird das Fragment eines Gemäldes zum Motiv der "Frau auf dem Wagen" gezeigt. Giacometti trug es zwischen 1943 und 1945 auf die hölzerne Rückwand seines Ateliers in Maloja auf.

Mit dem zweirädrigen großen "Wagen", der als Leihgabe des Museum of Modern Art, New York, in Duisburg präsentiert wird, griff Giacometti noch einmal das Motiv der "Frau auf dem Wagen" in neuer Deutung auf. Der zweirädrige Wagen, den Giacometti später auf einen von ihm während eines Krankenhausaufenthaltes 1938 beobachteten Medizinwagen zurückführte, erinnert in seiner Gestalt zugleich an antike Kampfwagen, kultische Sonnenwagen und Zeremonialobjekte keltischer Herkunft, bei denen statt des Kriegers eine Frau oder die Sonne selbst erhöht auf einem Wagen stehen.

Das Gegenstück des "Wagens" auf der gegenüberliegenden Seite des Ausstellungsraumes bildet die "Frau Leoni" aus dem Jahre 1947. Mit ihr formulierte Giacometti erstmals die ausgereifte Form der unbewegt stehenden Frau mit überlängter und ausgedünnter Statur, die die Wiedererkennbarkeit der Werke Giacomettis im Spätwerk auszeichnet.

Die Ausstellung rund um die "Frau auf dem Wagen" ist das Ergebnis einer langjährigen forschungsintensiven Vorbereitung des Duisburger Museums und insbesondere der Fondation. Radiologische Untersuchtungen der Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Centre d`Innovation et de Recherche pour l`Marquage (CIRAM) ebenso wie Röntgen-Untersuchungen des Kölner Diplom-Restaurators Prof. Hans Portsteffen im Frühjahr 2009 offenbarten erstmals das Innenleben der Duisburger Figur und geben zugleich beinahe lückenlos Aufschluss über ihre technische Entstehung. Die verschiedenen Röntgenaufnahmen von Figur und Sockel zeigen eine aus einzelnen, mittelgroßen Metallteilen und werkzeugartigen Gegenständen zusammengesetzte Armatur im Innern der Figur, über die schichtweise und schuppig Gips modelliert wurde.

In der Sammlung des Museums befinden sich neben der "Frau auf dem Wagen" die beiden Skulpturen "Das Bein" (1958 / 1959) und "Der Wald" (1950), die noch vor der Eröffnung des Hauses in den Jahren 1960 bzw. 1964 erworben wurden. So ist das Museum als Zentrum internationaler Skulptur seit seiner Gründungszeit eng mit dem Werk Giacomettis verbunden. 1977 fand hier die erste umfassende, posthume Museumsausstellung des Bildhauers in Deutschland statt, eine Retrospektive mit 53 Skulpturen, 28 Gemälden und 42 Zeichnungen. 1986 konnte durch Prof. Dr. Christoph Brockhaus mit Unterstützung der Peter-Klöckner-Stiftung die "Frau auf dem Wagen" von der Galerie Beyeler erworben werden. Zu den jüngsten Ankäufen aus den Jahren 2008 zählen die Fotografien Ernst Scheideggers aus den Künstlerateliers in Paris, Stampa und Maloja.

"Zusammen mit dem DKM und dem Museum Küppersmühle hat Duisburg drei Museen, die sowohl aus künstlerischer wie auch und stadtwerberischen Gesichtspunkten wichtig für die Stadt sind," betont Kulturdezernent Karl Janssen. Er weist damit auf die Bedeutung des Museums für Duisburg und seine Strahlkraft hin.

"Es ist eine beglückende Ausstellung. Es ist meine letzte Ausstellung. Ab dem 1. Februar bin ich dann im Ruhestand," berichtet Prof. Dr. Christoph Brockhaus, Noch-Leiter des Lehmbruck-Museums. "Es gibt einige wichtige Gründe, warum die Ausstellung hier unbedingt stattfinden muss. Giacometti ist eng mit Konzeption und Bau des Museums verbunden. Über die Ausstellungen und Ankäufe wurde ja oben schon etwas gesagt. Uns beschäftigten aber auch wissenschaftliche Fragen. Wer ist die Frau? Was bedeuten die Lackspuren den Figuren? Das Lehmbruck-Museum sammelte schon Giacometti, als die französischen Museen noch nicht so weit waren. Skulptur gilt als die arme Verwandte der Malerei. Oft wird sie dafür gehalten. Es ist aber nicht so. Dr. Gottlieb Leinz ist - neben Wiesinger einer der Kuratoren der Ausstellung - wird im Mai in den Ruhestand gehen. Für uns ist dies der schönste Abschluß in der schönstmöglichen Form, den wir erleben durften."

"Wir wollten keine Retrospektive machen. Das kann die Fondation besser," ergänzt der bereits erwähnte Dr. Leinz. "Ohne bestimmte Werke ist keine Ausstellung möglich. Da war es ein Glücksfall, daß wir mit der Fondation zusammenarbeiten konnten. So können wir die künstlerische Entwicklung Giacomettis von den kleinen Figuren bis zur explodierenden Gipsfigur, nachzeichnen. Neben Lehmbruck ist Giacometti quasi das 2. Standbein des Lehmbruck-Museums. Giacometti ist es wert, in des Zentrum gerückt zu werden. Die Ausstellung ist so klasse, weil wir alle Stücke aus privatem und öffentlichem Besitz bekommen haben, die wir auch haben wollten. Irgendwann ist eine solche Ausstellung kein Versicherungsfall mehr. Sie bewegt sich auf so hohem Niveau wie Picasso und Miro."

Ein Wort zu der wissenschaftlichen Arbeit sei hier noch erlaubt. "Die Röntgenaufnahmen waren eine schwierige Angelegenheit. Die untersuchten Objekte sind sehr fragil. Wie faßt man sie an? Wie transportiert man sie? Wie behandelt man sie? Die Vorarbeiten begannen im Jahre 2008. Sie gesamte wissenschaftliche Arbeit ist jetzt abgeschlossen," berichte Leinz.

Bürgerreporter:in:

Andreas Rüdig aus Duisburg

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