Was kann moderner Journalismus leisten? | Gesellschaft | Kommunikation

Ein Plädoyer für Kommunikativen Journalismus

Wie authentisch ist journalistische Arbeit? Was kann sie für das soziale Leben in einer Stadt oder Kommune beitragen?

Als ich vor vielen Jahren mich entschloss, Literatur- und Sprachwissenschaft zu studieren (damals oft “Germanistik” genannt), dachte ich zuerst nicht im Traum daran, ich könne später als Journalist arbeiten: “Ha, über Kaninchenzuchtvereine berichten, in Bierzelten Festreden notieren? Entsetzlich!”

Lange arbeite ich nun schon als Journalist (und Fotograf), und ich kann mich an k e i n e n einzigen Termin in meiner journalistischen und fotografischen Praxis erinnern, der irgendwie diesem oben angedeuteten “Horrorszenario” auch nur annähernd ähnlich gewesen wäre.

Nein, ganz im Gegenteil: durch die Kontinuität der journalistischen Arbeit vor Ort wächst man ganz anders in die s o z i a l e Welt seiner Heimatstadt oder der Region hinein, a u s der heraus man berichtet, über deren soziales, politisches und öffentliches Leben man eben berichtet.

Einmal - noch ganz am Anfang - dachte ich zu Beginn eines neuen Jahres: “Und in diesem Jahr werde ich wohl eine >Wiederholung< des letzten Jahres erleben?” Von wegen! Obgleich natürlich im Jahreslauf einer Kommune und eines Landkreises bestimmte Procedere sich wiederholen, gleicht kein Jahr dem anderen. Interviews, Begegnungen, Gespräche und Begebenheiten - jede Woche ist spannend, jeder Arbeitstag manifestiert ein wenig mehr von dem, was substantiell eine Stadt in allen ihren Facetten ausmacht: die Menschen im Rathaus, Politiker und Stadträte ebenso wie Mitarbeiter in den einzelnen Sachbereichen, die Menschen in den Geschäften der City, den Banken, den Märkten. Initiativen, Vereine, Theaterverein, Sportvereine, vor kurzem lernte ich den Behindertensportverein mit seiner Vorsitzenden und dem “harten Kern” kennen (ich werde noch über das 25jährige Jubiläum berichten): Nach und nach, ganz allmählich lerne ich begreifen, wie soziales Leben sich aus diesen vielfältigen und auch unterschiedlichen Interessen, Zielsetzungen und Initiativen v i e l e r aufbaut. Was eine Stadt kulturell und sozial reich macht, was ihr eine innere, pulsierende Dynamik gibt, das Miteiander, menschliche Nähe, Gemeinschaft, das basiert darauf, wie der Einzelne sich in die Gemeinschaft begibt, sich mit anderen aus seiner Stadt zusammentut, sich trifft, gemeinsam Ziele im Verein setzt, ob Gartenbau- oder Schützenverein, ob Sport- oder Historischer Verein, ob eher gemeinsam musizieren oder sogar die Zielsetzung, wirtschaftlich, kulturell und sozial ein pulsierendes Leben in der Innenstadt aufzubauen, zu intensivieren und zu pflegen - dieses alles trägt dazu bei, dass aus der Zufälligkeit eines gemeinsamen Wohnortes eine soziale Stadt entsteht, deren Menschen miteinander leben und - so facettenreich die unterschiedlichen Ziele sein mögen - allesamt dieses gemeinsame soziale und kulturelle Leben erfüllen, ja erst de facto entstehen lassen. Und genau dann und genau dadurch - nämlich dass ich als Einzelner selber an diesem Leben mit meinen eigenen Zielsetzungen und Interessen partizipiere - wird aus d i e s e r Stadt unter tausend anderen m e i n e Stadt, wo ich lebe, wohne, arbeite, eine Stadt, wo Kollegen, Freunde und Verwandte mit mir leben, diese Stadt, die es tatsächlich auf der ganzen Welt nur einmal gibt, mein persönliches, soziales “Koordinatensystem”, nicht abstrakt, sondern sehr konkret durch die einzelnen, realen Bekanntschaften, Beziehungen und Begegnungen. Genau dort setzt Journalismus ein: ja, wirklich, denn gewöhnlich betrachten wir, wenn wir eine Zeitung oder eine Zeitschrift, die in der eigenen Stadt erscheint, eher nicht nach diesen doch je subjektiven, aber wichtigen Prämissen, nämlich dass da e i n e r aus dem sozialen Ganzen heraus eben über diese oder jene Veranstaltung, Event, Markt, etc. berichtet. Für den Journalisten, der seine Arbeit ernst nimmt, ist diese Prämisse aber substantiell: nicht wie einer soll er berichten, der z. B. den ÖkoMarkt als “einen BioMarkt unter tausend ähnlichen” erlebt hat und sieht, sondern konkret s o, wie genau dieser e i n e s e i n e r Stadt i s t. Wer diesen Aspekt journalistischer Arbeit oberflächlich betrachtet, wird nicht erkennen, wie ganz anders es ist, wenn einer aus s e i n e m konkreten Erleben heraus berichtet im Vergleich zu einem, der - mit einer ordentlichen “Filterbrille” versehen - durchläuft und nur plakativ einzelne Facetten herauspickt und anschließend in seinem Bericht zusammenmengt, mit etwas dekorativem Journalismus. Nein, nicht ein deskriptiver Journalismus mit ein paar stilistischen Momenten (aus dem üblichen Repertoire) ist es, der einen sozialen, kommunikativen Impuls in sich trägt, beiträgt zu einem Forum, an dem jeder selber auch teilnehmen kann, sich mit anderen austauschen kann, es ist ein kommunikativer Journalismus, der aus dem sozialen f ü r das soziale Leben schreibt und fotografiert. Eine Zeitung, eine Zeitschrift, ein Online-Portal avanciert genau in jenem Augenblick, da sich Leute darin finden, die aus dieser sozialen Motivation, aus diesem kommunikativen Zielsetzungen heraus arbeiten, von einem Dutzendblättchen zu einem wirklichen kommunikativen Forum, das geeignet ist, e t w a s zum sozialen Leben beizutragen. Wie entwickelt sich meine Stadt? Welche Chancen stecken in ihr? Wie zu keiner anderen Zeit erleben wir alle eine kraftvoll voranschreitenden Wandel, sozial, in der Arbeits- und Wirtschaftswelt, in der Kommunikation, in den Sozialstrukturen, in der Gesellschaft und im Sozialsystem - der Sozialstaat insbesondere, aber auch dessen Mikrostrukturen - große Baustellen, die allesamt noch ihrer Zeit bedürfen, soll das Gemeinschaftswesen zukunftsfähig sich für das neue Jahrtausend erweisen. Was denken meine Mitmenschen? Z. B. über den im Januar 2009 kommenden Gesundheitsfonds? Wie manifestiert sich “Bildung” in meiner Stadt? Wie sieht hier “kulturelles Leben” aus? Journalismus muss in der Lage sein, gesellschaftliche Themen zu konkretisieren, aus der Abstraktheit der Schlagzeilen vor Ort zu l o k a l i s i e r e n, ein Phänomen in seiner Auswirkung zu deuten.

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Leitner aus Donauwörth

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