Ist Zirkumzision nur ein inakzeptabler religiöser Brauch?

Das Beschneiden der Vorhaut von Jungen gehört zum Judentum und Islam wie die Taufe zum Christentum. Bisher wurde die religiös-motivierte Prozession in Deutschland geduldet - zumindest wurde es nicht strafrechtlich als Körperverletzung verfolgt. Eine gewöhnliche Beschneidung aus dem Jahre 2010 änderte dies nun: Das Landgericht Köln urteilt, dass zukünftige Zirkumzisionen ohne medizinische Notwendigkeit strafbar sind. Der Zentralrat der Juden ist empört, die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit wackelt. Ist Zirkumzision nur ein veralteter, nicht mehr akzeptabler religiöser Brauch? Was sind die Vor- und Nachteile des Beschneidens und welche Risiken birgt der Eingriff? Und wie wird eigentlich beschnitten?

Als ein Kölner Arzt, selbst Muslim, eine Zirkumzision an einem vierjährigen Jungen vornahm, ahnte er wahrscheinlich nicht, dass dieser eine Eingriff eine Anklage, einen Freispruch, ein Urteil des Landgerichts Köln und eine deutschlandweite Diskussion bewirkt. Es war der Wunsch der Eltern, ihren Sohn nach islamischem Brauch zu beschneiden. Trotzdem fand sich der Arzt, der dem Wunsch nachkam, einige Zeit später aufgrund einer Nachblutung der Operation, die im Universitätsklinikum Köln behandelt wurde, auf der Anklagebank. Nach einem Hinweis an die Staatsanwaltschaft, dass die Eltern mit dem Eingriff angeblich nicht einverstanden gewesen seien, wurde ihm von dieser Körperverletzung vorgeworfen. Der Arzt wurde freigesprochen, da das Beschneiden aus religiösen Motiven eine rechtliche Grauzone in Deutschland darstellt und bis zum aufsehenerregenden Urteil des Kölner Landgerichts nicht geahndet wurde. Zunächst beschäftigte sich das Amtsgericht mit dem Fall und wies darauf hin, dass Zirkumzision als hygienische und gesundheitliche Präventivmaßnahme zu verantworten sei, da. Das Landgericht verwarf diese Aussage, da laut einem medizinischen Gutachter in Mitteleuropa keinerlei medizinische Notwendigkeit bestehe und resümiert gemäß der FAZ, dass die "Beschneidung Minderjähriger aus religiösen Gründen verboten ist. Weder die elterliche Einwilligung noch die Religionsfreiheit rechtfertigen den Eingriff. Ärzte, die Beschneidungen vornehmen, machen sich nach dem Urteil des Kölner Landgerichts strafbar.". Damit folgt das Gericht der Argumentation des Rechtswissenschaftlers Holm Putzke. Das Urteil des Landgerichts gilt nicht deutschlandweit, könnte aber andere Urteile nach sich ziehen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Dieter Graumann, ist empört.

Ist die Zirkumzision aus medizinischen Gründen sinnvoll?

Studien belegen, dass eine fehlende Vorhaut durchaus Vorteile haben kann: Das New York Magazine fasst zusammen, dass Männer ohne Vorhaut weniger anfällig für Peniskarzinome sind. Unter der Vorhaut könnten sich Bakterien sammeln, die Infektionen auslösen können und über die Zeit das Risiko für Krebs erhöhen. Allerdings ist das Risiko für diesen Krebs auch mit Vorhaut sehr gering. Wissenschaftler bestätigen auch, dass die Vorhaut Immunzellen beinhaltet, die den HIV-Virus anziehen. Mit einer Zirkumzision könnte das Risiko, sich mit HIV zu infizieren, drastisch sinken. Allerdings ist AIDS in Europa nicht so sehr verbreitet, dass es eine Beschneidung notwendig macht.
Es bleibt also offen und jedem selbst überlassen, ob er den Eingriff für sinnvoll hält oder nicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt das Beschneiden im Kampf gegen AIDS jedenfalls. Doch wo liegen die Risiken falls Mann sich von diesen Argumenten überzeugen lässt?

Wie funktioniert der Eingriff und welche Risiken gibt es?

Nach einer lokalen Anästhesie wird die Öffnung der Vorhaut mit einer Klammer gedehnt und offen gehalten. Nach einem Schnitt mit einer chirurgischen Schere in der Mitte, der die Vorhaut in zwei Hälften teilt, gehen Ärzte oder Vertreter der Kirche unterschiedlich vor. Auf den Seiten des New York Magazines wird der Eingriff genauer beschrieben, jedoch in Englisch.
Zwar ist Zirkumzision einer der sichersten, chirurgischen Eingriffe, den ein Mensch vornehmen kann - trotzdem könnten Komplikationen auftreten. Wie bei jeder Operation besteht auch beim Beschneiden die Gefahr, dass sich die Wunde entzündet oder zu stark blutet. Außerdem darf nicht zu viel Haut weggeschnitten werden, da sich der Rest beim Heilungsprozess sonst mit dem Penis verkleben kann. Auch darf nicht zu wenig Haut übrig gelassen werden. In diesem Fall wäre ein Hauttransplantat notwendig.

Zirkumzision aus religiöser Überzeugung

Schon vor Etablierung der Religionen wurde beschnitten. Trotzdem sind heute mehr als zwei Drittel der beschnittenen Männer aus religiösen Motiven beschnitten. 70 Prozent sind Muslime, ein Prozent Juden. Die Tora schreibt den Juden die Beschneidung in Genesis 17 vor: Gott sprach zu Abraham: „Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden.“ Die Beschneidung war im Exil und in Zeiten der Zerstreuung ein zentrales Identifikationsmerkmal des Judentums. Zwar schreibt der Koran die Beschneidung für Muslime nicht vor, trotzdem wurde sie aufgrund von vorislamischen Bräuchen fester Bestandteil der Ritualkultur. Im Islam ist die Beschneidung zwar nicht durch den Koran vorgeschrieben, sie wurde allerdings unter Rückgriff auf vorislamische Gebräuche ein fester Bestandteil der Ritualkultur. Allerdings ist hier kein einheitlicher Zeitpunkt wie beispielsweise der achte Tag nach Geburt des Jungen im Judentum gegeben.
In den Vereinigten Staaten sind etwa drei Viertel aller Männer aus beschnitten um die Hygiene zu verbessern und Krebserkrankungen und anderen Erkrankungen vorzubeugen, so die FAZ. Die Zahl für Deutschland kann nur wage geschätzt werden: Rund 15% mit steigender Tendenz sollen beschnitten sein.

Bürgerreporter:in:

Christian Gruber aus Dortmund

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