Germania-Grasdorf-Chef Wolfgang Weiland: "Es scheint so, als würde ein Vereinsleben individuell nicht mehr so benötigt"

Germania-Grasdorf-Chef Wolfgang Weiland. | Foto: Wolfgang Weiland
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Wolfgang Weiland ist der Vorsitzende des SV Germania Grasdorf. Im E-Mail-Interview verrät er, was die jüngste Sparte des Vereins auszeichnet und warum er sich Sorgen um die Zukunft der Germanen macht.

Sie sind der Vorsitzende des SV Germania Grasdorf. Was zeichnet den Verein aus?

Ich möchte diesen Fragenkomplex etwas ausführlicher beantworten und verspreche, den Platz bei den nächsten Fragen möglichst einzusparen.
Wenn ich mir die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft ansehe, damit meine ich auf der einen Seite die Finanzkrise und damit einhergehende individuelle berufliche und finanzielle Sorgen, beruflichen und schulischen Druck und Stress sowie knappere Zeitressourcen bei den Menschen, andererseits aber eine dazu fast widersprüchliche Event- und Spaß-Gesellschaft erlebe, kann ich sagen, dass dies auch genau auf unseren Verein zutrifft.
Wir Germanen können auf eine über 100-jährige Tradition verweisen. Rückblickend konnten alle gesellschaftlichen, räumlichen und organisatorischen Anforderungen an den Verein bis hin in die Gegenwart des Jahres 2009 gemeistert werden.
Seine sportlichen Möglichkeiten hat Germania Grasdorf stets versucht, optimal zu gestalten und zu verbessern. Das gilt sowohl für den Bereich Fußball, als auch für das Tischtennis. Dabei läuft es manchmal besser und hin und wieder weniger gut. Die vergangenen 40 Jahre waren in allen Sparten recht erfolgreich und gut für das Image unseres Vereins und auch der Stadt. Eine gute, erfolgreiche Jugendarbeit war und ist dabei auch die Basis für eine konstante Klasse im Erwachsenenbereich.
Aber auch außerhalb des Fußballplatzes und der Sporthalle lebten und leben die Germanen noch heute gerne die „Dritte Halbzeit“. Heute noch zeugt beispielsweis der regionsbekannte „Winterball“ am letzten Wochenende im Januar davon.
Herauszuheben ist auch die besondere Leistung der Nachkriegsgeneration, die es mit großem Engagement und Idealismus geschafft hat, eine Bleibe und ordentliche Funktionsräume für die Vereinsmitglieder zu schaffen. Das Klubhaus Zur Leinemasch in der Ohestraße bietet dabei nicht nur für die Germanen einen Treff für das Bierchen nach dem Training oder Spiel, sondern auch Raum für Veranstaltungen aller Art.

Und wo zwickt es?

Leider unterliegt auch unser Verein dem allgegenwärtigen gesellschaftlichen Wandel. Der Wandel von einem, vorsichtig ausgedrückt, „Dorfverein“, in dem die meisten Vereinsmitglieder von Geburt an bis zum Tod dem Klub angehören, hin zu einem Sportverein mit städtischen Attributen ist deutlich zu erkennen. Es fehlt oftmals die Identifikation und Bindung zum Verein oder die Aussage, das ist „mein Verein“. Der Drang sich immer wieder zu verändern, ist stets zu spüren. Hinzu kommt, dass die große Palette an Freizeitmöglichkeiten, und damit eng verbunden ein verändertes Freizeitverhalten, immer mehr Menschen davon abhält, zumindest längerfristig einem Verein beizutreten.
Es scheint so, als würde ein Vereinsleben individuell wohl nicht mehr so benötigt und wird deshalb auch nicht mehr in dem Maße gesucht wie früher. Die Mitgliedschaft verläuft meist nur temporär für die eigene aktive Zeit, was zur Folge hat, dass es immer weniger passive Mitglieder gibt, die die Aktivitäten des Vereins mit unterstützen können. Letztlich bedeutet alles zusammen, dass wir sinkende Mitgliederzahlen erleben, was sich gleichzeitig auch im finanzielle Bereich durch fehlende Beiträge auswirkt.
Bei gleichzeitiger Erhöhung der Ansprüche, zumindest der aktiven Mitglieder, auf Leistungen des Vereins zur Ausübung des eigenen Hobbys, kann eine Finanzierung nur über höhere Beiträge erfolgen. Dieser Spagat wird immer schwieriger und stellt ein sehr großes Problem dar, weil sich höhere Beiträge natürlich abschreckend auf eine mögliche Mitgliedschaft beim SV Germania Grasdorf auswirken können.
Sie sehen also, dass auch in den Vereinen „ohne Moos nichts los ist“ und man schon sehr rege sein muss, um wirtschaftlich zu überleben und nicht an Attraktivität zu verlieren. Oftmals kann hier nur ein ausgefeiltes und optimales Sponsoring helfen. Dies ist grundsätzlich schon keine einfache Aufgabe und in zunehmend wirtschaftlich schlechten Zeiten auch kein großes Amusement.

Germania Grasdorf ist ein Drei- Sparten-Verein. Gibt es eine Sparte, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

Dazu habe ich einen klaren Standpunkt. Ich bin der Vorsitzende aller Mitglieder und somit haben bei mir auch alle drei Sparten die gleiche Gewichtung, obwohl natürlich klar ist, dass die Fußballer die Kernsparte des Vereins sind, allein schon was ihren Ursprung und ihre Größe betrifft. Für diesen Bereich, der sich noch in Herren- und Jugendfußball unterteilt, muss man eben schon etwas mehr Zeit einplanen und aufwenden.

Der SV Germania Grasdorf ist 1908 gegründet worden und hat eine lange Historie. Welches ist denn Ihre jüngste Sparte?

Das ist unsere Gymnastiksparte, die es erst seit 1977 gibt. Einigen Fußballerfrauen war es damals zu wenig, dass sich nur ihre Männer zum Sport und zur Ausübung ihres Hobbys trafen. Viele der damaligen Spartengründerinnen sind heute noch aktiv.
In dieser Sparte mit vielen Nuancen wie Gymnastik, Aerobic, Mutter-Kind-Turnen und Kinderturnen wird absoluter Freizeitsport ohne irgendwelchen Leistungsgedanken betrieben. Das ist auch gut so und soll so bleiben. Mit Adelheid Seemann ist in diesem Bereich unsere älteste, aktive Übungsleiterin tätig.

Viele Vereine beklagen das fehlende Engagement des Nachwuchses. Welche Beobachtungen machen Sie bei Germania Grasdorf?

In diese Wehklage kann ich voll mit einstimmen. Obwohl politisch alles versucht wird, ehrenamtliches Engagement zu fördern und zu unterstützen, bin ich nicht sehr optimistisch was die Zukunft angeht. Letztlich muss durch die sogenannten Funktionäre schon ein sehr hoher Aufwand betrieben werden, um neben dem Privat- und Berufsleben die vielen staatlichen und verbandlichen Forderungen sowie die satzungsgemäßen Rechte und Pflichten der Vereinsmitglieder zu steuern.
Oftmals fühle ich mich zum Beispiel wie einer, der einen kleinen Betrieb mit 600 Menschen, in seiner Freizeit, ohne Aufwandsentschädigung, mit wenig Lob, aber viel Tadel und dann noch unter dem Druck möglicher Teilhaftung seines Privatvermögens leitet. Dabei bin ich auch nur ein Mitglied des Vereins und führe diesen satzungsgemäß und ehrenamtlich im Auftrag der Mitglieder.
Wie ich schon erwähnte, fordert das heutige Mitglied, entweder persönlich oder über die Eltern, beste Ausstattung und optimale Betreuung in der Zeit der Ausübung seines Sports. Danach wird der Verein dann auch mit guten Erfahrungen aus unterschiedlichsten Gründen, die nicht weiter zu kommentieren sind, verlassen.
Hier wünschte ich mir, dass von Menschen, die selber jahrelang trainiert und meistens gut betreut wurden, dass sie mehr an den Verein zurückgeben würden und sich auch mal in den Dienst des Vereins stellen würden. Ich sehe einen Verein eigentlich als eine Zweckgemeinschaft oder einen Zusammenschluss Gleichgesinnter zur Erreichung eines Zieles. Das ist leider aber mehrheitlich nicht immer so.
Zum Glück gibt es im Jugendbereich immer wieder Eltern, die zumindest in der aktiven Zeit ihrer Kinder, den Verein unterstützen. Ohne diese Leistung der Eltern würde ein Verein heute gar nicht mehr funktionieren. Wenn diese Unterstützung auch noch wegbrechen sollte, wird es meiner Meinung nach, künftig nur noch Sport für sehr viel Geld als Dienstleistung gegen Bezahlung geben. Vielleicht sehe ich da zu schwarz und bin gespannt.

Wo sehen Sie den Verein in zehn Jahren?

Sie kennen die Aussage, „Prognosen sind schwierig besonders, wenn sie in die Zukunft gerichtet sind!“ Dazu gibt es eigentlich nicht viel hinzuzufügen.
Aber mal Spaß beiseite. Konkret wird sein, dass
1. ich dann wohl nicht mehr der Vorsitzende sein werde,
2. ich glaube, dass es ihn noch gibt und man
3. weiter an der Ohestraße Fußball und Tischtennis spielt.
Etwas abstrakter denke ich allerdings, dass die demografische und wirtschaftliche Entwicklung und die weitere Bereitschaft von Mitgliedern etwas für den Verein zu tun, ein Schlüssel dafür sein werden, wie sich der SV Germania Grasdorf weiter entwickeln und dann darstellen wird. Ich vermute, dass der Dienstleistungsgedanke noch weiter in den Vordergrund rückt und auch nicht mehr genügend „echte ehrenamtliche Mitstreiter“ zur Verfügung stehen werden, um so einen „mittelständischen Betrieb“ in der Freizeit zu managen. Ich glaube, man wird mehr hauptamtliche Kräfte im Verein benötigen.
Es würde mich sehr freuen, wenn es sich anders entwickelt.

Mal abgesehen von Germania Grasdorf: Was macht Laatzen lebenswert?

Die gute Infrastruktur, die für den Alltag der hier lebenden Menschen sehr hilfreich ist, die Naherholungsgebiete und die kostenfreie Nutzung der Sportanlagen und Sporthallen.

Und was sollte in Laatzen besser werden?

Die meisten Straßen müssten überarbeitet werden, insbesondere die Ohestraße und der Parallelweg zu unserer Sportanlage. Deren beider Zustand ist so nicht länger zu akzeptieren.
Die Stadtverwaltung sollte sich darüber im Klaren sein, dass dies unserem Verein als einem Aushängeschild der Stadt Laatzen, dessen Sportlern, Besuchern und Gästen nicht länger zuzumuten ist. Schließlich zahlt der Verein mittlerweile auch Grundsteuern.
Den Rückbau der Marktstraße sollte man lassen. Eine Flaniermeile, wie sie einigen vorschwebt, kann ich mir dort beim besten Willen nicht vorstellen, weil in der Gegend alle Voraussetzungen und die notwendigen Rahmenbedingungen für ein solches Projekt fehlen.
Aus der Wohnstadt Laatzen lässt sich kein Berlin und aus der Marktstraße keine Straße Unter den Linden machen.
Man sollte das Geld lieber in die Verbesserung der Schulen, Spielplätze oder Sportstätten investieren, beispielsweise für einen Kunstrasenplatz an der Grundschule Grasdorf, der in der schlechten Jahreszeit dann von mehrerem Vereinen genutzt werden könnte.

Fußballer der SpVgg Laatzen und des FC Rethen schreiben auf myheimat, dem Mitmachportal der Leine-Nachrichten, von den Punktspielen ihrer Teams, der VfL Grasdorf berichtet über die seine Tennisspiele und die Tanzsparte. Können Sie sich das für Ihren Verein auch vorstellen?

Ich hätte überhaupt nichts dagegen und würde mich sehr freuen, wenn das so wäre. Zur Umsetzung bedarf es aber wieder besonders engagierter Personen, die bereit sind, die Zeit dafür aufzubringen. Ich jedenfalls werde jeden ermuntern, dies zu tun.

myheimat-Team:

Annika Kamissek aus Bad Münder am Deister

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