Barrierefreie Hauptstadt? Es kommt darauf an, wie man es sieht.

Barrierefreie Hauptstadt? Es kommt darauf an, wie man es sieht.

Kolumne vom 06.06.2013

Wie nennt sich das eigentlich, wenn zwei Leute sich gut verstehen, die Chemie stimmt, man gute Gespräche führt und auch miteinander lachen kann? Im deutschen Sprachraum ist das gar nicht so einfach, da haben es unsere Nachbarn leichter.
Freunde wäre zu viel, Bekannte zu wenig - Kollegen?
Kollegen ist gut, schließlich schreiben wir für denselben Verlag.

Also, da ist diese Kollegin. Eigentlich ist sie ne ganz liebe.
Die aber auch mal muffig werden kann, speziell, wenn mal wieder ein Sozialsachbearbeiter glaubt, Selbstbestimmung wäre etwas, woran man sparen könne.
Aber das ist eine andere Baustelle.
Sie hat eine Geschichte erlebt, die sogar für unsereins nicht ganz alltäglich ist.
(Außer für die Berliner Rollifraktion vielleicht, die scheint da abgehärteter zu sein.)

von Robert Schneider

Meine Kollegin fliegt geschäftlich nach Berlin.
Das an sich ist jetzt nicht unbedingt eine große Meldung wert.

Sie möchte mit dem Taxi vom Flughafen zum Hotel fahren.
Auch keine Geschichte, die den Abend füllt.

Sie ist auf einen Rollstuhl angewiesen.
Oh, da geht aber nicht jedes Taxi.

Kein Faltrollstuhl - ein E-Rolli.
Jetzt verspricht es, interessant zu werden.

Aber wir sind immerhin in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.
Von wegen ...

In manchen Ländern, zum Beispiel in Spanien, stehen entweder geegnete Rollstuhl-Taxis schon am Flughafen, oder der nächstbeste Fahrer fragt in seiner Zentrale nach.
Ein paar Minuten später ist der Wagen da, mit vielen Entschuldigungen, weil es so lange gedauert hat.

Meine Kollegin ist sich nicht sicher, ob das hier auch funktioniert, sie schaut erstmal im Internet nach.
Bis nächsten Dienstag sind es ja noch ein paar Tage.
Auf den Suchbegriff "Behindertentaxi" gibt die Suchmaschine gleich ein paar Ergebnisse zurück.

Anruf bei der ersten Nummer.
"Oh je, das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen, welche Fahrten der Chef für den nächsten Dienstag gebucht hat."
Der Chef ist jetzt auch unterwegs. Funk? Handy?
Nicht erreichbar.

Mal sehen was die nächste Nummer her gibt.
Da geht erst gar keiner dran. Nochmal per Suchmaschine überprüft, die Nummer stimmt, geht keiner dran, noch nicht mal eine Anrufbeantworter.

OK, nächste Nummer:
"Wir fahren nur für öffentliche Kostenträger."
"Hallo, ich zahle bar" - aufgelegt.

Nächste Nummer: "Es tut uns leid, aber wir dürfen den Flughafen nicht anfahren."
Ob die zu schnell durchs Terminal gerast sind? "Man weiß es nicht", würde der große deutsche Philosoph S. Raab jetzt sagen.

Das nächste Unternehmen ist für den nächsten Dienstag schon ausgebucht. "Tut uns leid, alles voll."

Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Das ist die Bundeshauptstadt, keine Karawanserei mitten in der Wüste.
Aber wahrscheinlich bekommt man in Südostanatolien oder am Hindukusch leichter eine Mitfahrgelegenheit!

Nach weiteren vergeblichen Versuchen, ruft sie in ihrem sozialen Netzwerk um Hilfe.
Ein befreundeter Journalist verspricht, es an den Pressedienst weiter zu geben.
Das ist auch gut so, aber im Moment hilft es nicht unbedingt weiter.

Ein anderer Internet-Freund hat noch eine weitere Telefonnummer.
Sie führt eine nicht allzu befriedigende Unterhaltung - mit einem Anrufbeantworter.

Die Firma, die nicht zum Flughafen fahren darf, verspricht, dass sich der Geschäftsführer melden wird.

Nächste Nummer, oh, es geht jemand ran - eine ungewohnt freundliche Stimme: "Wie, nächsten Dienstag? Um wieviel Uhr?"
Fast schon entsetzt vor dem sich plötzlich anzeichnenden Erfolg gibt sie die Daten durch.
"OK, wir sind dann da."

Fassungslos schaut sie ihr Telefon an. Hat sie das jetzt geträumt? Nein, die freundliche Dame ist noch dran, kann sich auch nicht erklären, warum die anderen Unternehmen kein Geld verdienen wollen. "Schönen Tag noch."

In der Zwischenzeit ist im Internet eine heiße Diskussion über Beförderungspflicht, unterlassene Hilfeleistung, hauptstädtische Skandale und nicht beförderte Blindenführhunde entbrannt.

Ist es nicht schön, in einem zivilisierten Land mitten in Europa zu leben?

Bürgerreporter:in:

Klaus-Dieter Dingel aus Bad Wildungen

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