Grass, armer Poet im Regen (Leserbrief)

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl:

Wenn der Rauch aus seiner Pfeife sich verzogen und der Sturm der Entrüstung über Günter Grass sich gelegt hat, bleibt zu fragen: Was ist da eigentlich passiert? Die Reaktionen in beiden Lagern (pro und kontra Grass) sind fast alle ebenso einseitig und undifferenziert, wie das umstrittene Gedicht es ist. Die einen fallen massenhaft über ihn her, um ihn, der sie provoziert hat, zu vernichten. Die anderen machen aus ihm einen Märtyrer und Helden, der sich nicht den Mund verbieten lässt. Dabei wird die Sache, um die es geht, der Konflikt zwischen Iran und Israel, auf gegenseitige Schuldzuweisungen reduziert, und die Fronten werden verhärtet.

Die Wirklichkeit ist unteilbar. Deshalb müssen a l l e, die am Konflikt beteiligt sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Das sind die herrschenden Kräfte im Iran und deren Widersacher in Israel. Das sind die Staaten, die den Iran oder Israel mit Geldern unterstützen und mit Waffen beliefern. Das sind dieselben Staaten, die mit Boykott- und Blockadedrohungen ihren Gegner in die Knie zwingen wollen. Damit zeigen diese Bellizisten ihre Bereitschaft zu einem Krieg, der noch verheerender sein würde als der Zweite Weltkrieg.

In die kritische Betrachtung einbezogen werden muss das gesamte Konfliktfeld Nahost/Mittelost. Dazu gehört die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik in Palästinensergebieten ebenso wie der gewaltsame Widerstand von Betroffenen. Terror auf beiden Seiten. Ein für Israelis und Palästinenser unerträglicher Zustand, der zu allererst beendet werden muss. Palästinensische und israelische Friedensgruppen arbeiten daran – gemeinsam.

Grass hat die Ende März in der Süddeutschen Zeitung und in «Freitag» erschienene „Erklärung aus der Friedensbewegung und Friedensforschung“ zum Irankonflikt nicht mit unterzeichnet. Er hat seinen Bauch sprechen lassen, anstatt seinen Kopf. Nun steht der arme, um seine psychische Befindlichkeit besorgte Poet im Regen, ohne Schirm. Und der Tabak ist nass geworden.

[heute, am 11. April, gekürzt erschienen]

Bürgerreporter:in:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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