Siegertexte im Schreibwettbewerb: Trümmerhaufen (von Friederike Ohlendorf)

Beim Schreibwettbewerb des Kunstkreises Laatzen zusammen mit dem Calenberger Autorenkreis hat Friederike Ohlendorf (13) aus Isernhagen mit diesem Text in der Altersklasse "Klasse 5 bis 8" den zweiten Preis gewonnen:

Trümmerhaufen

Durch eine unbeschreibliche Kraft wurde er gegen die Wand geschleudert. Ein leises Stöhnen entwich seinem Mund. Er spürte etwas Warmes und Klebriges an seinem Hinterkopf. Vorsichtig betastete er diesen und guckte entsetzt auf seine blutverschmierte Hand. Doch er konnte sich nicht lange mit dieser Untersuchung aufhalten, denn überall schlugen Steine auf. Panisch blickte er sich in dem kleinen Raum um. „Ich muss mich irgendwie schützen!“, dachte er verzweifelt. Doch er entdeckte nichts Brauchbareres als einen einfachen Tisch. Die wenigen Bücher fielen aus dem Regal und die Fenster knackten verdächtig. Mit einem Hechtsprung rettete er sich unter den Tisch. Schon im nächsten Moment zersprangen die Fensterscheiben mit einem lauten Klirren. Es schien, als würden die Wände gleich wie ein Stück Papier zusammenklappen. Die nackte Glühbirne an der Decke schwang rhythmisch hin und her, begann zu flackern und erlosch schließlich ganz. Er harrte immer noch unter dem Tisch aus. Geschockt schaute er sich das Spektakel an. Bestimmt würde das Gebäude gleich durch das schier endlose Zittern und Beben auseinander brechen.
Doch plötzlich ließ all dies nach und dann war es wieder still. Doch es war keine normale Stille. Die unnatürliche Ruhe war durch die Angst geprägt, die seine Mitmenschen, aber auch er selbst, vor diesem enormen Beben hatten. Er fühlte sich benebelt und sein Kopf brummte von dem Aufprall an der Wand. Auf einmal begann sich alles um ihn herum zu drehen und er fiel unaufhaltsam in das schwarze Loch, das ihn umgab.
Als er die Augen aufschlug, sah er als Erstes das verwüstete Zimmer. Staub tanzte im Licht, welches durch die zerborstenen Fenster schien. Augenblicklich fiel ihm alles wieder ein. Seine Angst und die gewaltige Kraft, die das Beben zu haben schien. Vorsichtig setzte er sich auf. Er war mit einer dünnen Staubschicht bedeckt, doch noch viel schlimmer waren seine Kopfschmerzen. Wie spät es wohl war? Vorhin war es früher Morgen gewesen, doch jetzt stand die Sonne schon hoch am Himmel. Er wollte unbedingt raus aus diesem größtenteils zerstörten Raum, hinaus auf die Straße, ins Freie. Doch er wusste nicht, ob seine Beine ihn tragen würden. „Ich muss es versuchen!“, dachte er und im nächsten Moment stand er schon auf seinen Füßen. Seine Beine und Füße waren noch ein wenig unsicher, aber das würde sich schon geben. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Er wurde immer sicherer. Mit zunehmender Zielstrebigkeit verließ er den kleinen Raum und schaute in das enge Treppenhaus.
Hier sah es nicht besser aus. Steine, die scheinbar aus der Wand herausgebrochen waren, begruben die Treppenstufen. Es sah aus wie auf einem Trümmerfeld. Mit bedachten Schritten stieg er die Treppe hinunter. Er musste sehr darauf achten, dass er nicht auf einem Stein ausrutschte und hinfiel. Nach endlosen Minuten trat er durch die Überreste der Tür ins Freie.
Er konnte nicht glauben, was er sah. Seine Heimatstadt sah aus, als ob Riesen hier gewütet hätten. Es standen nur noch wenige Häuser. Die anderen waren nur noch ein großer Trümmerberg aus Beton und anderen Dingen. Die einst so große Hauptstraße war nicht mehr auszumachen. Die Stelzen der Hanshin-Autobahn waren zerborsten und von ihr selbst waren nur noch wenige Teile übrig geblieben. Überall liefen Menschen wie aufgescheuchte Hühner umher. Sie weinten und riefen hoffnungsvoll nach ihren Angehörigen. Doch je länger sie vergeblich suchten, desto mehr war ihnen ihre Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Sie suchten nach Überlebenden, doch oftmals hatten sie kein Glück. Das Beben hatte scheinbar Tausende von Menschen in den Tod gerissen. Keiner hatte mit diesem Beben gerechnet. Es war so überraschend gekommen.
Langsam bahnte er sich einen Weg durch die Trümmer von Kobe. Überall lagen Tote, die von den bislang wenigen Helfern schon geborgen worden waren. Bei dem Anblick der Überreste mancher Gebäude überkamen ihn alte Erinnerungen. Warum musste unbedingt Kobe so verwüstet werden? Er selbst würde dieses Beben niemandem wünschen, denn so eine Katastrophe war unberechenbar und man konnte sie nicht zähmen oder verhindern. Er ging weiter geradeaus. Links von ihm stand das Einkaufszentrum in Flammen. Doch die Feuerwehrleute mussten tatenlos zuschauen, da die meisten von ihnen nicht mit ihren großen Fahrzeugen zu dem Brand vordringen konnten. Diejenigen, die es geschafft hatten, waren machtlos gegen die Gewalt der Flammen.
Er setzte seinen Weg fort. Es kamen immer mehr Helfer aus der Umgebung. Manche Überlebenden sprachen hektisch mit ihnen. Er konnte aus den Wortfetzen entnehmen, dass es nur Kobe so schlimm getroffen hatte. In den anderen Städten war nur wenig zerstört worden.
Er hatte genug von dem Unheil gesehen. Erschöpft ließ er sich am Rand des Treibens nieder und sah den anderen Menschen zu. Er wollte einfach seine Ruhe haben und nachdenken. Doch da kam auch schon ein Sanitäter auf ihn zu und verarztete ohne zu fragen seinen Kopf. „So, das hätten wir. Aber Sie brauchen wegen dieser Verletzung nicht in ein Krankenhaus zu gehen. Diese sind nämlich schon völlig überfüllt!“, sagte der Sanitäter zu ihm und ging schon weiter zum nächsten Verletzten.
Mit der Zeit machte sich in seinem Kopf die Frage breit, wo er denn nun leben sollte. In seine Wohnung, in der er sich eigentlich schon vor dem Beben nicht wohlgefühlt hatte, wollte er nicht zurück. Schließlich war diese verwüstet. Doch er konnte sich nichts Besseres leisten. Das bedeutete also für ihn, dass er vorerst auf der Straße leben und jeden Tag neu sein Überleben erkämpfen müsste. Aber eines stand für ihn fest: Er würde nicht aufgeben. Und so ging er los, um sich eine sichere Unterkunft für die Nacht zu suchen.

Bürgerreporter:in:

Robin Jantos aus Hannover-Mitte

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