Wer sind die Kurden - vom-system-zum-netzwerk -

Die Außenministerin Baerbock sprach das Kurdenproblem in Ankaraöffentlich an. Doch wer kennt die Brisanz?

Das weltweite Interesse ist längst zu anderen Krisen und Katastrophen abgedriftet, während Zehntausende Kinder in schrecklichen Umständen in den Lagern von Syrien unter Bewachung der syrischen Kurden aufwachsen und daher einfach zu radikalisieren sind.

Die Demokratischen Kräfte Syriens (DKS):

In diesem Jahr soll das US-Militär 155 Millionen Dollar in Syrien dafür aufwenden, die DKS [englisch: Syrian Democratic Forces (SDF)] zu trainieren und auszurüsten sowie IS-Gefängnisse sicherer zu machen. 852 Millionen US$ fließen als humanitäre Hilfe in von Kurden kontrollierte Gebiete Syriens und in die Unterstützung von Flüchtlingen in angrenzende Länder. 2019 griff die Türkei, eine NATO-Partnerin der USA, die DKS an und destabilisierte die Region noch weiter. Einen weiteren Angriff haben sie angekündigt. Die USA befürchten, dass bei einem neuen Angriff Hunderttausende Menschen in der Grenzregion ihre Heimat verlieren könnten und die Lage noch dramatischer wird.

Warum werden die Kurden verfolgt, wer kennt ihre Ziele?
Die Kurden sind das größte staatenlose Volk der Welt. Mehr als 30 Millionen Menschen, die bei uns als Türken, Syrer, Iraner oder Iraker gelten (um nur die vier wichtigsten Siedlungsgebiete zu nennen), weil sie einen entsprechenden Pass haben. In Europa leben circa 1,5 Millionen Kurden, davon circa 900.000 in Deutschland. Sie haben Angst vor dem türkischen Geheimdienst.

In Deutschland wurde die PKK bereits 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt, 2002 auf Druck der Türkei und der USA auf die EU-Terrorliste gesetzt. Und weiter heißt es „Erst im Januar 2020 urteilte der belgische Kassationshof nach mehr als zehn Jahren Verfahrensdauer, dass die Aktivitäten der PKK nicht terroristisch seien, sondern sie eine Partei in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt darstellt.“

Vom System zum Netzwerk“

Dem politisch interessierten Leser wird in dem Buch: „Die Entwicklung der kurdischen Freiheitsbewegung“ Gesammelte Texte zur Einführung in Geschichte und Gegenwart, Herausgegeben von Ali Çiçek, die Vielfältigkeit der kurdischen Organisationen vom Werden bis heute aufgezeigt, von der Entstehungsgeschichte bis zu den Verhandlungen der PKK mit der Türkei.
Ein Abriss zum Verständnis und der Einordnung:

Die nach dem Staatsstreich verabschiedete Verfassung von 1961 räumte der Bevölkerung zwar mehr Rechte ein, festigte jedoch auch die Vormundschaft des Militärs. Der Putsch von 1971 war das Ende der öffentlichen Politik.

Nach dem Putsch fanden von 1973 bis 1978, 5 Jahre lang breite Gruppendiskussionen in Ankara in privaten Räumen statt. Die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkêren Kurdistan, PKK) wurde im Jahre 1978 gegründet. Von den Mitgliedern der Partei wird diese Zeit als die „existenzielle Periode“ bezeichnet.

1980 und nach dem gescheiterten Putsch von 2016 zogen sich die Bürger weiter zurück. Der private Raum wurde zu einem wichtigen politischen Raum und Treffpunkt, aus dem Opposition und Widerstand hervorgehen. Neue Mitglieder wurden durch persönliche Kontakte in die Gruppe eingeführt. Diese Kontakte wurden an der Universität oder bei politischen Aktionen geknüpft.

Bereits vor dem Putsch von 1970 hatte das türkische Militär Kommandooperationen im Südosten des Landes gegen die Kurden aufgenommen. Die Militäroperationen in den 1970er Jahren führten jedoch nur zu einer Radikalisierung der Kurd:innen und der Wahrnehmung, dass ihre Heimat Kurdistan eine Kolonie darstellt. Dies verstärkte das Gefühl in der Bevölkerung, dass die Aufnahme des antikolonialen Kampfes eine Notwendigkeit darstellt

Die Arbeiterpartei Kurdistan, oder kurz PKK, ist eine der wichtigsten säkularen politischen Aufstandsbewegungen in Kurdistan und dem Nahen Osten. Im Gegensatz zu den meisten politischen Parteien, die eher eine konservative Haltung vertraten und sich um bestimmte Stammesführer und Stammesstrukturen herum organisierten, entstammt die PKK aus der sogenannten Linken Szene, sie ist keiner kommunistischen Partei zuzuordnen oder verpflichtet. In der Türkei stammen ihre Anführer:innen, Mitglieder und Militante aus dem Kreise der „Entrechteten“. Nach ihrer Entstehung in den 1970er Jahren und einer umfassenden Vorbereitung begann die PKK 1984 einen langwierigen Guerillakrieg. In dieser Zeit gab es vielfältige Vereinigungen der Kurden, die PKK war die hörbare Vereinigung. Die unterschiedlichen Bildungen der Gruppen und deren Auflösungserscheinungen werden im Buch ausgebreitet.

Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine der wichtigsten säkularen politischen Bewegungen im Nahen Osten, hat in den 2000er Jahren nach der Festnahme ihres Anführers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 einen tiefgreifenden Wandel vollzogen.
Radikale Demokratie als Alternative zur liberalen Demokratie

Öcalan setzt sich im Gefängnis intensiv mit den idealen des Zusammenlebens auseinander, einerseits zur eigenen Verteidigung vor Gericht, zum anderen zur Vereinigung der verschiedenen Strömungen.
Es soll der Grundgedanke zusammengefasst werden. „Er macht sich auf die Suche nach neuen Formen der Repräsentation, die die Trennung zwischen dem Repräsentanten und dem Repräsentierten begrenzen und dabei gleichzeitig Alternativen für den Staat schaffen, die auf der Trennung der souveränen Macht von der Gesellschaft basieren.“

Diese und andere Gedanken breitet er in seinen Schriften aus dem Gefängnis heraus aus und die Kurden stimmen seinen Gedanken der „Gemeinschaft von Unten“ zu und organisieren sich entsprechend. In einem Projekt der radikalen Demokratie.

Festzuhalten ist, dass die kurdische Politik in dieser Zeit eine Vormachtstellung bei der Übernahme des politischen Freiraums erlangte. Das Potenzial der Vereinigung sozialer Bewegungen, der Parteien, schlug sich nieder in der Veränderung der Machtstrukturen in den bestimmten Gemeinwesen der Kurden.

Für Öcalan soll die kurdische Gesellschaft eine eigene demokratische Machtstruktur in ihrer Region haben, und diese „Demokratie + türkischer Staat als allgemeine öffentliche Autorität“ ist seine grundlegende Formel für eine Lösung. Öcalan steht dezidiert für die Rechte der Frauen ein. So sind die reinen Frauenregimenter in Syrien zu erklären. Dieser Ansatz wird nicht von allen Kurden in den unterschiedlichen Staaten (Iran, Irak, Türkei) geteilt. Öcalan ist bis heute gleichzeitig die vereinende Klammer der demokratischen Freiheitsbewegung. Diese Bewegung kann dem Herrscher in Ankara nicht gefallen. Er will die Kurden mit Macht ausrotten. Lassen wir Erdogan weiter gewähren, wird ein weiteres Wegschauen das Leid in der Region vergrößern.

Wer den Ansatz von Öcalans verstehen will, von „Demokratie ohne Staat“, in der er für einen Kompromiss mit einem kleinen Staat, mit begrenzter Macht plädiert, kommt an dem Buch:„Die Entwicklung der kurdischen Freiheitsbewegung“ von Joost Jongerden Ahmet Hamdi Akkaya mit dem Untertitel: Gesammelte Texte zur Einführung in Geschichte und Gegenwart nicht vorbei.

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E-Pub-ISBN: 978-3-949925-05-4
https://doi.org/10.53291/9783949925054 Hier >>>OPEN Acess

Bürgerreporter:in:

Siegfried Räbiger aus Oberhausen (NW)

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