Integration / Assimilation in Deutschland. Geschichte der Polen und Türken in Recklinghausen (Leserbrief)

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl

– Von: Dietrich Stahlbaum, Recklinghausen
– Betr.: Migration und Integration, Berichte, Kommentare, Leserbriefe

Im Vestischen Museum unserer Stadt ist eine sehr interessante Ausstellung zur Geschichte der ausländischen Zuwanderer in Recklinghausen.

Danach waren 1910 23,1 % der Gesamtbevölkerung Recklinghausens Polen, zumeist Bergarbeiter mit ihren Familien. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab es in Deutschland fast eine Viertelmillion polnischer Arbeiter.

Sie waren den gleichen Anfeindungen ausgesetzt wie heute die Türken, so dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als sich abzukapseln, sich eigene soziale Infrastrukturen zu schaffen, und – z. B. in Vereinen – ihre kulturelle Identität zu wahren (Muttersprache, Lieder, Sitten, Bräuche). Es gab in Recklinghausen bis zu ihrem Verbot 1908 polnische Schulklassen und eine politische Partei der Polen. *)

Als Arbeitskraft, Kunden und Steuerzahler erwünscht, als Mitbürger und –bürgerinnen lange Zeit gemieden, haben sich die Zuwanderer aus dem Osten dennoch gesellschaftlich integriert, und nachfolgende Generationen haben sich schließlich sogar völlig assimiliert. Heute erinnern nur noch die Endungen von Familiennamen an ihre slawische (polnische, russische, tschechische, slowenische) Abstammung: -(c)ki, -(w)iak, -witsch, -law, -(w)itz, -kow, -czik, -tzek, -czak, -ick u. a. (z. B. Marschewski, Grochowiak, Kubi(c)ki, Miaskiewitz, Markowitsch). Schauen Sie in „Das Örtliche“! Die Namen wurden "eingedeutscht".

Man wird einwenden, diese slawischen Migranten und die gebürtigen Deutschen gehörten demselben christlich geprägten Kulturkreis an; die soziokulturellen Unterschiede sind nicht so groß wie zwischen Türken und Deutschen; uns trennen Jahrhunderte; sie, die Türken, leben geistig noch im Mittelalter. Und wir?

Es hat in Deutschland dreihundert Jahre gedauert, bis dank philosophisch-humanistischer und wissenschaftlicher Aufklärung die Säkularisierung, die Trennung von Kirche und Staat, wenigstens formal vollzogen wurde, und die schwindende Zahl der Kirchenbesucher und die Kirchenaustritte zeigen, dass religiöse Bevormundung immer mehr abgelehnt wird. Die Türkinnen und Türken der zweiten, dritten Generation werden sich viel schneller säkularisieren und in unsere Gesellschaft integrieren.

Laut einer repräsentativen Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahre 2009 sind „in Deutschland geborene Muslime (die so genannte zweite Generation) insgesamt deutlich besser integriert als ihre Eltern, die häufig aus bildungsfernen Schichten stammen. (…) Die Mehrheit der Muslime bezeichnet sich selbst als gläubig. (...) In religiösen Vereinigungen oder Gemeinden ist allerdings nur eine Minderheit aktiv. Religiöse Veranstaltungen besucht nur ein gutes Drittel ´häufig`, die Mehrheit ´selten oder nie`.“ Und was die Kinderzahl betrifft: sie wird in jungen türkischen Familien deutschen Verhältnissen immer mehr angepasst. Die Angst vor „Islamisierung“ und „Überfremdung“ ist demnach irreal. Helfen wir, Integration zu erleichtern, indem wir unsere Xenophobie, die Fremdenfurcht, überwinden und alle Menschen als Mitmenschen achten!

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*) Hierzu diese wichtige Studie «Ausländerbeschäftigung im Kaiserreich und in der
Weimarer Republik», Kapitel «Ruhrpolen» (S.6 ff.)
=>http://www.anna.tschaut.de/referate/Migrationausar...

Am 28.09. in den Zeitungen des Medienhauses Bauer veröffentlicht.

Bürgerreporter:in:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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