Wilhelm Neurohr: Demokratiegewinn durch das Ende der Parteien-Monopole

Leserbrief zum Artikel in der RZ (Politikseite 2) vom 30.04.09:
„Weimarer Verhältnisse“ in Stadträten

Demokratiegewinn durch das Ende der Parteien-Monopole

von Wilhelm Neurohr

Da beschwören laut RZ-Bericht vom 30. April „wissenschaftliche“ Gutachter der Uni Bochum in einem Gefälligkeitsgutachten für die SPD den „Verlust der Funktionsfähigkeit der Stadträte“ oder sogar „Weimarer Verhältnisse“ in den Stadtparlamenten wegen der fehlenden 5%-Hürde. Die Absicht dieses politischen Horrorszenarios mit dem politischen Alleinvertretungsanspruch der Parteien ist schnell durchschaut: Die erfreulicherweise zunehmende Zahl von freien Listen und Bürgergruppen in den Kommunalparlamenten vor Ort – ein Beweis demokratischen Engagements und kommunalpolitischen Interesses – wird als „Zersplitterung der Stadträte“ dramatisiert. In Wirklichkeit geht es dem Auftraggeber SPD nur um das eigene Machtmonopol der großen Parteien in den Kommunalparlamenten unserer entarteten „Parteiendemokratie“, die zu einem dramatischen Rückgang der Wahlbeteiligung und zu einer Zunahme der Politikverdrossenheit geführt hat.

Laut Grundgesetz, dessen 60-jährige Bewährung wir in diesem Monat feiern, wirken die Parteien lediglich bei der politischen Meinungs- und Willensbildung mit – neben anderen Gruppierungen und neben direktdemokratischen, plebiszitären Beteiligungsrechten der Bürgerschaft. Daran erinnerte einst Bundespräsident Weizsäcker, der den Parteien vorwarf, sich „den Staat zur Beute gemacht zu haben.“ Das gilt erst recht für die untere staatliche Ebene und die Rathäuser mit ihrer als selbstverständlich empfundenen Parteiendominanz und ihrem nicht seltenen „Parteienfilz“.

SPD-Gutachter Bogumil von der Uni Bochum beklagt hingegen eine angeblich „erschwerte Meinungsbildung“ in den Stadträten wegen der kleinen Fraktionen und Einzelkämpfer aus der Bürgerschaft. Was soll das heißen? Ist es nicht sehr demokratisch, wenn in jeder Ratssitzung mit überzeugenden Argumenten um eine Mehrheit gerungen werden muss, anstatt schon stets vorher die Beschlüsse durch die großen Parteienblöcke und -koalitionen mit ihrem Meinungsmonopol berechenbar festgezurrt zu haben? Wer hat da Angst vor lebendiger Demokratie und wechselnden Mehrheiten bei einem repräsentativen Querschnitt der Bürgerschaft im Rat? Wollen wir ein bloßes Parlament der Parteifunktionäre mit Fraktionszwang?

Unsere Demokratie steckt doch auch nach 60 Jahren Grundgesetz immer noch in de Kinderschuhen und ist noch gar nicht zukunftsfähig weiterentwickelt worden. Das möchten die SPD-Gutachter am liebsten im Keim ersticken? Wie schwer tut man sich immer noch mit Bürgerbegehren, mit Volksentscheiden und Volksabstimmungen! Und was soll das Argument, „die kleinen Ratsgruppierungen sorgen für längere Ratssitzungen“? Na und? Funktionierende Demokratie muss vor Entscheidungsfindungen zu Ende diskutieren und nicht im Eilverfahren die Ratsvorlagen schnell durchwinken, damit niemand bemerkt, was sich darin an Parteiinteressen versteckt? Noch dümmer ist das letzte „wissenschaftliche“ Argument des SPD-Gutachters, die Bürgergruppierungen machen das Ratsmandat weniger attraktiv für die Bürger. Das genaue Gegenteil ist doch der Fall, dies beweist das Engagement der vielen Bürgerinnen und Bürger außerhalb der Parteienlisten. Wer um seine Parteienpfründe fürchtet, der sollte sich fragen, warum sich die Mitglieder und Wähler scharenweise von der Partei abwenden, wie insbesondere bei der SPD in ihren einstigen Hochburgen. Demokratie muss wieder gelernt werden, innerparteilich, parlamentarisch und außerparlamentarisch! Deshalb sind alle engagierten Bürger im Sinne kommunaler Selbstverwaltung in ihren Kommunalparlamenten herzlich willkommen!

Bürgerreporter:in:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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