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Das Vermächtnis deines Lebens

Nun liege ich hier und spüre, wie das Leben langsam meinen greisen Körper verlässt. Alt und schwach bin ich geworden und friste in Einsamkeit der Anonymität eines überfüllten Altenheimes der Stadt die letzten mir noch verbleibenden Momente. Meine müden Augen fixieren einen Punkt an der weißen Decke, meine Gedanken jedoch schweifen ab von der Starrheit meines Blickes.
Erinnerungen kommen und gehen und viele Jahre rasen innerlich einfach an mir vorüber, ohne dass sie mir Augenblicke der Bedeutsamkeit aufzeigen. Ist das mein Leben gewesen, mein Dasein? Ich blicke zurück und suche tief in mir nach der Sinnhaftigkeit meines Wirkens, jedoch finde ich nur Leere. Leere, die sich mir erst jetzt kurz vor meinen Ableben zu erkennen gibt. Ich war gewiss kein Kind von Traurigkeit und habe immer gedacht, mein Leben zu leben nach dem Verständnis, welches sich mir überall offenbarte. Die vielen Partys und die vielen Frauen, ach wie glücklich schien ich doch damals zu sein.
Die Jahre flogen nur so dahin und ich hatte immer meinen Spaß! Deutlich höre ich noch die Stimme meiner Mutter, die mich fragte, ob ich nicht mal langsam an die Gründung einer Familie denken möchte. Wie abwegig erschienen mir ihre Worte. Eine Familie – wer bindet sich schon freiwillig diesen Klotz ans Bein – waren meine damaligen Gedanken dazu. Ich winkte jedesmal ab und sagte meiner Mutter, dass dafür später auch noch Zeit sei. Diese Zeit kam jedoch nie und weder eine Ehefrau noch Kinder haben in meinem Leben einen Platz gefunden. Aber wie auch, in der Woche war ich auf Montage und am Wochenende meist feiern.
Den Ausgleich zu der schweren Schufterei wollte ich mir von niemandem nehmen lassen. Mein ganzes Leben lang habe ich niemals einen Gedanken an den tieferen Sinn des Lebens verloren und nun, kurz vor meinem Tod, so scheint es mir, quält mich eine nie da gewesene Erkenntnis in den letzten Zügen meines schwächer werdenden Atems. Mir wird unweigerlich bewusst: Alles, was ich dieser Welt hinterlassen kann, ist ein alter Karton mit ein paar vergilbten Fotos. Ich greife ein letztes Mal wahllos hinein in diesen Karton, den ich in der Schublade meines Nachttisches aufbewahre und ziehe ein Foto heraus, auf dem ich mit Freunden auf einer der unzähligen Party-Urlaubsreisen zu sehen bin. Das ist also das Vermächtnis meines Lebens, welches der Nachwelt erhalten bleibt?
Ich neige meinen Kopf zur Seite und richte meinen Blick durch das große bodentiefe Fenster, welches mir immer als Schaufenster in die Wirklichkeit des für mich nicht mehr spürbaren realen Lebens abseits dieses Raumes dienlich war. Ich habe mich nie als Teil eines Volkes begriffen und auch das Land, in dem ich mein Leben lang wohnte, ist mir nie wirklich von innerer Bedeutung gewesen. Doch das, was mir mein Schaufenster in den realen Alltag dieses Landes zeigt, berührt selbst noch mein altes Herz. Das Bild der sich dort befindenden Straße, welches nun förmlich in mich hinein katapultiert wird, ist nicht mehr mit dem Wort “Deutschland” zu beschreiben, wie ich es früher kannte. Die wenigen Deutschen, die meine Augen noch erfassen können, sind umgeben von Menschen unterschiedlichster Herkunft.
Eine glühende Hitze durchdringt meinen Körper und mir wird bewusst, dass mit mir einer der noch wenigen verbleibenden Deutschen stirbt. Zum ersten Mal in meinem Leben begreife ich mich abseits meiner eigenen sterbenden Hülle als Bestandteil und Glied von etwas Bedeutsamerem. Wie gerne würde ich nun meinen Kindern ein paar letzte Worte mit auf den Weg geben, die besagen, nicht dem Leben nachzugehen, welches Tag für Tag, allgegenwärtig in diesem Staate aufgezeigt wird.
Aber da ist niemand, dem ich diesen letzten Rat geben könnte. Niemand ist da, an den ich mein Leben weitergegeben habe – niemand, in dem sich die Sinnhaftigkeit eines Lebens widerspiegeln kann. Meine Augen halten der Müdigkeit nicht mehr stand. Ich schlafe ein und die Leere meines Lebens folgt der unendlichen Stille, die sich über ein ganzes Volk ausbreitet.
Ulrich Deppenberg

Quelle des Textes: RUW Ausgabe 5/2014
 

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