„Wann gibt es eigentlich Ferien?“

Sprach ich zu meiner Mutter, während sie mich an der Hand zum Schulbus zog.

An und für sich keine ungewöhnliche Frage, es sei denn man stellt sie am ersten Schultag.
Diese damalige Bemerkung wird noch bis heute von meiner Mutter regelmäßig im größeren Verwandtschaftskreis zitiert.

Meine mir unvorteilhaft angepasste Kleidung machte sich durch Ziepen und Kratzen bemerkbar und erschwerte mir den Weg zur Haltestelle erheblich.

Nun stand ich vor diesem großen und mächtigen Etwas, dass sich Schulbus nannte.
Ich wusste, dass ich die wenigen Autofahrten, die es in meiner Kindheit gab, schon nicht vertrug.

Und nun sollte ich in dieses riesige, schaukelnde Ungetüm einsteigen?

Immerhin vereinbarte meine Mutter mit dem Fahrer für mich eine Sitzplatzreservierung im vorderen Bereich des Busses.

Nach einer mir unendlich lang vorkommenden Fahrt und ständigem Ankämpfen gegen die Übelkeit, waren wir nach 3 km im Nachbardorf angekommen. Hier sollte ich nun mein erstes Schuljahr absolvieren.

So saß ich mittlerweile in einen Klassenraum, umgeben von völlig fremden Kindern und schaute mich Hilfe suchend nach einer mir bekannten Person um.
Wie in einen Film lief das kurze bisherige Leben noch einmal an mir vorbei, bis ein „Grüß Gott, liebe Kinder“ mich wieder in die Gegenwart zurückholte.
Da stand sie nun vor uns. Unsere Lehrerin, die meine Oma hätte sein können, mit ihrem sanftmütigen Blick.
Sie war es aber auch, die einige Wochen später im Laufe einer verbalen Wutattacke mit zornigen Augen mein Deutschheft vor der versammelten Klasse zerreißen sollte.
Aber das gehörte zum späteren Schulalltag dazu. Nun galt es, die Einschulung möglichst feierlich über die Bühne zu bringen.

Einer der Höhepunkte war sicherlich das Einschulungsfoto. Jetzt würde meine Schultüte für die Ewigkeit festgehalten werden. An den Inhalt habe ich leider keine großen Erinnerungen mehr, es gab wohl einiges an Schulzubehör und diversen Süßigkeiten.

Nun schritt ich stolz vor den Fotografen und erlebte mein persönliches Desaster, das mich bis heute noch verfolgt. Man nahm mir meine Schultüte aus der Hand und ersetzte sie durch eine „Normschultüte“. Es tröstete mich auch nicht, dass es die ganze Schulklasse traf.
Individualität war nicht vorgesehen, man hatte sich anzupassen und unterzuordnen.

Dadurch konnte ich die eine oder andere Studentenrevolte in den 60er Jahren nachvollziehen.
So hatte mein Schulkarrierestart schon in der frühen Startphase einen Makel, den ich aber zum Glück längst überwunden habe.

Aber eine Frage tauchte in der restlichen Schulzeit doch immer wieder auf:
„Wann gibt es eigentlich Ferien?“

Bürgerreporter:in:

Georg Schmidt aus Diemelstadt

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