Medizinische Einrichtungen:

Medizinische Einrichtungen: Von der Stätte des Heilens zum Werkzeug der Dividendenoptimierung

Kolumne vom 18.12.2011

Es ist leicht zu sagen: "Früher war alles besser". Aber oft ist Erinnerung verklärt. Die negativen Dinge werden schnell vergessen. Was bleibt, sind die angenehmen Seiten, die netten Dinge, an die man gerne zurück denkt.
Die Schmerzen nach der Operation verblassen. Die nette Schwester, die sich auch schon mal eine viertel Stunde ans Bett gesetzt hat und einfach nur zuhörte, an die denkt man noch gerne zurück. Früher wurden Kliniken von der öffentlichen Hand finanziert, von der Kirche, von gemeinnützigen Trägergesellschaften.

Irgendwann einmal entdeckte die Wirtschaft, welch wunderbare Möglichkeiten der Dividendengenerierung so eine Einrichtung doch bieten kann. Die bisherigen Träger waren froh, diese nicht zu stopfenden Löcher in ihren Bilanzen los zu sein. Mit den frei werdenden Geldern konnte man so hübsche Skulpturen unbekannter Künstler vors eigene Rathaus
stellen. Das mancher dieser Künstler mit dem einen oder anderen Ratsmitglied verwandt war – wen kümmert´s?
Und mit Kliniken kann man richtig Geld verdienen. Dazu müssen natürlich einige Abläufe geringfügig angepasst werden.
Mal sehen: Hygienevorschriften? Ach da putzen wir einfach alles mit den richtigen Mitteln. Die lassen sich günstig bei einer Schwestergesellschaft desselben Konzerns beziehen.
Als Abfallprodukt erhält man dann die feinsten multiresistenten Keime, mit denen wunderbar das neu erworbene Forschungslabor mit Aufträgen versorgt wird. Finanziert werden diese mit Steuermitteln, schließlich dient das ja der Allgemeinheit.
Á propos Steuermittel: Durch den Erwerb der Klinik kann bietet es sich an, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu werden, das macht sich gerade bei der Steuererklärung im nächsten Jahr ganz hervorragend.
Mal sehen, wo kann man noch sparen?
Beim Personal! Die vollkommen überbezahlten examinierten Pflegekräfte werden durch innovative Dienstplangestaltung dazu bewegt, ihr wertvolles Wissen zu einem besseren Tarif im Vertrieb oder kaufmännischen Sektor anzuwenden. Dafür kann man dann Pflegehelfer zum selbst Anlernen einstellen. Menschen aus Niedriglohnländern bieten sich da an. Die bekommt man für weniger als die Hälfte. Die sind auch ungeheuer motiviert, werden sie doch nicht nach Stunden bezahlt, sondern bekommen ein monatliches Gehalt, fast wie richtige Angestellte. Deutsch lernen die so nebenher. Wenn sie in ihrer Dankbarkeit keine Überstunden aufschreiben, dann rechnet sich das nochmal. Es reicht ja, pro Schicht eine examinierte Kraft einzusetzen, dann ist dem Gesetz genüge getan. Und der Aufsichtsrat
zählt eh bloß die Köpfe.

Was geht noch?
Oh ja, die Pflegeabläufe. Da haben die Kollegen von der Pflegeversicherung schon gute Vorarbeit geleistet. Die haben alles standardisiert, in Normminuten umgerechnet und in Tabellen zusammen gefasst. Da können wir schon anhand des Krankheitsbildes festlegen, welchem Patienten welcher Pflegeaufwand zusteht. Ja, Planung ist alles.
Eine dringende OP muss verschoben werden? Prima, dann schicken wir den Patienten so lange nach Hause. Das Bett kann in der Zeit anderweitig belegt werden, wir haben mehr
Durchsatz und das macht sich in den Tarifverhandlungen mit den Kassen besser. Das die Patienten in der Zwischenzeit möglicherweise eine Vollzeitpflege finanzieren müssen – heh, die Sachbearbeiter in den Sozialämtern freuen sich, haben sie doch endlich mal etwas zu tun!
Die Aktionäre sinds zufrieden, schließlich sind sie Privatpatienten. Für die gelten sowieso andere Regeln. Die Kliniken haben Geld für neue Magnetresonanztomographen,
Hubschrauberlandeplätze und tolle Skulpturen vor dem Haupteingang. Die haben schließlich auch einen Verwaltungsrat.
Mit Verwandten.

Alle sind glücklich.

Wie, nicht alle?
Was auf der Strecke bleibt, ist der Mensch.
Ein junger Mensch zum Beispiel, der gerade erfahren hat, dass er nie wieder laufen wird. Der gerade zu begreifen beginnt, was das für ihn bedeutet. Eine Person, die einfach mal ein paar Minuten zuhört, ihm das Gefühl gibt, nicht allein zu sein – dafür gibt es keine Norm-Minuten.
Die alte Dame, die sich den Oberschenkel gebrochen hat und gar nicht versteht, wo jetzt so
plötzlich der schlimme Brechdurchfall her kommt. Ihr zu erklären, dass es in der Klinik besser ist, nach dem Toilettengang die Hände zu desinfizieren und zwar so, dass es durch ihr nicht mehr so gut funktionierendes Gehör dringt – auch das steht in keiner Zeitvorgabe-Tabelle.
Und wenn, wer sollte es denn erklären?
Der kurdische Pflegehelfer, der so stolz darauf ist, dass er schon "Guten Morgen" und" Wie fühlen Sie sich heute?" auf deutsch sagen kann?
Die ältere Helferin aus Kasachstan, der es immer noch widerstrebt, gebrauchte Spritzen einfach wegzuwerfen - und zwar in den dafür vorgesehenen Spazielbehälter. Wenn die Kaufleute wüssten, was man alles wieder verwenden kann ...

Oder vielleicht die deutsch sprechende Pflegerin, so schnell mal zwischen Urlaubsplan anpassen, Blut abnehmen, Verbandwechsel und Medikamente richten? Die man zur
Abteilungsverantwortlichen erklärt hat, mit zwei Wochenstunden extra, die sie für die Verwaltungsarbeit aufschreiben kann. Das hat früher mal die Stationsletung gemacht. Aber eine examinierte Pflegekraft, die sich für das bisschen Dienstplangestaltung den Hintern platt sitzt, die ist in der Kostenplanung einfach nicht mehr unterzubringen.

Der Mensch passt in dieses ökonomische Kalkulationsmodell nicht mehr hinein. Dinge, wie: Gesundheit, Geborgenheit oder Wohlbefinden lassen sich weder in Euro, noch in Pfund, Dollar oder Yen ausdrücken. Der Mensch lässt sich weder rabattieren, noch pönalisieren.
Genau aus diesem Grund wurden früher medizinische Einrichtungen von der öffentlichen Hand getragen und von uns allen bezahlt – im vollen Bewusstsein, dass der Gewinn in
einem ganz anderen Bereich liegt. Im Bewusstsein, dass Menschen sich eben nicht bilanzieren lassen. Das muss bei den modernen Volks- und Betriebswirtschaftlern irgendwo zwischen Lehrplan und Vorlesung verloren gegangen sein.
Was der Faktor Mensch in der heutigen Zeit noch Wert ist, lässt sich schon daran erkennen, dass die Personalabteilung vieler Firmen heute "Human Resources" heißt.
Aber vielleicht hat es den Bilanzjockeys und DAX Junkies noch nie jemand in ihrer eigenen Sprache erklärt. Also, ganz langsam, zum Mitschreiben:

Den Menschen als hochflexible Ressource zur Dividendenoptimierung zu betrachten, ist schlichtweg suboptimal und entbehrt jeglicher Nachhaltigkeit.
Kapiert?

Bürgerreporter:in:

Klaus-Dieter Dingel aus Bad Wildungen

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