Achterbahn des Lebens (2)

Ich hatte mich ganz schön erfolgreich durch die ersten Etappen meiner Beweglichkeit gehangelt.
Auf unseren Sommerausflügen erwischte mich plötzlich ein Virus. Nicht das ich körperlich erkrankte, nein – ich wurde süchtig nach Musik.
Mein Freund Walter, der Sohn von Onkel Karl – dem Besitzer der Schimmelkuh – kreuzte mit einem Akkordeon auf. Sein Geburtstag hatte ihm dieses edle Teil beschert.
Die Töne, die er damit fabrizierte – ich glaube Musik durfte man das noch nicht nennen – schlugen mich in ihren Bann.
Mutter war entschieden gegen mein Begehren, musizieren zu lernen. Musik machen nur Zigeuner. Wie, als wenn sie es gestern gesagt hätte, klingt mir dieser Satz heute noch in den Ohren. Ich weiß nicht, was in meinen Vater gefahren war – ohne das ich schwierige Überzeugungsarbeit leisten mußte, suchte er mit mir gemeinsam aus dem Quelle-Katalog ein Prachtstück von Musikinstrument aus.
Achtundvierzig Bässe zählte ich an dieser Musikmaschine – und Instrumentenunterricht durfte ich auch noch nehmen.
Papa bezahlte dafür, das mir die grundlegenden Fertigkeiten beigebracht wurden. Nach nicht einmal einer handvoll Jahren Aufenthalt in Deutschland war aus mir schon ein fahrender Musikant geworden.
Dreimal hatte sich das Jahr die Hacken schiefgelaufen – 1966 stand auf jedem Blatt des Kalenders, der bei uns an der Küchenwand hing. Sprechen sprach ich mittlerweile wie ein Aschaffenburger Junge – mit Dialekt und allem drum und dran. Wer mich nicht sehen, sondern bloß hören konnte, vermutete keinen türkischen Hosenmatz hinter den Worten. Wie gerne wäre ich blond gewesen, denn jedesmal, wenn man mich zu Gesicht bekam, war ich wieder das Ausländerkind. Manchmal war mir schon ganz schlimm zumute. Nicht das ich mich schämte, ein türkisches Kind zu sein – aber immer nur Ausländer zu sein war auch nicht das Wahre.
Frisör Philip hütete in seinem Laden in Damm das Monopol für Kinderkopfhaareschneiden. Alle vier Wochen mußten wir bei ihm antreten. Nicht das er uns mit dem Lasso auf der Strasse einfing – die Mühe brauchte er sich nicht zu machen. Unsere Eltern trieben ihm seine Kunden zu. Die paßten schon auf, das unsere Ohren frei blieben – von wegen gut hören. Wenn Meister Philip ab und zu meinem Wunsch nach einer etwas längeren Haarpracht voller Bedenken nachgegeben hatte, stand ich garantiert eine halbe Stunde später wieder bei ihm auf der Matte.
Nachschneiden, fragte er dann nur – und ohne mein Nicken abzuwarten, griff er zur Schermaschine.
Während der Meister sonst immer fröhlich vor sich hin pfiff – beim nachschneiden guckte ihm stets Betrübnis aus den Augen. Es bereitete ihm sichtliches Unwohlsein, aus mir immer wieder einen türkengerechten Jungen zu machen. Ich glaube, er hätte mir gerne ein bißchen Deutschsein gegönnt.
So flog ich immer als Ball zwischen seinem Wohlwollen und meines Vaters Neinsagen hin und her. Vater siegte immer – wo wäre sein türkisches Denken sonst auch gelandet. Nein, nein – Vater war kein Nationalist – beileibe nicht. Der Hauptgrund waren wohl die größeren Abstände zwischen den Frisörbesuchen. Man denke nur an die einsfünfzig, die jedesmal pro Nase fällig waren. Bei diesem türkischen Einheitsschnitt hätten meine Haare ruhig blond sein können – ich wäre immer noch als ein Junge von jenseits des Bosporus erkannt worden. Diese Kleinigkeit Haarschnitt und –farbe hat mir auf meinem Weg in die Gesellschaft oft Hindernisse in den Weg gelegt.
Dazu kamen dann noch die Paragraphen – fein säuberlich in den Gesetzbüchern verpackt. Mit Mustern davon wurden unsere Pässe dekoriert. Wenn ich sage unsere, dann meine ich die Pässe meiner Eltern. Ich bekam meinen ersten eigenen Pass, als ich die Schule erfolgreich hinter mich gebracht hatte.
Solange waren wir auf einem Gruppenbild in Papas und Mamas Papieren untergebracht. Fein säuberlich neben zwei akkuraten amtlichen Stempeln.
Ich habe heute noch das Gefühl in mir, als wenn ich aus dem Foto heraus immer seitlich auf die Buchstaben schielte. So fest sitzt mir der Text im Kopf.

Fremdenpass

Aufenthaltserlaubnis
für die Bundesrepublik Deutschland
einschl. des Landes Berlin

Selbstständige oder vergleichbare
unselbstständige Erwerbstätigkeit
nicht gestattet

so stand es da - unverrückbar und fein säuberlich in blauer Stempelfarbe gedruckt. Eine sogenannte Aufenthalts-berechtigung wurde Gastarbeitern der ersten Generation erst nach fünf nachgewiesenen Beitragsjahren zugunsten der Rentenkasse erteilt. Kinder wurden zwar nicht ausdrücklich in der Vorschrift erwähnt – aber wir schauten ja in den ganzen Jahren aus jedem Pass heraus. Für uns kleinen Schietbüdel galten natürlich die gleichen Bestimmungen. Obwohl – wie sollten wir schon groß selbstständig tätig werden.
Das änderte sich schlagartig, als ich die ersten langen Hosen anbekam.
Ich wurde behördlich von den Eltern abgenabelt – ich mußte eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, und bekam meinen eigenen Paß, Auch wieder schön mit den bekannten Stempeln versehen. Ich mußte mir aber den Platz im Paß – neben den ehernen Verbotseinträgen – nicht mehr mit den anderen teilen.
Ich durfte für die nächsten Jahre ganz alleine nach den Buchstaben plieren.
Wenn ich an die vielen Abstufungen in den Statuten von damals denke, beneide ich noch manchesmal die heutige Generation der Zuwanderer. Mit meinen kurzen Hosen war auch die Kinderschulpflicht in die Tonne gewandert. Die Suche nach einer Lehrstelle trieb mich durch Aschaffenburg. Im Familienrat wurde der Entschluß gefaßt: Ismail wird Werkzeugmacher. Wenn die Familie irgendwann einmal wieder in die Heimat – die Türkei war damals im Denken noch Heimat – also, wenn die Familie einmal wieder nach Hause zurückkehren würde, könnte der Junge wenigstens sein eigenes Werkzeug herstellen. Sehr praktisch!
Hans-Werner erwies sich wieder als mein Pfadfinder. Er war ein Jahr zuvor aus der Schule entlassen worden. Seine gute Nase für Glücksfunde kam mir auch hier zugute.
Die Firma Zenglein in Aschaffenburg, als Hersteller von Messwerkzeugen, bildete ihn aus. Mich brachte er auch dort unter. Meine Ausbildung begann.
Die Firma Zenglein war eine Stiftefirma – das heißt, Herr Zenglein – seines Zeichens Chef des Betriebes – war auch gleichzeitig Meister und Ausbilder.
Gesellen hielt er sich nicht – von wegen der höheren Lohnkosten.
So mußten wir, nachdem unsere Lehrzeit beendet war, auch die Platte putzen – Platz machen für neuen Nachwuchs im Geschäft Zengleins.

Dreieinhalb Jahre schützte mich mein Lehrvertrag – genau bis zum 14. Januar 1975.
Von am Anfang 170.- bis auf 280.- DM im vierten Ausbildungsjahr hatten sich meine monatlichen
„Bezüge“ gesteigert. Der Gegenwert für vierzig Wochenstunden im Betrieb. Vier Wochen im Jahr brauchten wir allerdings nicht in der Werkstatt erscheinen. Als die ersten Urlaubswochen anstanden, war ich heilfroh. Heilfroh, mich von dem endlosen feilen, feilen, feilen erholen zu können. Ein Hammer wurde mein erstes Werkstück.
Ich hatte zwar schon viel mit einem Hammer gearbeitet, aber daß ein Hammer soviel Arbeit kostete, bis man ihn einen Hammer nennen konnte, das war auch eine neue Erfahrung. Amboß, Finne, Nut, Stiel – die gesamte Hammergeographie lernte ich kennen. Hammerspezialist war ich nun auch noch.
Weil ich mich als sehr geschickt erwies, erhielt ich gegenüber den anderen Stiften einen Vorteil – ich durfte die Nut für den Hammerstiel an einer Maschine fräsen. An einer Maschine, die aussah, als wäre sie einem Museum entliehen. Ein Monstrum von Bohr- und Fräsapparat, an dem ich kleiner Stöpsel meine Künste versuchte. Die meisten Maschinen in unserem Betrieb besaßen keinen eigenen Motor. In Bewegung gesetzt wurden sie durch Riemen, die von einer zentralen Maschine in alle Richtungen liefen. Eine saugefährliche Angelegenheit. Man durfte ihnen nicht zu nahe kommen, wenn sie singend durch die Gegend schlackerten, um ihren schweren Dienst zu verrichten.
Als ich das erste Mal diese vorväterlichen Einrichtungen zu Gesicht bekam, überfiel mich die Erinnerung an meine erste Dampfmaschine, die meine Großmutter mir noch in der Türkei geschenkt hatte.

ee

Fortsetzung folgt

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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