Vor 70 Jahren wird in Tübingen eins der letzten Todesurteile in Westdeutschland vollstreckt

Die 1949 eingesetzte Guillotine in einer Sonderausstellung des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe, 2018. | Foto: Dr. Erich Viehöfer, Strafvollzugsmuseum Ludwigsburg
  • Die 1949 eingesetzte Guillotine in einer Sonderausstellung des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe, 2018.
  • Foto: Dr. Erich Viehöfer, Strafvollzugsmuseum Ludwigsburg
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Kalenderblatt:
Heute vor 70 Jahren wird in Tübingen (Baden-Württemberg) das letzte, von einem westdeutschen Gericht verhängte Todesurteil vollstreckt

„Richard Schuh, Ihr Leben ist verwirkt!“ Am Freitag, dem 18. Februar 1949, drei Monate vor der Grundgesetz-Verkündung, wurde frühmorgens im Innenhof des Gefängnisses in der Tübinger Doblerstraße 18 der Raubmörder Richard Schuh mit der Guillotine hingerichtet. 

Richard Schuh (1920-1949) war der uneheliche Sohn einer Bauerntochter aus Remmingsheim nahe Tübingen. Der gelernte Mechaniker hatte ab 1939 bei der Luftwaffe gedient, war zeitweise als Bordschütze eingesetzt und war später in amerikanische Kriegsgefangenschaft gekommen. Später schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Da er sich auf diese Weise seinen Lebensunterhalt nur mühsam sichern konnte, erschoss er aus niederen Beweggründen am 28. Januar 1948 bei Herrenberg den 46 Jahre alten LKW-Fahrer Hans Eugen Roth aus Böblingen. Schuh ging es um die neuen Reifen an Roths Fahrzeug, die er auf dem Schwarzmarkt verkaufen wollte.
Richard Schuh wurde bald nach der Tat gefasst und am 14. Mai 1948 vom Tübinger Landgericht wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zum Tode verurteilt. Der Staatspräsident des Landes Württemberg-Hohenzollern, Gebhard Müller (1900-1990), lehnte die Begnadigung des geständigen Mörders ab.
Scharfrichter Burkhard reist am 17. Februar 1949 an 
Die letzte Stunde Schuhs, der in der Landesstrafanstalt Rottenburg einsaß, schlug am 18. Februar 1949. Als Vollstrecker des Urteils fungierte der Scharfrichter Wilhelm Burkhard (1906-1963) aus Endingen am Kaiserstuhl, er reiste am 17. Februar an. Burkhard entstammte einer alten Scharfrichtersippe und war der Neffe des im Amte vorausgegangenen Karl Burkhard (1872-1945), der 1937 aus dem Dienst ausgeschieden war. Wilhelm Burkhard wurde 1945 als Scharfrichter in der französischen Besatzungszone in Baden eingesetzt.
Nachdem das Justizministerium die Hinrichtung auf Freitag, 18. Februar 1949, terminiert hatte, wies Oberstaatsanwalt Richard Krauß den Vorstand der Landesstrafanstalt Rottenburg am 15. Februar („Streng vertraulich! Persönlich!“) an, den Gefangenen Schuh „unter sorgfältigster Bewachung“ spätestens bis Donnerstag, 17. Februar, ins Landgerichtsgefängnis zu überstellen, dabei den Zweck des Verschubs „streng geheim zu halten“.
Am Vorabend der Hinrichtung brachte man Richard Schuh in eine geräumige Zelle und ließ ihn von zwei Wärtern beaufsichtigen. Auch der Rottenburger Gefängnispfarrer, der die seelsorgerische Betreuung vor und während der Hinrichtung übernahm, nahm dort seinen Platz ein. Oberstaatsanwalt Richard Krauß, der seit 1930 bei der Staatsanwaltschaft Tübingen beschäftigt gewesen war, notierte in seinem abschließenden Bericht ans Justizministerium: „Gegen 18 Uhr war das Gerät am äußeren Gefängnishof aufgestellt. Es wurde hernach besichtigt und eine Fallprobe wurde vorgenommen.“ Krauß hatte den Oberbürgermeister Wolfgang Mülberger (1900-1983) im Zuge der Vorbereitungen aufgefordert, „12 Personen aus den Vertretern oder aus anderen achtbaren Mitgliedern der Stadtgemeinde abzuordnen, um dieser Hinrichtung beizuwohnen und während dieser Hinrichtung die kleine Rathausglocke zu läuten“.
Gegen Abend, so der Oberstaatsanwalt später in seinem Bericht, habe Schuh noch erwogen, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beauftragen. Allerdings: „Nachdem er über die Aussichtslosigkeit eines solchen Unternehmens unterrichtet worden war, nahm er davon Abstand.“
Sechs Briefe verfasste Richard Schuh noch, den ersten abends um 20 Uhr, den letzten – an den Rottenburger Gefängnisdirektor: „Ich halte mich an Ihre lieben Worte!“ – frühmorgens um 5.28 Uhr.
Zur festgesetzten Stunde ließ der Oberstaatsanwalt den Delinquenten in den Gefängnishof führen und das Prozedere mitteilen. Der Urkundsbeamte verlas das Todesurteil und die Entschließung des Staatspräsidenten. Nach einem Gebet des Pfarrers mit Schuh wandte sich Krauß an den Delinquenten mit den Worten: „Richard Schuh, Ihr Leben ist verwirkt! Gehen Sie mutig und gefasst Ihren letzten schweren Gang mit dem Bewusstsein, dass Sie nur dadurch Ihre Schuld sühnen und sich von Ihrer Todsünde reinigen können. Gott sei Ihrer Seele gnädig!“ Sodann beauftragte er den Henker: „Scharfrichter, ich übergebe Euch den Richard Schuh mit dem Befehl, ihn dem Urteil gemäß zu richten vom Leben zum Tode.“
Nach 10 Minuten ist alles vorbei 
Der Verurteilte war danach laut Protokoll „völlig beherrscht“ und „gab keinen Laut von sich“. Der Scharfrichter und seine Gehilfen führten ihn rasch auf das Schafott. Der Verurteilte ließ die Enthauptung „völlig ruhig und gefasst und ohne einen Laut“ über sich ergehen. Der Geistliche sprach zum Ende nochmals ein lautes Gebet. Der Leichnam wurde von dem Scharfrichter und seinen Gehilfen in einen bereitstehenden Sarg gelegt und den Beauftragten des anatomischen Instituts der Universität Tübingen übergeben. Der ganze Akt der Hinrichtung dauerte von der Vorführung bis zur Enthauptung 10 Minuten.
Hinterher bestätigte das anatomische Institut „die richtige Ablieferung der Leiche“. Der Kopf wurde daraufhin für wissenschaftliche Zwecke verwendet und der „Rest als Dauerpräparat vorgesehen“.
Noch am gleichen Tag, am 18. Februar 1949, berichtete die Staatsanwaltschaft Tübingen dem Direktor der Landesstrafanstalt Rottenburg a.N., Altmann, kurz und bündig, dass Richard Schuh am gleichen Tage zwischen 6 Uhr und 6:10 Uhr im Hof des Gerichtsgefängnisses Tübingen hingerichtet worden sei.
Richard Schuh war der letzte von einem bundesdeutschen Zivilgericht verurteilte Täter. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft, das die Todesstrafe in Deutschland abschaffte. Die Guillotine, mit der Schuh enthauptet wurde, wurde aus dem Gerichtsgefängnis in Rastatt herbeigeholt, sie musste vor Ort montiert werden. Sie ist heute im Ludwigsburger Strafvollzugsmuseum ausgestellt. Einer von Schuhs Abschiedsbriefen war an eine junge Frau gerichtet, die 1947 eine von ihm stammende Tochter zur Welt gebracht hatte und mit derselben 1952 in die USA auswanderte.
Bereits wenige Monate später wurden weitere Todesurteile vollstreckt, und zwar mittels Guillotine am 9. Mai 1949 im Untersuchungsgefängnis Hamburg-Stadt an den Mördern Robert Amelung und Peter Steinhauer. Als Scharfrichter fungierte hier der Hannoveraner Friedrich Hehr (1879-1952). Dieses Todesurteil aber, wie auch spätere Todesurteile, wurde von einem britischen Militärgericht verhängt. Diese Praxis steht dann allerdings auf einem anderen Blatt Papier. 
Verwendetes Schriftgut:
ZEIT Nr. 06/1948
Hans-Joachim Lang: Richard Schuh: Ihr Leben ist verwirkt! Am 18. Februar 1949 ließ die westdeutsche Justiz zum letzten Mal einen Menschen hinrichten, in: Die Zeit vom 11. Februar 1999
Udo Rauch und Antje Zacharias (Hrsg.): Sieben Jahre Landeshauptstadt, Tübingen 2002, S. 140
Sabine Haarer: „Gleich der erste von drei Schüssen war tödlich“, Gäubote, 5. November 2014
Wolfgang Stumme: Die letzte Guillotine in Mainz, Regionalgeschichte.net
Stuttgarter Zeitung, 13. Februar 2019: 
Jan Georg Plavec: Er wurde in Tübingen geköpft

Bürgerreporter:in:

Matthias Blazek aus Adelheidsdorf

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