Achterbahn des Lebens (8)

40 Grad oberhalb des Gefrierpunktes zeigte der Wärmemesser an – 40 Grad im Schatten! Peters Körperflüssigkeit sauste durch seine weitgeöffneten Poren mit Lichtgeschwindigkeit in die türkische Sommerluft. Beide Hände benötigte er, um den Flüssigkeitsspiegel im Innern auszugleichen.
Nach dem ersten Rundgang über den Bazar flüchteten wir in den nächstbesten Teegarten. Die türkischen Teegärten kann man mit den deutschen Biergärten vergleichen – wenn ein Vergleich überhaupt möglich ist. Der Tee war für mich ein Labsal – das kühle Tuborg-Bier für Peter der Himmel auf Erden. Die Massen, die er verkonsumierte, müssen irgendwo zwischen seinen Lippen und seinem Magen verdunstet sein. Die Mengen Alkohol hätten ihm bei der Hitze eigentlich die Beine wegreißen müssen. Ausgebildete Kampftrinker können tatsächlich eine Menge vertragen. DAS war für mich eine neue Erkenntnis. Wenn bei meinem Freund Peter irgendwann mal eine Blutübertragung nötig wäre – eine Blutbank könnte da dann wohl nicht helfen – eine Schnapsbrennerei wäre wohl eher die richtige Quelle.

Nachdem wir unseren Körperzellen genügend Feuchte zugeführt hatten, starteten wir zur nächsten Runde. Wir klapperten den Bazar nach Exportartikeln ab, in deren Erwerb wir den erhofften Hosenerlös fließen lassen wollten.
Die Kupferbilder, die kupfernen Geschirre – der ganze bunte Krimskrams war so verführerisch billig – unser Warenlager für den Verkauf in Deutschland war in kurzer Zeit gefüllt.
Der Jeanshosenverkauf mußte jetzt nur noch unsere Kasse wieder auffüllen. Mein Optimismus und meine Euphorie hatten mich die Reihenfolge des Handels verwechseln lassen. Nicht eine einzige Hose brachten wir an irgendeinen Männer- bzw. Frauenhintern. Notgedrungen entwickelten wir uns zu Selbstversorgern in punkto Beinkleider. Hosen brauchten wir für die nächsten zehn Jahre nicht mehr zu kaufen. Wir hatten überreichlich davon auf Lager – wir, oder meine Familie und ich zumindest, zogen sie tapfer an. Auch wenn die Größe und Passform nicht immer meinen Maßen entsprach.
Der Sorge, irgendwann mal mit nacktem Achtersteven durch die Weltgeschichte laufen zu müssen, waren wir also für einen längeren Zeitraum enthoben. Meine Familie marschierte in Einheitsjeans gekleidet durch die Zeit.
Bevor diese Erfahrung uns begleitete, begleiteten uns mehrere Kilogramm Lammfleisch, eine große Kiste Tomaten, frisch gebackenes Weißbrot, und was man sonst noch alles für ein zünftiges Grillfest nötig hat, zu einer wunderschönen Badebucht in Altinkum.
Peter wähnte sich in eine Außenstelle des Paradieses versetzt. Zumal sich sein Kontakt mit dem klaren Wasser auf äußerlich beschränkte. Seine inneren Werte konnte er in reichlich dänischem Bier baden – ich hatte im Umkreis alle erreichbaren Tuborg Vorräte für ihn aufgekauft.
Dem türkischen Weinbrand ging er nach einiger negativer Anfangserfahrung vorsorglich tagsüber aus dem Weg – dem war er in der Hitze des Tages trotz seiner knüppelharten Kampftrinkerausbildung nicht gewachsen. Des Abends zog er dafür mit den hochprozentigen Kostbarkeiten umso ausgiebiger ins Gefecht.
Die folgenden sonnenreichen Tage sahen uns auf Besuchstour quer durch die Familie meines Vaters. Großeltern, Onkels und Tanten – keinen Verwandten ließen wir aus – ein solches Tun hätte man mir auch übel angekreidet.
Übel angekreidet hatte es mir allerdings meine Figur. Durch das supergute Essen, mit dem wir überall verwöhnt wurden, nahm ich allmählich die Form einer prall gefüllten Leberwurst an.
Obwohl ich meine ganze große Familie zum fressen gern habe, war ich doch heilfroh, als wir die Reihe der väterlichen Verwandtschaft hinter uns hatten.
Mit körperlichem Übergewicht beladen, aber innerlich befreit, machten wir uns nach ein paar Tagen vergeblicher Hosenverkaufsversuche auf die Socken ins Dorf Sultanhisar im Bezirk Aydin. Etwa 200 Kilometer von Izmir entfernt.
Die mütterlichen Verwandten erwarteten uns. Meiner Großmutters Orangenplantage lockte mich. Die Erinnerung an die Oliven- und Mandelbäume meiner Kinderzeit ließ mich nicht mehr ruhig schlafen. Der Geschmack der goldenen Trauben in Omas Weingarten weckte in mir die Erinnerung an die süßesten Empfindungen.
Während der Besuche bei der Großmutter in unseren Deutschlandjahren war ich ja schon ein erwachender Triebling.
Keine Angst – ich plaudere nicht aus der Schule.
Dem einfachen Dorfleben gehörte immer schon meine Liebe – na ja – nicht nur dem einfachen Dorfleben, sondern in gewissem Maße auch den Schönen, die in dem einsamen Dorf lebten. Meine in Deutschland erworbene Einstellung zum weiblichen Geschlecht musste ich während dieser Tage und Wochen notgedrungen in ein ehernes Korsett zwängen.
Auf jeden Fall – meine Oma war rein aus dem Häuschen, als sie mich in ihre Arme schloß – so ein bißchen war ich nämlich immer schon ihr erklärter Liebling gewesen.
Leider hatte sie meinen Liebling – ihren Esel – verkauft.
Aber Betrübnis in meinen Augen ließ Großmutter gar nicht erst aufkommen, als sie meinen Wunsch nach einem Eselsritt vernahm. Es dauerte keine fünf Minuten, und sie hatte beim Nachbarn einen Esel losgeeist. Losgeeist - gut gesagt, in der Hitze des türkischen Sommers.
Obwohl ich selbst gerne Reiter gespielt hätte – türkische Gastfreundschaft ist auch mein Lebensgebot – und so stand Freund Peter der Ritt auf dem Langohr zu.

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Fortsetzung folgt

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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