Teestunde mit einem Igel

liebenswerte Geschöpfe

Für meine Begriffe ist es schon fürchterlich kalt.
Drei Grad Plus … und das Anfang November.
Ich stehe in meinem Gärtchen, eine Tasse Tee in der Hand und versuche die Nebelschwaden mit meinem Blick zu durchdringen.
Es riecht, als wenn ein Riese den Rauch seiner Zigarre in meine Büsche bläst.
Aber da es keine Riesen gibt, wird es wohl ein Herbstfeuer sein.
Irgendwo hat ein Nachbar mit dem Kampf gegen das Laub begonnen.
Nebenan krähte der Hahn zum wiederholten Mal.
Was der in dieser Kälte auch zu krähen hat, und der Ton, irgendwie muss der Bube seit ewigen Zeiten im Stimmbruch sein.
Wenn der anfängt, bekommt man Gänsehaut auf die Trommelfelle.
Aber egal, ich kann ihm ja nicht den Hals rumdrehen, für eine Suppe wäre der Bursche sicherlich zu zäh.
Beim anderen Nachbar liegt der Rasen voller Äpfel und mein Kirschbäumchen sieht auch aus, als ob es in diesem Jahr keine Lust mehr hat.
Ganz hinten in der Ecke raschelt es, gleich am Komposthaufen, dort, wo ich vor zwei Jahren die Igeldatsche gebaut hatte.
Leise schleiche ich mich durch den wattigen Nebel auf diese Stelle zu.
Da ist er wieder, mein Saisonuntermieter der Igel, pünktlich zum Herbstanfang ist er da.
Ich sehe wie mein Freund ein Büschel Gras durch den Eingang in das Häuschen zieht, er richtet sich ein.
Es wird ja auch eine lange Schlafperiode und da soll es schon schön kuschelig sein.
Ich hole ein Schälchen, gieße einen Schluck Wasser rein und schiebe das Ganze vor seine Nase. Er schnuppert, schüttelt sich und tut sich dann gütlich an dem Nass.
Ich sehe versonnen zu und denke an die viele Mühe, die man sich das Jahr über mit dem Garten macht.
Allein das Aufstellen und Gestalten der Pflanzgefäße hat einen großen Teil der Zeit in Anspruch genommen, die Rasenpflege, die Rosen…
Nun ist Herbst, die Blätter sind bunt angefärbt, triefen in nebliger Feuchte, fallen zur Erde. Die Töpfe sind Frost geschützt im Keller deponiert, alles sieht trist aus und man könnte schon in melancholische Stimmung kommen.
Mein Igel hat sein Wasser aufgebraucht und wendet sich wieder seinem wichtigen Tageswerk zu und ich überlege mir, dass es gar keinen Grund gibt, melancholisch oder depressiv zu sein. Der Herbst ist der Spätnachmittag des Jahres.
Diese Zeit ist doch die Zeit der Besinnung.
Man überdenkt sein Tageswerk, ruht sich aus und bereitet sich auf den Abend und die Nachtruhe vor, wissend, dass morgen alles wieder von vorn beginnt und nichts verloren ist. Mehr macht doch die Natur auch nicht.
Mir wird langsam kalt und ich gehe ins Haus.
Als ich meine leere Teetasse abstelle, werde ich doch etwas depressiv.
Es war nämlich der letzte Aufguss von dieser Sorte.
Eine gute Freundin von der Nordsee hatte mir ein Beutelchen geschickt, Friesentee mit Toffeestücken, eine wunderbare Mischung.
Nun muss ich wohl auf eine andere Wintersorte umsteigen.
Und als ich so in die leere Tasse schaue, drängt sich mir auch noch die Frage auf ob die da oben im Norden überhaupt wissen, was Igel sind.

Bürgerreporter:in:

Karl Heinz Winkler aus Naumburg (Saale)

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