Ein weiter Weg in die Freiheit, von Afghanistan nach Amöneburg

Die Flüchtlingsbilder in den Medien lassen meine eigene Flucht wieder aufleben, sie wird mich mein Leben lang begleiten so Nessar Ahmad Niazi in einem Vorgespräch.
Er lebte mit seiner Familie in Kabul, machte das Abitur und studierte. Das Leben im Land verschlechterte sich schlagartig mit dem Einmarsch der Russen. Demonstrationen waren an der Tagesordnung, Studenten, auch mein Bruder und ich gingen auf die Straße. Leider blieb der Widerstand nicht friedlich es kam zu Explosionen, an denen mein Bruder und ich nicht beteiligt waren. Mein Vater bangte um unser Leben und organisierte die Flucht. Bis es soweit war mussten wir uns verstecken, verbrachten viel Zeit in Kellern. Wir hörten von den Verhaftungen vieler Studenten, die zum Großteil in den Gefängnissen starben. Mein Bruder hatte schon Frau und Kind, wir machten uns 1982 auf den Weg von Kabul in Richtung Pakistan. Der Fußmarsch in der ersten Woche führte nur über Berge und steinige Wege. Wir übernachteten im Schutz der Wälder. Als wir in 5000 m Höhe ankamen, suchte unser Schlepper diesen Ort für die Übernachtung aus. Die Nacht wurde sehr sehr kalt, wir hatten keine Decken und warme Kleidung. Unser großes Glück war, das Teppichhändler mit ihrer Karawane zu uns stießen. Sie machten dem Schlepper große Vorwürfe, da wir ohne die Hilfe der Händler, die uns warme Decken gaben, diese Nacht wohl nicht überlebt hätten. Wir wurden noch mit warmen Tee versorgt. Diese Händler waren unsere Retter so dass wir am nächsten Tag uns weiter auf den Weg machen konnten. Nach einem längeren Marsch sahen wir in der Ferne Rauch. Als wir näher kamen standen wir vor einem Lokal in dem Händler auf ihrer Reise übernachteten. Dort aß auch gerade ein Lastwagenfahrer. Wir fragten ihn ob er uns mitnehmen könne. Da im Führerhaus nicht für alle Platz war, musste ich auf der Ladefläche, welche übersät mit Tierkot war Platz nehmen. Nach dieser Fahrt waren wir müde und ich hatte durch diese Fahrt Schmerzen am ganzen Körper. Ich sehnte mich nach einer Reinigung da ich nach Tierkot stank. Wir kamen in Peschau an einem recht vornehmen Hotel vorbei und fragten nach freien Zimmern. Dort verwehrte man uns die Zimmer und es platzte aus mir raus, sparte nicht mit Schimpfwörtern. Es gibt ein Ehrenkodex, dass wenn ein Feind vor deiner Tür steht, du ihm Schutz gewährst. Nach meinem Auftritt bekamen wir dann unsere Zimmer. Wir konnten duschen und schlafen um für die weitere Reise gestärkt zu sein. Wir bekamen mit, das man mit Hilfe von Widerstandskämpfern Papiere bekommen konnten, die für unsere weitere Flucht wichtig waren. Als man hörte das wir aus Kabul waren, wurde uns vorgeworfen als Spione unterwegs zu sein. Der Zufall wollte es, das ich einen Bekannten aus Kabul auf der Straße traf. Er sendete unserem Vater eine Nachricht das wir wohlauf waren, und besorgte uns die so wichtigen Papiere. Wir machten uns auf den Weg zum Flugplatz um in Richtung Indien zu fliegen. Dort angekommen durften wir nicht ausreisen, und verbrachten fünf Tage auf dem Flugplatzgelände. Dieser Teil unserer Flucht war ein Rückschritt, denn die Flughafenpolizei setzte uns in ein Flugzeug nach Afghanistan. Niedergeschlagen landeten wir wieder in Peschau der Ort von dem aus wir in die Freiheit fliegen wollten. Unser Geld war aufgebraucht, eine Zukunft sahen wir nicht mehr. Dort angekommen hatten wir das große Glück, einen Cousin zu treffen, der ebenfalls geflüchtet war. Über seine Kontakte organisierte er Geld von unserem Vater, so dass wir uns endlich weiter auf den Weg machen konnten. Unser Cousin empfahl uns einen Flieger nach Frankfurt am Main zu besteigen, damit wir in Sicherheit wären. In Frankfurt angekommen kamen wir in ein Sammellager, Untersuchung fanden statt um auszuschließen, das wir ansteckende Krankheiten mit ins Land gebracht hatten. Ende März 1982 kamen wir mit einem Bus in Amöneburg an. In einem Haus in der Kesselgasse wohnten schon Menschen aus Afghanistan. Es war eine kalte Jhreszeit, die Bewohner hatten Langeweile und sie schliefen viel. Ich wollte mich bewegen und erkundete den Berg auf meinen täglichen Spaziergängen. In dieser Zeit lernte ich Reinhard Forst und seine Familie kennen. Wir hatten nun Kontakt zu dortigen Einwohnern was für uns sehr wichtig war. Menschen die es gut meinten kochten für uns die Mahlzeiten, eine Ernährung die weit von unserer entfernt war. Dem Verhandlungsgeschick von Reinhard Forst war es zu verdanken, dass wir nun unser Essen selber kochen konnten. Es kam etwas Struktur in unser Leben, da wir nun eine kleine Aufgabe hatten. Ich konnte mit einem Bekannten in Bad Homburg telefonieren der sich in seiner Situation in die Drogen geflüchtet. Auf die Frage wie es ihm gehe bekam ich zur Antwort „täglich etwas sterben“. Ich wollte mehr, nicht solche düsteren Aussichten. Im Sommer 1982 bekam ich in Amöneburg einen 1 DM Job. Es kam Struktur in mein Leben, ich hatte eine Aufgabe und was auch wichtig war, der Kontakt zu den Amöneburgern. In dieser Zeit lernte ich auch meine jetzige Frau, sie stammte aus Großseelheim, kennen. Unsere Beziehung wurde von der Mutter meiner Freundin überschattet, die ihre Tochter aus dem Haus warf, da sie keinen Flüchtling als Freund für sie wollte. Reinhard Forst, er war für uns in Amöneburg, sehr wichtig geworden, schaffte es für uns ein Zimmer zu besorgen. Mittlerweile wurde mein Asylantrag zum zweiten Mal in Hessen abgelehnt was bedeutete, das ich in diesem Bundesland keinen weiteren mehr stellen durfte. 1983 heirateten wir und wohnten kurz in Großseelheim. Die Wohnungssuche gestaltete sich sehr schwierig, man wollte nicht an einen Flüchtling vermieten. Durch die Kontakte der Schwiegermutter zogen wir in eine Wohnung in Stadtallendorf. Gleichzeitig eröffnete ich das Widerspruchsverfahren in Nordrhein Westfalen, um endlich als Asylant anerkannt zu werden. In dieser Zeit flüchteten noch weitere Familienmitglieder und ich hatte nun auch die Verantwortung für sie. Ich arbeitete in einer Firma die Wolle verarbeitete. Die Arbeitsbedingungen waren erniedrigend, Beleidigungen und Unmenschlichkeit gegenüber der ausländischen Belegschaft an der Tagesordnung. Ich wandte mich an das Arbeitsamt um die Möglichkeit einer Umschulung zu bekommen, konnte nun eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker machen. Ich schloss diese Ausbildung ab, war aber nicht so glücklich damit, da ich, wenn ich in diesem Beruf hätte arbeiten wollte nach Frankfurt gemusst hätte. Zu dieser Zeit suchte OBI Mitarbeiter und ich bewarb mich, machte nun erneut eine Ausbildung, mit einem Fernlehrgang zum Master-Verkäufer. Neben dieser Ausbildung hatte ich noch zwei Putzstellen, da ich die Verantwortung für meine kleine Familie hatte, auch waren da noch die Familienmitglieder die unterstützt werden mussten. Heute bin ich Abteilungsleiter bei OBI und der Ausbildungspate für drei minderjährige Flüchtlinge, die ihre Ausbildung machen wollen, um wie ich ein unabhängiges und gutes Leben führen zu können.
Die Flucht konnten wir nur durch glückliche Umstände überleben, das Leben in Amöneburg wurde uns durch die Amöneburger, die uns gegenüber nie negativ auftragen, erleichtert. Reinhard Forst mit Frau und Kindern sind unsere Familie geworden. Ohne sie wären für uns einige Türen verschlossen geblieben, sie halfen uns auch finanziell über schwierige Zeiten. Noch heute ist der Berg für mich ein Ort an dem ich öfters verweile, Kraft schöpfe, die ich schon im März 1982 von diesem wunderschönen Ort bekam. Auch meine Kinder und Enkel haben den Ort lieben gelernt.
Meine Frau und ich haben vier Kinder und mittlerweile fünf Enkelkinder.
1986 kam sie endlich meine Anerkennung, den Status eines Asylanten. Hatten schon all meine Familienmitglieder diese Anerkennung, wurde sie mir vier Jahre wegen eines Formfehlers, wie sich später herausstellte von Seiten der Behörden, verwehrt.
Mein Bruder und seine Familie leben heute in Solingen. Mein Bekannter, mit dem ich Anfang der 80er Jahre telefonierte, starb an seinem Drogenkonsum.

Am 8. August berichtete Nessar Ahmad Niazi über seine Flucht, die vor 36 Jahren begann. Herr Niazi ist mit der Veröffentlichung der Zeilen und seines Bildes einverstanden.

Der Ortsbeirat von Amöneburg, federführend Andreas Möller-Forst, lädt alle zwei Monate zu dem Abend „Berg-er-leben“ ein. Diese Abende wurden schon von unterschiedlichen Menschen gestaltet. Am 10.10. geht es um das Thema „Wohnberatung“ zum Jahresende am 12.12. berichtet ein Neu - Amöneburger über seine „Reisen quer durch die Welt“. Diese Abende beginnen um 19:30 Uhr und finden in dem barrierefreien Pfarrheim auf der Amöneburg statt.

Bürgerreporter:in:

CHRISTINE Stapf aus Amöneburg

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