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Wilhelm Neurohr: Wie geht es weiter mit Europa?

Übersicht:

• Existenzielle Krise der EU im 60. Jubiläumsjahr
• Drohendes Scheitern und Auseinanderbrechend der EU

Teil I : Zum gegenwärtigen Zustand der Europäischen Krisen-Union

• EU seit 12 Jahren im dauerhaften Krisenmodus
• Konzeptionslosigkeit statt Neuaufbau der EU?
• Es fehlt der Antrieb zu einem solidarischen Europa
• Die Militarisierung der expandierenden EU als heikles Unterfangen
• Uneinigkeit und Zerstrittenheit hinter den Kulissen durch nationale Egoismen
• Marktradikale Ökonomisierung zerstört idealistischen Zauber der EU-Idee
• Die EU verliert die Akzeptanz der Bevölkerung und erzeugt eine „verlorene Generation“
• Ungelöste Konflikte und Probleme überfordern die EU
• Eklatante Demokratie-Defizite und Bürgerferne der EU
• Mangelnde Gewaltenteilung, hemmendes Einstimmigkeitsprinzip, unklarer Status
• Soziale Schieflage durch fehlende einklagbare soziale Grundrechte
• Europa als Steuerparadies und Tummelfeld für Lobbyisten
• Krisenbündel als „Weckruf“ für Europa mit Aufwacherlebnissen
• Die Krise als Chance für überfällige Reformen

Teil II : Wie geht es weiter mit der EU – Reformvorschläge „von oben“

• Weiter so“ statt dringend notwendige Reformen?
• Junckers Szenarien zum Rückzug der EU – fragwürdige Zukunftsmodelle
• Umstrittene Reformvorschläge des EU-Kommissionspräsidenten
• Die „Sozialunion“ ist trotz der Erklärung von Göteborg umstritten
• Die Reformagenda des französischen Präsidenten Macron für die EU
• Gegenwind zu den Plänen von Juncker und Macron
• Die offizielle Erklärung von Rom durch die führenden EU-Vertreter
• Die vier Ziele der EU für die nächsten 10 Jahre
• Die EU will eine militärische Macht werden und aufrüsten
• Europäische Militärausgaben überflügeln Russland um das Dreifache
• Europa hält an Atomwaffen fest statt an Abrüstungsvereinbarungen

Teil III : Zivilgesellschaftliche Alternativ-Vorschläge für die Neugründung eines anderen Europa „von unten“

• Kampf zwischen Kultur und Kommerz – Europa von oben oder von unten?
• Pro-europäische Bürgerbewegung – Heraus aus der Zuschauerdemokratie – Ein funktionierendes Europa von unten muss erkämpft werden
• Bündnis „Europa neu begründen – Die Krise durch Solidarität und Demokratie bewältigen“
• „Puls of Europe“- Für Europa auf die Straße
• Memorandum 2017: „Alternativen für ein solidarisches Europa“ statt „Germany first“
• Vielfältige zivilgesellschaftliche Initiativen für ein anderes Europa von unten – Bürgerkonvent für eine neue EU-Verfassung
• „DiEM 25“ – Paneuropäische Bewegung „Demokratie in Europa“ – gegen Nationalismus und Demokratieverfall
• Institutionelle Reformen zur Demokratisierung der EU-Entscheidungsprozesse
• Perspektiven für die Zukunft Europas und seine Rolle in der Wert

Zum gegenwärtigen Zustand der Europäischen Krisen-Union

Existenzielle Krise der EU im 60. Jubiläumsjahr

Mit dem Thema „Europa“ konnte man noch vor einigen Jahren niemanden „hinter dem Ofen hervorlocken“. Dies bezeugen auch die geringen Wahlbeteiligungen um nur 40% bei den zurückliegenden Europawahlen.
Inzwischen hat sich jedoch der Blick auf Europa dramatisch geändert, denn „unsere Europäische Union ist in einer existenziellen Krise“. Das sind nicht meine Worte, sondern diese ehrliche Diagnose stellte EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker, und zwar im September 2016 in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union.

Dabei sollten wir uns als Europäer eigentlich in diesem Jahr des 60. Jubiläumsjahres der Europäischen Union erfreuen. Denn die Römischen Verträge von 1957 gelten ja als Gründungsdatum der Europäischen Gemeinschaft.

Die EU hat uns rückblickend 70 Jahre lang Frieden beschert (sieht man von auswärtigen Kriegseinsätzen durch EU-Länder sowie vom Jugoslawienkrieg ab, dessen Kriegsverbrecher gerade vor dem UN-Tribunal abgeurteilt wurden).

Die EU hat uns Freizügigkeit und Reisefreiheit sowie Völkerfreundschaft ermöglicht, gemeinsame Währung (die wir im Urlaub zu schätzen wissen), ferner Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sowie weitgehende Einhaltung der Menschenrechte auf der Basis gemeinsamer Werte. Aber auch Wohlstand für viele, wenn auch längst nicht für alle, sowie lange Zeit auch funktionierende Demokratie und Sozialstaatlichkeit – kurz: ein offenes und liberales Europa, das wir alle zu schätzen wissen.

Diese Werte sind derzeit in Gefahr mit Blick auf die zunehmende Renationalisierung und Entsolidarisierung, aber auch wegen der Grenzschließungen infolge der Flüchtlingsbewegungen. Ferner durch Rechtspopulismus und soziale Spaltung, durch unzureichende Finanzmarktregulierungen und unklares Vorgehen bei der Euro-Rettung.
Nicht zuletzt ist die EU gefährdet auch durch eklatante Demokratie-Defizite, durch den Siegeszug der Lobbyisten und die sinkende Akzeptanz der Bevölkerung wegen fehlender Zukunftsperspektiven und -konzepte – bis hin zur zunehmenden Militarisierung der EU-Politik mit massiven Aufrüstungen statt Abrüstungen durch eine EU, die vor 5 Jahren den Friedensnobelpreis erhielt.

Heute, 60 Jahre später steht Europa „auf der Kippe“, zumindest in einem Erosionsprozess und bedarf eines ganz neuen Anlaufs. Denn mit den Ideen der europäischen Vordenker und Gründungsväter von einst hat die heutige Union nur noch wenig gemeinsam. Die Ursprungsidee ist geradezu degeneriert. Die EU ist in einer regelrechten Sinnkrise.
Drohendes Scheitern und Auseinanderbrechen der EU

„Wir feiern jetzt groß in Rom“, sagte der ehemalige belgische Premierminister Verhofstadt, „aber in Wirklichkeit ist das Projekt gescheitert“, so seine Worte. Auch andere europäische Spitzenpolitiker beschworen noch im vorigen Jahr 2016 allesamt in pessimistischen Reden unisono „das Auseinanderbrechen der EU“, von Ratspräsident Donald Tusk und dem französischen Ex-Präsidenten Hollande über den damaligen deutschen Außenminister Steinmeier und dem vorigen Bundespräsidenten Joachim Gauck, bis hin zum damaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz.

Originalton Martin Schulz: „Ja, die EU kann scheitern. Wenn wir nicht aufpassen, fällt sie auseinander“. Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer malte in einem Interview 2016 die Lage noch viel dramatischer: „Europa ist viel zu schwach und zu zerrissen. Und so wird die westliche Welt, wie wir sie kennen, vor unseren Augen versinken.“ Doch wäre nicht das Zerbrechen Europas eine moralische Bankrotterklärung der zivilisierten westlichen Welt?

Deshalb soll in diesem Beitrag im ersten Teil der bedenkliche Zustand der EU mit ihren Fehlentwicklungen in einer Problemanalyse näher betrachten werden. Im zweiten Teil sollen die inzwischen vorliegenden diversen Reformvorschläge „von oben“ bewertet werden – also was von offizieller Seite, von den EU-Institutionen und Europas Spitzenpolitikern (wie Juncker und Macron) daraufhin für die Rettung Europas und seine Zukunft geplant ist (und ob das ausreicht oder in die falsche Richtung geht).
Und im dritten und wichtigsten Teil soll der Blick darauf gelenkt werden, was „von unten“ aus der Zivilgesellschaft an Alternativen für ein bürgernahes Europa von unten und seine Neubegründung vorgeschlagen wird und welche Aktivitäten und Initiativen dazu ergriffen werden.

TEIL I: Zum gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union

EU seit 12 Jahren im dauerhaften Krisenmodus

Der bedenkliche Zustand der EU, die sich seit 12 Jahren in einem dauerhaften Krisenmodus befindet, spiegelt sich in folgenden Zitaten aus Zeitungsschlagzeilen:

• „Ist Europa schon tot, oder liegt es noch im Koma?“
• „Der taumelnde Riese EU“
• „Diese EU ist am Ende““
• „Europa am Scheideweg“
Andere Vorwürfe lauten:
• „Die EU zerstört die europäische Idee“
• „Der Euro spaltet Nord und Süd“
• „Europa ist eine lahme Ente – statt neuen Schwung zu nehmen“
• „Das europäische Projekt hat seine Versprechen nicht gehalten“
Und Zeitungskommentatoren attestieren:
• „Die Reformfähigkeit der EU steht in zentralen Politikfeldern in Frage“
• „Europa ist im Begriff, sich in einen gescheiterten Kontinent zu verwandeln“
• „Abbruchstimmung statt Aufbruch-Stimmung in Europa“
• „Fehlende Zukunftsvisionen und nationalistische Rückwärtsgewandtheit“
• „Europa fällt zurück in längst überwunden geglaubte Zeiten“
Einer behauptet sogar:
• „Wenn die EU untergeht, wird keiner weinen“

Das darf allerdings bezweifelt werden, denn der Verlust wäre zweifellos tragisch.
Weitere Schlagzeilen:

• „Was ist los mit dir, Europa?“
• „Schicksalsjahr für Europa
• „Die Europäische Union ist in einer schweren Krise“

Und ein Leitartikler in der Zeitung „Die Welt“ schrieb 2017: „Die EU ist in Teilen dysfunktional und im Kern nicht mehr reformfähig. Sie hat ausgedient. Sie muss neu aufgebaut werden.“ Immer lauter wird deshalb die nach vollziehbare Forderung nach einer Totalrevision der europäischen Verträge. Doch Europa sei „mit 60 noch nicht reif für die Rente“, meint der Luxemburger Regierungschef Xavier Bettel.

Konzeptionslosigkeit statt Neuaufbau der EU?

Der amtsmüde Kommissionspräsident Juncker musste nach den Jubiläums-Feierlichkeiten in Rom eingestehen: „Ein echtes Konzept fehlt. Eine Antwort darauf haben wir nicht, wie die Zukunft der EU konkret aussieht.“ Das ist quasi eine Bankrotterklärung von höchster Stelle, ein politisches Armutszeugnis. Aber sollten wir nicht für die Wiederbelebung Europas energisch kämpfen?

Gerade jetzt kommt es doch auf die gemeinsamen europäischen Werte an – auch als freiheitliches Gegenmodell zu den Systemen von Trump, Erdogan, Putin, Orban und anderen. Dazu ist ein grundlegendes Überdenken der Politik und Architektur der EU dringend gefordert, wenn dieser Kontinent nicht scheitern soll. Die Prinzipien der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung stehen auf dem Spiel, ebenso die sozialen und demokratischen Prinzipien.

Europa wird meines Erachtens weniger an der Flüchtlingsfrage zerbrechen als vielmehr an der ungelösten sozialen Frage und an seinen eklatanten Demokratie-Defiziten. Daran ändern auch nichts die vor wenigen Tagen in Göteborg von den EU-Institutionen gemeinsam verkündeten unverbindlichen Aussagen für einen „sozialen Pfeiler der EU“, die im Weiteren noch näher hier betrachtet werden.

Die Menschen in Europa sind die politischen Bücklinge gegenüber den internationalen Finanzoligarchen leid, die uns als „marktkonforme Demokratie“ verkauft werden. Dabei brauchen wir einen demokratiekonformen Markt, denn die Wirtschaftslastigkeit Europas erzeugt mehr Verlierer als Gewinner. Die Sehnsucht nach einer tragenden Idee für Europa wurde kaum erfüllt; Europa hat seine Versprechungen nicht gehalten.

Die Menschen sind zwar mehrheitlich für die europäische Integration, aber sie wollen ein anderes Europa als das der Eliten. Andernfalls vollzieht sich mit den Rechtspopulisten in Europa und Amerika bereits eine gefährliche antiliberale Revolte. Vielleicht hat der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nicht ganz Unrecht mit seiner Aussage, dass die EU sich außen- und wirtschaftspolitisch zunehmend von den USA emanzipieren sollte, dann hätte die Ära Donald Trump wenigstens in dieser Hinsicht ihr Gutes.

Es fehlt der Antrieb zu einem solidarischen Europa

In Wirklichkeit fehlt der Antrieb zu einem solidarischen Europa – mit höheren Löhnen, kürzerer Arbeitszeit, bezahlbaren Wohnungen und umfassender Sozialversicherung sowie Wohlstand für alle, wie jüngst in Göteborg zwar von der EU-Spitze verkündet – allein, es fehlt der Glaube. Deutschland als reichstes Land will nicht draufzahlen – weil es heute schon 13 Mrd. € mehr einzahlt als es an EU-Mitteln erhält, Und keiner will sein Wohlstandsniveau absenken. Im Hinterkopf des größten und einflussreichsten EU-Landes versteckt sich in Wirklichkeit das Anliegen „Germany first“.

Der „Exportweltmeister Deutschland“ mit seinen Exportüberschüssen und seiner Niedriglohnpolitik ist mit diesem nationalen Wirtschaftsegoismus mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang der südeuropäischen Länder und deren Verschuldung, von der Deutschland auch noch profitiert, so attestieren die Wirtschaftswissenschaftler. Und außenpolitisch muss Europa seine Handels- und Entwicklungspolitik korrigieren, wenn ihm wirklich an der Beseitigung der Fluchtursachen in den Armutsländern außerhalb Europas gelegen…
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8 Kommentare

Zitat:„Was der Verbreitung des Dharma (übersetzt etwa: buddhistische Wahrheit) hilft, ist in Ordnung, auch wenn das die Anwendung von Gewalt bedeutet."

Wo dies in „buddhistischen“ Texten steht, wird die ursprüngliche Lehre des Buddha pervertiert, verfälscht, ins Gegenteil verkehrt. Denn die Verbreitung des Dharma „bedeutet“ nicht zwangsläufig „die Anwendung von Gewalt“. Inken Prohl und Christa Miranda differenzieren da durchaus und beziehen ihre Kritik, auch dieses Zitat auf „buddhistische Auslegungstraditionen“, nicht auf die ursprüngliche Lehre.

Wenn du, Andreas, alles, was ich dazu geschrieben und verlinkt habe, gelesen und verstanden hast, muss dir aufgefallen sein, dass es diese Missachtung des Buddha und dessen, was er widerspruchsfrei gelehrt hat, fast überall da gab und gibt, wo man aus einer Philosophie, bei der Ethik und Leben, Theorie und Praxis zusammengehören, eine Religion gemacht hat und macht. Der Dalai Lama, aus dem Gedächtnis zitiert: In allen Religionen verbirgt sich ein Gewaltpotential.

> "Der Dalai Lama, aus dem Gedächtnis zitiert: In allen Religionen verbirgt sich ein Gewaltpotential."

Ist doch auch mein Reden...

> "Der Dalai Lama, aus dem Gedächtnis zitiert: In allen Religionen verbirgt sich ein Gewaltpotential."

Ist doch auch mein Reden...

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