Oder-Neisse-Radtour: Mit dem Fahrrad entlang der Grenze zu Polen

Blick aus unserer Pension am Markt: Zittaus Rathaus im Abendlicht.
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  • Blick aus unserer Pension am Markt: Zittaus Rathaus im Abendlicht.
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Der Oder-Neiße-Radweg wurde als Modellprojekt des bundesweiten D-Netzes geschaffen und führt entlang der beiden Grenzflüsse zu Polen, der Neiße und der Oder, über rund 550 km von Zittau bis nach Ueckermünde. Ein Erfahrungsbericht von Dieter Hurcks aus dem Mai 2010, drei Tage vor dem Scheitelpunkt des Hochwassers.

Zittau am Samstagmorgen. Nur langsam belebt sich der Platz am Markt unterhalb unseres Pensionszimmers. Morgen ist Pfingsten, und in Zittau ist es an diesem Vortag Zeit für den Einmarsch der Schützen. Wir aber haben anderes im Sinn. Wir wollen vor dem Beginn unserer Oder-Neisse-Radtour noch einen kleinen Startrundgang per Fahrrad unternehmen – und zwar ohne Gepäck.

Schnell finden wir das Salzhaus und die Blumenuhr, das Wahrzeichen der Stadt. Am Abend zuvor hatten wir Straßen entdeckt mit lauter leer stehenden Häusern. Wie uns Einheimische erzählten, haben viele junge Leute die Stadt und auch andere Orte in der Gegen verlassen, weil es nicht genügend Arbeitsplätze gab. Auch Kinder wurden zur Seltenheit, so dass hier eine Überalterung der Bevölkerung eintrat, die erst langfristig wieder zurück zu drehen ist. Doch diese Problematik gibt es auch im „Westen“, zum Beispiel im Harz oder im Weserbergland.

Von Zittau radeln wir über die Görlitzer Straße gen Norden. Die Radwege sind durchweg ausgezeichnet, nur wenige Meter zwischendurch mal reine Feldwege. Meistens rollt es sich auf Asphalt flott dahin, nur der Gegenwind hemmt das Fortkommen. Steigungen sind selten und meistens nur kurz. Bis Hirschfelde geht es neben der Eisenbahnlinie und der Straße entlang, begleitet von riesigen Rapsfeldern. Auf dem Berg drehen sich die Rotoren der Windenergieanlagen. Ab Rosenthal erleben wir eine idyllische Fahrt direkt neben dem durch den vielen regen der letzen Tage angeschwollenen Fluss durch Mai-frischen Buchenwald.
Plötzlich stehen wir mitten im Gelände des Klosterstifts St. Marienthal – eine echte Augenweide. Hier gibt es eine Menge zu besichtigen und herrliche Fotomotive. Oberhalb ist ein Biergartenn unter riesigen Bäumen. Leider ist es dafür noch zu früh.

Kosterstift-Infos

Der nächste Ort heißt Ostritz und glänzt durch sein leuchtend weißes Rathaus. Wir radeln, die Grenze zu Polen scharf rechter Hand, durch Leuba. Ein riesiges Braunkohlekraftwerk des Nachbarlandes verheizt das, was die riesigen Tagebaugruben einst füllte: Braunkohle.

In Hagenwerder steht ein gigantischer Braunkohlebagger zur Besichtigung, Auch im Raum Zittau ist jede Menge Braunkohle abgebaut worden. Übrig geblieben ist der Berzdorfer See, den wir links des Radweges sehen, aber mangels einer Zufahrt nicht erreichen können. Über Weinhübel nähern wir uns auf ausgesuchten Wegen Görlitz. Ein Seengebiet, dann ein Weg entlang der Neiße begleiten uns in die Stadt, in der es noch 4000 erhaltene Baudenkmale geben soll. Für Görlitz sollte man wenigstens zwei Stunden einplanen – es gibt viel zu sehen, und viel Kopfsteinpflaster. Doch häufig haben die Wege in der Mitte Steinplatten, auf denen man radeln kann.

Malerisches Görlitz

Wir machen auch einen Abstecher auf die polnische Seite und genießen das Gefühl der Freiheit, ohne Kontrollen zu den Nachbarn hinüber zu können. Ein tolles Gefühl vor allem für jene, denen die Grenze und die damit verbundenen Kontrollen und Erniedrigungen noch in Erinnerung sind.

Aus Görlitz heraus geht es zunächst steil hinauf auf dem mit Kopstein gepflasterten Ziegeleiweg. Oben angekommen, kann man noch einmal einen Blick über Görlitz genießen. Bald hat uns die Ruhe der Natur wieder. In Ludwigsdorf verbingen wir einen Regenschauer lang in einem Buswartehäuschen. Bei Zentendorf nähern wir uns dem östlichsten Punkte Deutschlands an. Die Kulturinsel Einsiedel beeindruckt auch Leute ohne Kinder – eine ganz tolle, mit viel Phantasie gestaltete Anlage.

Kulturinsel

In Nieder Neundorf stößt der Froschradweg auf den ONR. Der Weg nach Rothenburh O.L. führt durch eine Landschaft, die Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt und mit ihrer reinen Luft betört. Kurz vor unserem Tagesziel Lodenau besichtigen wir noch das Luftfahrtmuseum. Wer sich für Flugzeuge und Technik interessiert, findet hier für nur zwei Euro Eintritt jede Menge interessanter Exponate.

In Lodenau übernachten wir im Gasthaus Bergschenke. Der Wirt erzählt uns, dass der Ort vor der Wende 1.100 Einwohner hatte, von denen nur noch 500 übrig geblieben sind. Nur eine Zellstofffabrig sei von der einstigen Industrie übrig geblieben – gegründet und geführt von einem Westdeutschen, der es nicht nur auf die Zuschüsse der Treuhand abgesehen hatte.

Nach Guben

Die Nacht in dem einfachen Gasthaus in Lodenau verlief ruhig, so dass wir früh ausgeschlafen waren. Nach dem Frühstück mit Ei gingen wir um 8.45 Uhr auf die Etappe nach Guben. 103 km sollten es am Ende des Tages werden. Kurz hinter Lodenau schwenkt der erstklassige und fast durchgehend asphaltierte Oder-Neisee-Radweg ab in die Stille der Flusslandschaft. Vögel sangen, Grillen zirpten – ansonsten Stille. Eine Tour für Genießer mit hohem Erholungswert.

Fast durcfhweg in Sichtweite der weiter angeschwollenen Neiße, deren braunes Wasser mit hohem tempo dahinströmt, radeln wir durch Kornfelder und Kiefernwälder weit ab von der Straße. Winzige Dörfer wie Steinbach oder Klein Priebus, Podrosche oder Werdeck liegen bald hinter uns. Die Fachwerkkirche in Pechern, das Museum in Sagar und vor allem der Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau laden zum Verweilen ein. Es ist Pfingstsonntag, und die Touristenströme in dem herrlichen Park mit Wasserläufen, dem Märchenschloss mitten im See und den zahlreichen Rhododendronhecken scheinen nicht abzureißen. Ein Teil des Parks liegt auf der polnischen Seite und ist über eine weiße Brücke zu erreichen. Im Pasrk darf geradelt werden, sogar in Fahrradverleih hat sich beim Schloss angesiedelt.

Nachdem wir uns beim Bäcker am Marktplatz gestärkt haben, radeln wir auf der Hauptstraße nordwärts aus dem Ort heraus, der einen großen Grenzübergang nach Polen besitzt. Der Radweg führt und schnell wieder in die Natur. Mit gelegentlichen geht die Fahrt recht flott voran, nur der nachmittags stärker werdende Wind aus West/Nordwest hemmt das Fortkommen, wenn er in Böen auffrischt. Rapsfelder sind nun ganz verschwunden. In Groß Bademeusel ist bei einem Restaurant im Ort, nur etwa 250 Meter vom Radweg entfernt, ordentlich Betrieb. Auch wir kehren dort ein und löschen unseren Durst, stärken uns mit unseren mitgenommen Broten für die Weiterfahrt.

Vorbei an Forst mit seinem Ostdeutschen Rosenkarten und dem markanten Wasserturm geht es wieder ufernah weiter. Brückenfragmente verdeutlichen, dass Ost und West längst nicht wieder so eng verwachsen sind wie einst. Bei Briesnig lockt ein kleiner Kiosk. Es duftet nach Bratwurst, so dass wir nicht widerstehen können. Gut gestärkt, nehmen wir nun das letzte Stück nach Guben unter die Räder. Der Radweg schwenkt nach Nordosten ein, so dass uns der Wind nun nicht mehr direkt ins Gesicht weht. Das Quartier in Guben liegt in einem stinknormalen Wohnviertel, unser Zimmer liegt nach hinten heraus zum Garten. Gegen 18 Uhr sind wir geduscht, dieser Beitrag ist geschrieben und wir können zum Stadtbummel aufbrechen. Allerdings ist Guben, eine Industriestadt, nicht gerade ein romantischer Ort, aber schauen wir mal ...

Beim Abendbummel zeigt sich: Es ist wirklich nix los. Immerhin kann man im polnischen Gubin am anderen Ufer der Neisse hervorragend speisen: im Rathauskeller. Freunde der Backsteingothik kommen hier voll auf ihre Kosten.

Tag 3: Von Guben nach Frankfurt-Oder

Laut Planung sollten es an diesem Tag nur knapp 70 km werden, doch aufgrund einiger Umleitungen landeten wir erst nach 82 km im hoch, aber ruhig gelegenen Quartier. Wir waren bass erstaunt über die vielen Steigungen, die zu bewältigen waren – aber zurück auf Anfang.

Punkt 9 Uhr starten wir im verschlafenen Guben. Es ist Pfingstmontag. Vorbei an der Postmeilensäule radeln wir an einem Bachlauf aus der Stadt. Ein Mann ruft uns nach: „Aber nichts fotografieren, das hier ist die Hölle!“ Na ja, ganz so schlimm war es auch nicht, aber schon ein bisschen deprimierend.
Das sollte sich noch steigern: in Eisenhüttenstadt.

Doch zuvor radeln wir ab Coschen noch einmal durch die herrliche Natur der Flussniederung erleben an der Neißemündung das von zahlreichen Touristen abfotografierte Oderhochwasser. An die Mündung selbst heranzukommen ist unmöglich. Auch das Pegelhäuschen ist unerreichbar geworden. Das Wasser hat sich schon weit vorgeschoben und leckt schon an den Deichen. Der Schäfer ist dabei, seinen Elektrozaun abzubauen, beruhigt aber die Menschen: „Nur keine Panik!“

Weiter geht es auf oder hinter dem Deich bis zur Abzweigung nach Neuzelle. Trotz starken Gegenwinds radeln wir die 3,4 km bis zum Kloster. Mit Rückenwind geht es flott zurück an den Deich.

Einen Trailer dieser herrlichen Radtour mit vielen schönen Bildern gibt es bei YouTube unter hier klicken

Den kompletten Reisebericht unserer Tour, die im Sommer 2010 stattfand, lesen Sie unter hier klicken

Bürgerreporter:in:

Dieter Hurcks aus Burgdorf

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