Siegertexte im Schreibwettbewerb: Dark Dreams (von Katharina Mörk)

Beim Schreibwettbewerb des Kunstkreises Laatzen zusammen mit dem Calenberger Autorenkreis hat Katharina Mörk (12) aus Hannover mit diesem Text in der Altersklasse "Klasse 5 bis 8" den ersten Preis gewonnen:

Dark Dreams

von Katharina Mörk

Die Hand beugt sich herab und schlägt zu. Ich taumele nach hinten und mein Gesicht, das ich in einem Spiegel in diesem Spiegelraum sehe, sieht verzehrt aus. Meine blonden Locken hängen schlaff an meinem Oberkörper herab und meine grünen Augen sind unterhängt mit Augenringen. Ich erwarte den nächsten Schlag voller Angst. Und die Hand hebt sich wieder, und ich will wegrennen oder zurückschlagen, doch ich kann mich nicht bewegen, ich bin ganz starr vor Angst! Ich will nach Hilfe schreien, ich weiß nicht nach wem, einfach nach Hilfe, aber meine Kehle ist zugeschnürt. Da will die Hand wieder ausholen, und ich schreie – endlich kann ich wieder schreien!!! – so laut ich kann...
…„Schon wieder ein Albtraum? Ach Gottchen Liebes, du musst damit aufhören, denn ich kann keine Therapie bezahlen!“, sagt Frau Liebholt. „Das ist unbewusst“, gebe ich zurück. Meine Stimme klingt ängstlich und hoch, außerdem schwitze ich wie verrückt. Und wir beide wissen, dass dieser kleine Satz nicht ganz stimmt. „Aber Liebes du bist jetzt schon seit drei Wochen hier bei uns, und jeden Tag hast du mich aufgeweckt. Ich bin kaputt, schlapp und habe riesige Augenringe“ – Das stimmt, sie hat wirklich riesige Augenringe und damit sieht sie nicht annähernd so nett aus wie normalerweise! – „Und was ich damit sagen will, Felicitas Miller, wir mussten dich hier in ein Einzelzimmer stecken, damit du die anderen nicht weckst bei den Schreien in der Nacht“. Sie lächelt ein bisschen, aber als sie merkt, dass ich es ihr nicht gleichtue, ziehen auch ihre Mundwinkel sich wieder nach unten – „ Versuch einfach zu schlafen und zwar OHNE SCHREIE UND OHNE ALBTRÄUME, dann bin ich zufrieden. Ach ja, morgen, das heißt in ein paar Stunden, kommt eine Frau Braun hierher. Vielleicht nimmt sie dich für eine Woche mal mit zu ihr. Das heißt, vielleicht, also wenn du ihr gefällst und Sie dir gefällt, dann kann sie dich adoptieren!!! Ist das nicht toll??? “ Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ob ich glücklich oder traurig bin, ich starre nur die Wand an, die orange-gelbe Wand. Sie seufzt, weil ich nichts dazu sage, und verlässt das Zimmer, ohne mich noch einmal anzublicken.
Meine Hände zittern immer noch. Ich schaue auf meinen Radiowecker: 5.16 Uhr. Ich würde eh nicht mehr schlafen können, also schlüpfe ich in meine Pantoffeln und schlurfe zum Waschraum, um zu duschen, Zähne zu putzen und meine Haare zu waschen. Nach dem Waschen föhne ich meine Haare und blicke in den Spiegel. Ich sehe nicht annähernd so aus wie eine normale 14-Jährige oder wie früher (vor dem Kinderheim), ich sehe eher aus wie ein Geist: Ich bin blass, fast weiß. Ich sehe zwar immer blass aus, aber nicht so blass. Meine blonden Locken – mein Markenzeichen – hängen schlaff und spröde von meinem Kopf hinunter, ich bin dünner geworden, ich sehe jetzt aus wie magersüchtig und meine Augen sind blass und glasig. Außerdem hängen unter ihnen riesige schwarze Ringe. Ich hole mir etwas Make-Up und überdecke sie wie jeden Tag. Dann gehe ich in die Mensa. Ich warte nie, bis alle essen, ich esse früher. Erst wühle ich ein bisschen im Kühlschrank, bis ich einen Pudding finde. Ich schaue auf die Kalorienanzahl und will ihn erst wieder zurücktun, doch ich muss ja wieder etwas zulegen, also esse ich ihn doch. Er schmeckt eklig! Meine Mom hatte Pudding immer selber gemacht. Meine Mom. Ich vermisse sie und meinen Daddy, als sie damals bei dem Autounfall gestorben sind hatte ich geweint, sehr geweint. Unsere Nachbarn hatten dann für mich gekocht, obwohl ich nichts gegessen hatte, und sich für ein paar Tage um mich gekümmert. Nach einem Monat musste ich in das Kinderheim ‚GOLDROSE‘, weil ich sonst keine anderen Verwandten habe. Ich habe bis eben nicht gemerkt, dass mir Tränen über die Wange laufen, also wische ich sie hastig weg. Seit zwei Monaten waren sie weg, und ich war so allein. Nur ich, sonst niemand.
Es klingelt, das heißt, dass jetzt alle zum richtigen Frühstück in die Mensa kommen sollen, um dann in die Schule zu gehen. Also verziehe ich mich wieder in mein Zimmer. Und will gerade meine Tasche für die Schule packen, als eine Stimme aus dem Lautsprecher kommt und sagt: „Felicitas Miller, bitte in mein Büro!!!“ Na toll, wieso soll ich ins Büro kommen? Ach ja, diese Frau Braun! Ich hatte mir schon überlegt, dass, wenn sie nett aussah und auch nett war, ich zu ihr ziehen würde oder es wenigstens versuchen würde. Es könnte zwar nichts und niemand meine Eltern ersetzen, aber ich denke an die Albträume, das nächtliche Schreien, Frau Liebholt und den ekligen Pudding und meine Entscheidung steht fest! Ich würde woanders wohnen, Essen bekommen, vielleicht auch ein schönes Zimmer und ein bisschen Geld. Ich musste die Frau ja nicht mögen! Hauptsache hier weg!
Im Büro sehe ich auf einem Stuhl eine junge Frau sitzen, etwa Mitte 30. Sie sieht groß aus und sie ist geschminkt: Roter Lippenstift und eine leuchtende braune Haarfarbe, (wahrscheinlich gefärbt), ihr Gesicht ist weich, hell und makellos (wahrscheinlich Make-up). Sie schaut an mir herunter, an meinen Klamotten, meinen Schuhen, dann wieder hoch zu meinem Gesicht. Ich hoffe, ich sehe nicht allzu schlimm aus!!! „Setz dich doch“, sagt Frau Liebholt, die hinter ihrem Bürotisch sitzt. Also setze ich mich neben die Frau. „Das ist Frau Braun“, fängt Frau Liebholt an. „Nennen sie mich Lucy!“ – Hmmm... Lucy, der Name passt genau zu ihr – „Sie würde dich gerne auf Probe mitnehmen! Na, was sagst du?“, Frau Liebholt starrt mich an. Lucy starrt mich an. „ Weißt du, ich wollte schon immer eine Tochter, kann aber keine Kinder bekommen, und naja, du weißt schon...“ – Ob sie weiß, dass ich 14 bin? Ich würde nicht mehr lange bei ihr wohnen! – „ Tja, und Babys schreien zu viel, kleine Kinder, naja, die kommen alle in die Pubertät und all so was und deshalb will ich ein Mädchen, das mindestens 14 ist. Und du bist, soweit ich weiß, 14 und nun ja, deine Noten sind nicht schlecht und du siehst nett aus. Außerdem hat die nette Frau Liebholt dich empfohlen und deshalb dachte ich mir…“ Frau Liebholt lächelt. Ein Lächeln, das nett aussehen sollte, aber durch ihre Müdigkeit falsch aussieht. „Es ist erst mal nur für eine oder zwei Wochen, dann, wenn es dir bei mir nicht gefällt, kannst du immer noch zurück! Und, was sagst du, Felicitas?“ Tja, meine Entscheidung stand ja schon vorher fest, und dadurch, dass sie, soweit ich das sehen kann, nett ist, fällt sie mir noch leichter. „Ja, gerne!“, antworte ich. Und Frau Liebholt drängt mich zum Sachenpacken. Also gehe ich in mein Zimmer und packe meine Klamotten und mein ganzes anderes Zeugs ein. Dann gehe ich in den Waschraum und hole Zahnbürste, Make up usw. Frau Liebholt hatte gesagt, ich solle wieder in ihr Büro kommen, wenn ich fertig war. Also gehe ich langsam zu ihrem Büro und sehe, wie Lucy ein paar Papiere unterschreibt. Dann kommt sie aus dem Büro heraus (sie ist riesig, aber das liegt nur an ihren MEGA High Heels) und sagt: „ O.k. Wir können zu meinem Auto.“ Ich nicke nur und höre noch, wie Frau Liebholt sagt: „Tschüss und viel Spaß Felicitas!!!“.
Ein roter Audi steht als einziges Auto auf dem Parkplatz. Lucy öffnet die Vordertür und deutet mir einzusteigen. Also steige ich ein. Sie öffnet erst den Kofferraum, verstaut meine zwei kleinen Köfferchen, dann steigt auch sie ein und fährt los. Während der Fahrt fragt sie mich ein paar Fragen wie: „Magst du Kunst? Denn ich bin Künstlerin!“ Diese Frage beantworte ich mit ja. Ich liebe Kunst. Zu malen macht mir sehr viel Spaß, außerdem habe ich in Kunst eine Eins. Die Fahrt dauert nicht lange, ungefähr 30 Minuten, aber ich habe kein gutes Zeitgefühl. Als wir dann da sind, und sie so ziemlich alles über mich erfahren hat (durch die ganze Fragerei), öffne ich meine Autotür, sie öffnet ihre, nimmt meine Koffer aus dem Kofferraum und geht auf ein kleines Wohnhaus mit orangener Fassade zu, nimmt die Schlüssel und schließt auf. Ich komme in einen kleinen Flur, wo Lucy mir mein Zimmer zeigt. Es ist nicht riesig, aber auch nicht klein, grün gestrichen und ein paar Möbel wie ein Himmelbett und ein Schrank stehen schon drin. „Und?“, fragt Lucy „Gefällt es dir?“ Ich nicke wie automatisch. Es gefällt mir wirklich sogar besser als mein altes Zimmer, es ist viel größer. Es ist cooler und geräumiger. Nur eines fehlt mir hier: MEINE ELTERN. Ich vermisse sie sehr, aber trotzdem reiße ich mich zusammen und sie zeigt mir noch den Rest der Wohnung: Die Küche, die in das Wohnzimmer übergeht, das Schlafzimmer, die zwei Bäder, ihr Atelier und ihr kleines Sportzimmer. Sie macht Judo, und zwar sehr gut, denn sie leitet in ihrer Freizeit einen Judo-Kurs für Kinder. Für den Kinderkurs bin ich zu alt, aber Lucy sagt, dass sie mich einzeln unterrichtet, wenn ich mag. Die Idee finde ich super, dann kann ich mich verteidigen. Ob das wohl auch gegen Dark Dreams, also böse Träume hilft? „Oh, Felicitas“ – „Nenn mich doch Fee“ – „O.k., ähm, Fee, du siehst ziemlich müde aus, willst du dich nicht erst mal ausruhen?“ Ja, das stimmt, ich bin müde, ziemlich müde sogar, aber das ist eigentlich bei meinen Zuständen normal, also habe ich mich dran gewöhnt. „Ja“, antworte ich also, obwohl ich nicht vorhabe mich hinzulegen. Ich möchte einfach ein bisschen allein sein.
Also schlurfe ich erst ins Bad, dusche, ziehe mich um und räume dann meine Sachen in den Schrank ein. Dann blicke ich aus meinem Fenster. Ich sehe eine kleine Rasenfläche mit schönen Blumen. Hübsch! Auf einmal überfällt mich ein Schwall Müdigkeit. Also lege ich mich auf mein Bett und schlafe sofort ein... ...Ich laufe. Immer schneller, immer weiter. Ich habe Angst, große Angst! Ich schnaufe und ächze, habe Seitenstechen und werde immer langsamer. Hinter mir höre ich Schritte, sie werden immer lauter, ich laufe wieder schneller und bleibe abrupt stehen. Plötzlich habe ich keine Lust mehr, keine Lust auf alles: auf das Schreien, das Weglaufen, die Angst und die Albträume. Natürlich, das hier ist ein Albtraum... und plötzlich sitze ich auf einer Wiese, sie glänzt und glitzert, auf ihr blühen Tausende von roten Mohnblumen. Und ich weiß, dass das mit den Albträumen endlich zu Ende ist!!!

Bürgerreporter:in:

Robin Jantos aus Hannover-Mitte

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