"WIR WOHNEN IN BABYLON" - Rose Ausländer

abfotografiert aus meinem Buch: "Fritz Kühn 1910-1967 IN MEMORIAM"
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WIR WOHNEN IN BABYLON
-- Rose Ausländer --

TEILHABEN
Mit neuen Gedanken alt werden
Jung bleiben an uralten Gedanken
Teilhaben
am unsterblichen Leben
unsterblichen Sterben
--

DAS LICHT
hat keine Geheimnisse
Es reist
mit offenen Koffern

Die Grenzbeamten
haben es leicht
bei seiner Durchsuchung-
es gibt sich ihnen
lächelnd preis
lässt sie wühlen
in den Landschaften
die im Gepäck
untergebracht sind

Wenn es schlafen geht
hält ein Moor Wacht
über sein abgewandte Gesicht
--

DAS SCHÖNSTE

Ich flüchte
in dein Zauberzelt
Liebe

im atmenden Wald
wo Grasspitzen
sich verneigen

weil
es nichts Schöneres gibt
--

DIE GROSSEN WORTE
sind verlorengegangen

Es heißt
mit winzigen Wörtern
werben
um Frieden und Liebe

im Namen der Religionen
im Namen der Ermordeten
im Namen der Lebenden
die leben wollen
im Gold und Grün
unserer Erde
--

DIE STERNE

An welchem Tisch
nehmen die Sterne
ihr Abendmahl ein

Sie reichen sich
ihre Strahlenhände
sausend im Raum der
sie nicht fallen lässt

Sie kennen nicht
Ihre eigenen Namen
fragen nicht
woher ihr Licht
warum und wozu

Sie nehmen teil
an der Zeit
die ein Märchen ist
aus Bewegung
--

DREHEN

Mit dem Gedankenrad
sich drehen
um die Welt
die sich dreht
um sich selber

So drehen sich Worte
um andre Worte

Ein endloser Kreis
in dem sich
unendliche Kreise
drehen
mit uns
in uns
--

EIN ZEICHEN

Sag kein Sterbenswörtchen
ich lese deine Gedanken
in deinem Blick

Ich habe die Augensprache
erlernt
im Getto
als mein Mund
schweigen musste

Ein Zeichen
mit dem Zeigefinger
ein tiefer Atem
ein Schritt ins Niemandsland

Wo sich die Sprachen
von Menschen und Dingen
treffen
--

FINDEN II

Mit allen Worten
die Sprache des Geistes
suchen
Der Sprachgeist
findet dich
--

GEMEINSAM I

Vergesst nicht
Freunde
wir reisen gemeinsam

besteigen Berge
pflücken Himbeeren
lassen uns tragen
von den vier Winden

Vergesst nicht
es ist unsre
gemeinsame Welt
die ungeteilt
ach die geteilt

die uns aufblühen lässt
die uns vernichtet
diese zerrissene
ungeteilte Erde
auf der wir
gemeinsam reisen
--

HOFFNUNG II

Wer hofft
ist jung

Wer könnte atmen
ohne Hoffnung
daß auch in Zukunft
Rosen sich öffnen

ein Liebeswort
die Angst überlebt
--

HOFFNUNG III

Häng eine Regebogenfahne
über deine Hoffnung
die kämmt geduldig
das zähe Zukunftshaar
und singt ein Lied
das viele verlockt
mitsingen
--

GIB MIR
den Blick
auf das Bild
unserer Zeit

Gib mir
Worte
es nachzubilden

Worte
stark
wie der Atem
der Erde
--

OHNE VISUM

Ohne Visum zur Welt gekommen
sie drückt kein Auge zu
unsereiner ist immer
verdächtig

Ich hisse ein weiß Taschentuch
auf dem Aussichtsturm
nach allen Richtungen

mache mir Hoffnung
auf ein Visum nach Liebe
im grünen Glauben
Keime

Es könnte sogar
Frühling werden
--

SEGEN

Ich möchte euch segnen
aber ich verfluche
eure Kriege
Siege und Niederlagen

und das Wort "Feind"
für ein Land
wo Millionen Menschen leben
wie in eurem Land

Ich segne die wenigen Friedfertigen
oder sind es viele und nur
Wenige machen Krieg, Krüppel
machen mich zum Feind
der Kriege

Ich segne
jedes Land

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Bürgerreporter:in:

Romi Romberg aus Berlin

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