Achterbahn des Lebens (6)

Nachbar Peter lud meine Freundin und mich eines Abends zum Essen ein. Die fünffachen Eltern hatten gehörig eingekauft (auf welche Art das „Einkaufen“ erfolgt war, habe ich mich an dem Tage nicht gefragt – obwohl es ja eigentlich hätte nahe liegen müssen) – vor allem Gerichte aus meiner schon fast vergessenen Heimat. Menschenskinder – wie fühlte ich mich von meinem Nachbarn Peter gebauchpinselt – von so einem weltläufigen Deutschen so glänzend hofiert zu werden! Was tischten die beiden nicht alles für uns auf! Knoblauchwurst, Schafskäse, gefüllte Weinblätter, Oliven, eingelegte Paprikaschoten, original türkisches Fladenbrot und, und, und ...! Das Angebot nahm gar kein Ende. Auf die Idee, mich zu fragen, warum der Knastbruder Peter um mich einen solchen Aufwand betrieb – auch dazu kam ich nicht einmal ansatzweise. Irgendwie war ich verblendet – im Stillen, so zu mir selber, sage ich im nach hinein auch wohl, ich war ziemlich blöd. Aber das bitte ich jetzt, nicht weiterzusagen.
Das alles gab es natürlich nicht trocken serviert – türkischer Wein und Raki sorgten in ausreichender Menge dafür, daß uns die mehr als reichhaltigen Speisen nicht im Halse stecken blieben. Peter war nicht bloß ein ausgebuffter Knastologe – Peter war auch ein ausgewachsener Alkoholiker. Und das bestimmt nicht erst seit gestern.
Für mich als „Greenhorn“, das auf jede Streichelbewegung der Menschen in seiner neuen Heimat versessen war, wirkte das Tun Peters überwältigend „cool“ wie man heute wohl amerikanisiert sagt.
Kaum aus dem Gefängnis in die Freiheit entlassen, residierte er schon wieder in einem angemieteten Büro – mit auf Pump gekauften Möbeln - als selbständiger Unternehmer. Seine Idee war für die Zeit, in der die Zeit sich bewegte, einfach genial. In seinem Denken war er der Entwicklung um einiges voraus. Eine, durch Werbung finanzierte, kostenlose Zeitung wollte er herausbringen. Ähnlich den heutigen Stadtteilzeitungen. Die Voraussetzung für die Umsetzung solcher Pläne, war aber damals wie heute einiges Kapital. Auf einen einfachen Nenner gebracht, lautete die Frage: Woher nehmen, wenn wir es schon nicht selber drucken konnten? Wie bewunderte ich Riesenroß meinen neuen Freund ob seiner „genialen“ Einfälle! Er suchte – und fand – durch Zeitungsanzeigen stille Teilhaber mit überschüssigem Moos in der Tasche und der Gier nach mehr Geld im Kopfe.

Geblendet von seinem makellosen Auftreten, und angetörnt von seinen gewinnverheißenden Versprechungen, stiegen sie in die neugegründete Firma als Teilhaber ein. Natürlich mit notariell beglaubigten Verträgen. Die aber das Papier nicht wert waren, auf dem die Texte geschrieben standen.
Volle Auftragsbücher für seine angedachte Zeitung lagen auch schon auf dem Bürotisch. Seine Außendiensterfahrung als „Drücker“ und späterhin als Kolonnenführer einer solchen Zeitungsverkäufertruppe kamen ihm dabei zugute.
Zugute kamen ihm denn auch die stattlichen Geldsummen, die werbewillige Kunden vorab bezahlten. Sie kamen seiner Erholungsbedürftigkeit und seinem Geltungsbedürfnis sehr gelegen. Einfach ausgedrückt – er machte sich davon ein feines Leben.
Eine Vorzeigetour nach Ost-Berlin stand als erstes auf dem Programm. In Ostberlin wohnte seine Schwester – man mußte den unterentwickelten SBZ-lern doch den Glanz der Westzonen vor Augen führen – ihnen die Erfolge eines Republikflüchtlings demonstrieren. Peter stammte nämlich aus der „DDR“ – seine Mutter hatte mit ihm über das österreichische Wien Jahre zuvor in den Westen „davon gemacht“ – wie es die Menschen jenseits der Mauer salopp ausdrückten. Seine Mutter hatte familiäre Bindungen in die Wiener Kaffeehausgesellschaft. Peters sprichwörtlicher „Wiäner Schmää“ kam wohl aus dieser genetischen Erbabteilung. So ein wenig verband uns also unsere persönliche Geschichte – Peter und mich. Nur die Gründe waren verschiedenfarbig. Peter folgte seiner Mutter, die vor einem menschenverachtenden System Reißaus genommen hatte – ich mußte meinem Vater in das Land seiner Träume folgen. Der Zielort an dem wir irgendwann ankamen und aufeinandertrafen, war der gleiche – nämlich Aschaffenburg.
Als Chef des neugegründeten Verlagshauses, und als Herausgeber einer Zeitung, die noch gar nicht existierte, machte Peter erst einmal für ein paar Wochen Urlaub. Er wollte reell den Mief des Knastes ablegen – wie er sich ausdrückte. Nach seiner frischgedufteten Rückkehr an den Ort seiner Aktivitäten konnte er auch gleich die Erfolge seiner Kampagne betrachten. Der Kreis der Geldgeber lag flach am Boden. Ruiniert und am Ende. Statt des erhofften Geldsegens aus dem Hintern des Goldesels – den sie in froher Erwartung gefüttert hatten – war ihr Kapital in einem Faß ohne Boden verschwunden. Wie wenn man der Wüste Gobi mit dem Inhalt einer Kleingartengießkanne zu Leibe rückt, in der Hoffnung auf ein grünes Paradies.
Einige der geldgeilen Investoren waren schlicht und ergreifend pleite – sie waren einem Betrüger aufgesessen. Eben Peter. Auf seiner Fahne stand zwar „Robin Hood“ – doch die Idee dieses Raubritters vergangener Tage – den Reichen zu nehmen, den Armen zu geben - hatte er auf seine eigene Art umgedeutet. Reiche gab es viele im Lande – mit ihm als einzigen Armen.
Wie es trügerische Wohlgerüche nun einmal so an sich haben – Peter verduftete ganz schnell. Er verschwand von der Bildfläche seines Wirkens. Wer lebt schon gern zwischen Ruinen. Das ging so schnell, daß selbst ich nicht sehen konnte, in welche Richtung er sich verflüchtigt hatte.

ee

Fortsetzung folgt

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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