Ein ganz normaler "Einkaufssamstag im Kaufparadies"

8. Oktober 2011
Stederdorf, 31228 Peine

Der ganz normale Wahnsinn: Samstag morgen im "Kaufparadies"

Eigentlich machen wir unseren Einkauf in einem der nächsten Verbrauchermärkte auf dem Dorf oder, wenn noch vorhanden, in den Geschäften "vor Ort".
Nun aber führte uns unsere samstagmorgendliche Einkauftour in die nächst größere Stadt und in den größten Discounter vor dessen Toren.
Der Parkplatz ist groß, aber wohl nicht groß genug, denn schon wie wir auf der Suche nach einem Parkplatz unsere Runden drehen, erleben wir einen kleinen Unfall, der durch ein unvorsichtiges zurücksetzen aus der Parkbucht entstanden ist und deren verbale und visuellen Begleiterscheinungen uns direkt erreichen.
Endlich am hinteren Ende des Platzes erringen wir einen Stellplatz für unsere Benzinkalesche. Von hier aus, würde sich ein Bus-Shuttelservice zum Haupteingang schon lohnen.
Nach einen anstrengendem 10 minütigen Fußmarsch, erreichen wir den Haupeingang und ergattern auch noch einen der überaus raren beweglichen Einkaufsdrahtkörben mit 4 Rädern und Stütz- und Haltegriff. Leider wird uns der Zutritt zu den Verkaufshallen vorläufig verwehrt.
Im Eingangsbereich befinden sich die beiden einzigen Pfandflaschenannahmeautomaten. Man das war ein schwieriges Wort und so lang.
Anscheinend findet hier das Jahrestreffen der Pfandfalschensammler satt. Jeder mit 2-4 Einkaufwagen bewaffnet, welche alle bis über die Tragfähigkeitsgrenze beladen sind mit PET und anderen Pfandflaschen, stehen hier in 2 er Reihe, ca. 40 Anwärter die auf die Einteilung zur Pfandflaschenabgabe warten. Zu allem Überfluss sind die Annahmeautomaten, entweder kaputt, werden grade geleert, sind gestört oder werden von jemanden gefüttert, der verzweifelt versucht für eine vollgebratzte Babywindel, 15 Cent Pfand zu kassieren. Auch wird gern versucht die Automaten zu verarschen, indem probiert wird, die Flasche die man aufs Band gelegt hat, blitzschnell wieder zurück zu holen um sie nochmals durchlaufen zu lassen. All dieses Ansinnen, bringt den erheblich steigendem Ansturm zusätzlich ins Stocken.
Da es auch noch Mitmenschen gibt, die es vor langer Zeit geschafft haben in die Kaufhalle zu gelangen und nun mit Ihren Einkäufen diese verlassen möchten, ist das Nadelöhr = "Eingang" hoffnungslos überlastet. Ein "Reinkommen" erscheint unmöglich. Für die, die drin sind, sieht die Angelegenheit ebenfalls nicht gut aus.
Ich sehe mich nach einem Nebeneingang um, kann aber keinen ausmachen.
Da mir die Sache gehörig auf die Nüsse geht, schiebe ich meinen Einkaufs-"Rollator" meinem Vordermann in die Kniekehlen, rufe..."Vorsicht, Schwangere Frau mit Zwillingen in den Wehen", oder .. "Achtung Lieferung für den Chinamann, Kleingehackte Ratte gannzzz Heisss...". Man dreht sich um und lässt mir eine winzige Lücke, die ich sofort nutze um in den Eingangsraum vorzustoßen, um sogleich mit einem übervollen Drahtverhaugeflechtwagen mit geschätzt 150 PET 1,5 l Flaschen der Marke Pepsi zusammenzustoßen, den ich auch in gefährliche Seitenlage bringe.
Irgendjemand greift nach meiner Jacke und will mich unter wüsteten Beschimpfungen .... ich stehe hier seit 9.00 morgens an ...hier wird nicht vorgedrängelt... zurück ziehen. Ich endledige mich meiner Jacke im vorwärtsstürmen und ziehe die beste Ehefrau von allen, hinter mir her.
Von vorn kommt mir ein grauhaariger Mann ca. 60 ,mit seinem vollgepackten Einkaufwagen direkt entgegen. So kommen wir nicht aneinander vorbei...ich spreche Ihn an : OPPA, mach mal Platz...!! Er: "Was heiß hier OPPA ich bis 34 Lenze jung und seit 2 Monaten in diesem Laden.. lassen Sie mich vorbei." Ich sehe, das alle seine Einkäufe schon aufgerissen und angeknabbert sind und auch seine Garderobe wohl schon seit Wochen keine Säuberung erfahren hat. Der ist wirklich schon lange hier drin.
Aber ich darf kein Pardon kennen, ramme seine Drahtbüchse, leicht links touchiert und dränge Ihn in die wilde Horde der Flaschenpfandempfänger. Mein Weg ist frei.
Mit tänzelnden beschwingten Bewegungen, führe ich die Baustahlmatte auf Rädern, durch die Gänge, voll von den Dingen die ich zu erheischen versuche.
Was war es noch was wir wollten: Die beste Ehefrau von allen ist etwas echauffiert, zieht aber den wohl vorbereitet Einkaufzettel aus den Revers.
Butter = Kühlregal Butter was heißt hier Butter---hier gibt es Vollmilchbutter, Magermilchbutter, Butterschmalz, Butter grün, gesalzene Butter, kleine Butter, Portionsbutter, Butter mit 10-20 30-50-% Fett, Butter mit Buttergeschmack, Butter ohne Butter, Sojabutter, Erdnussbutter, Nussbutter, Olivenölbutter, Irische Butter, Holländische Butter, ........
mir wird ganz butterig und weich in den Knien. Ich muss meiner Frau alles vorlesen, denn die hat Ihre Lesebrille im Auto gelassen und Ich gehen nicht mehr zurück. Mann ...ich will nur ein Stück Butter...ganz normale Butter...egal ob die schlecht für mich ist oder mich tötet...ein Stück Butter. Ich frage eine verhärmte ältere Frau vor mir, ob Sie wüsste, wo ich ganz normale Butter finden würde.... Pause... Ja Butter, das ist das von der Kuh..haben wir früher noch selbst gemacht...immer rauf und runter im Butterfass.....ich gehe weiter und entdecke ganz links unten als Bückware, "Deutsche Markenbutter" in genauso weißem Papier, wie noch vor Jahren. Ich bin erlöst, lege die Jagdtrophähe in meinen fahrbaren Bunker und strebe weiter. In dem Moment erhalte ich einen Schlag auf den Rücken, wie weiland in meiner Maurerlehre mit dem Kantholz. "Sie Dieb, Sie gemeiner Dieb das ist mein Einkaufwagen. Haltet ihn!..." Ich bin erst verwirrt und dann erkenne ich, das ich meine Jagdtrophäe in einen falschen Wagen gelegt habe, will mich entschuldigen, meine Butter mitnehmen und entfleuchen, da kommt:"Sie werden sich doch nicht erdreisten nun auch noch meine Butter zu stehlen." "Nein,, Nein... will ich nicht...obwohl ich Sie gefunden habe.....". Ich verdrücke mich, weiß aber jetzt wo die Butter liegt, nehme ein neues Stück und wundere mich, das das Design der Butterumhüllung, seit 20 Jahren keine Veränderung bekommen hat. Immer noch mit dem Pleitegeier drauf.
Ich suche die "beste Ehefrau von allen, die sich amüsiert die Szene angesehen hat und weiter geschlendert ist.
Ich finde Sie in der Gemüse- und Obstabteilung. Wenn man dieses so nennen kann. In den alten Pariser Markthallen war das Angebot in den 80gern nicht so üppig.
Hier bekommen Sie alles: Von der Avocado, die ganze Ananas, Kiwis, Kokosnüsse, Nüsse, und Melonen, normale Melonen, Wassermelonen,Zuckermolonen, Melonenbowle mit ganze Stücken, und Tomaten.
Tomaten wäre untertrieben. Es gib mindestens 6 verschiedene Sorten und davon noch mal min 4 verschiedene Größen, von Normal, Übergroße, Fleischtomaten, Partytomate Cocktailtomate, Minitomate, Sandwichtomate, Tomatenmark, Tomatenmüsli, Tomatensoße.......Was man nicht alles aus so einer Tomate machen kann!......Ich erwische die beste Ehefrau von allen grade dabei, die Reife und Fruchtigkeit der Früchte zu prüfen, indem Sie mit starkem Daumendruck auf die Schale prüft, ob diese noch fest genug ist. Dringt der Daumen in die Frucht, ist diese überreif und nicht für Sie brauchbar, wird mit dem Loch nach hinten wieder hingelegt, bis Sie das passende gefunden hat.
Frauen sind halt wählerisch .
In Kleidungsfragen dauert es ja auch ein wenig länger bis das richtige gefunden ist.
Ich befasse mich daher lieber mit meiner Sache: Fleisch. Wir verabreden uns : um 13.00 Uhr an der Fleischtheke links. "Vergiss nicht den Braten".
Mit einer Behändigkeit, die man meinem massigen Körper nicht zutraut und einer Geschicklichkeit, die einen Slalomfahrer auf der Abfahrt gleichkommt, buchsiere ich meinen Einkaufrollator durch die wogenden Massen, ohne mit warnenden und auffordernden Rufen zu geizen, die Fahrbahn für den Landvogt frei zu machen.
Ich erreiche die ersten Ausläufer der Fleischabteilung nach ca 10 Minuten. Erstmal kommen alle "abgepackten" Wurst und Fleischsorten an mir vorbei. Links der Frische Aufschnitt in Plastik im Kühlregal, rechts das "Dauerfleisch" als Wurst oder Schinken. Ich zähle allein 25 Sorten Dauerwurst, wie Mettwurst, Schlacke, Salami in zig Sorten mit und ohne im Darm im Pelzmantel ohne oder nackig, vom Erzeuger oder ohne Erzeuger, ohne Schwein mit Schwein, mit Rind , Esel oder Muli, mit oder ohne Faden...... vom Schinken möchte ich jetzt nicht reden, das ist eine andere.... längere Geschichte.
Im Kühlregal gibt es alles----- ich suche einen Krustenschweinebraten mit viel Kruste---und wie verhext---- der liegt nicht abgepackt im Regal.... Ich bewege mich auf die Fleischtheke zu, in der Hoffnung hier das gewünschte zu ergattern, aber vor mir stehen min 20 Leute in der Schlange.
Hier gibt es nicht nur Fleisch am Stück, sondern auch Aufschnitt. Ich will mich an den Aufschnittkäufern vorbeimogeln, bekommen aber schon auf halber Strecke einen Schirm zwischen die Beine und schlage lang hin. "NEEE NE junger Mann,, immer schön hinten anstellen".
Erklärungsversuche, ich würde mich nur um den Erwerb einen Schweinekrustenbraten mit viel Kruste bewerben, zeigte kein Wirkung. Ich wurde unter Beschimpfungen wieder nach hinter geschickt und stand nun als 25. in der Reihe. Das kommt davon.
In der Zwischenzeit, leihe ich mit vom Buchständer gegenüber eine historischen Roman aus und fange an zu lesen. Ich kommen nach ca. 10 Minuten ca. 2 cm weiter in der Schlange.
Als ich endlich an der Theke stehe, fragt mich die nette Fleischfachverkäuferin was mein Begehr wäre, Aufschnitt, Schnittwurst.... nichts dergleichen einen Schweine Krustenbraten mit viel Kruste....... den gibt es hier nicht.. zwei Theken weiter bitte. Ich gehe... etwas verwirrt weiter. Hier ist weniger los. Ich bin bald dran um zu erfahren, das ich entweder Schweinerollbraten, Schweinenackenbraten ohne Kruste, Rippenbraten, Schweinebauch mit wenig Kurste aber viel Fett, gefüllten Schweinbraten, ect. ect. bekommen könnte, aber keine Schulterbraten mit viel Kruste. Der würde nur auf Bestellung angefertigt. Monno toll geil.... ich bestelle.... Lieferung nächsten Montag ab 14.00 Uhr. Ich bin verzweifelt und nehme das was da ist. Egal was. Wenn ich nicht bekommen kann was ich möchte, ist der Rest auch schon egal.
Die beste Ehefrau von allen habe ich schon seit gefühlten 5 Stunden nicht mehr gesehen, aber ich habe bei der ganzen Warterei total das Zeitgefühl verloren.
Links neben der Fleischtheke schlage ich mein Lager auf. Ich warte auf die beste Ehefrau von allen. Da ich nicht weiß wie spät es ist frage ich jemanden der Vorbeieilenden und erhalte die Antwort: "Man has`te kein Handy, da steht die Zeit drauf.... Blödmann". Ich habe aber kein Handy.
Ich beginne weiter in meinem geliehenem Historischen Roman zu lesen ab Seite 120. Die ersten 120 habe ich bei der Wartezeit vor der Fleischtheke gelesen. Irgendwann kann ich nicht mehr stehen und setze mich auf den Fußboden.
Ein kleiner weinender Junge fragt mich wo seine Eltern sind. "Weiß ich doch nicht!".... aber weißt Du was , wir warten hier. Ich auf die beste Ehefrau von allen und Du schaust ob deine Eltern irgendwann vorbei kommen. Er weint die ganze Zeit. Irgendwann, ich weiß nicht mehr wann, nenne ich Ihn "Freitag".
So saßen wir wohl längere Zeit... historische Roman, Seite 289, als die beste Ehefrau von allen erschien, wie eine Elfe aus dem Märchen. Sie hätte sich festgequatscht, aber ich hätte ja genug zu tun gehabt und wer das weinende Kind neben mir wäre.
Ich sage, das das "Freitag" wäre und ich gern nach Hause wolle.
Die beste Ehefrau von allen hat ein Erbarmen und strebt den Kassen zu. Überall Stau. Ich nehme mir aus der Speiseeistruhe 2 Eis, eins für mich eins für "Freitag", der sofort aufhört zu weinen. Wir warten, die beste Ehefrau von allen sucht noch nach "etwas", kommt zurück, ich hole noch schnell einen Kasten Bier für die Woche, Sie entfleucht und holt noch Nudeln, ich hole noch schnell mein Zeitschriften und Tabak und gebe den historischen Roman zurück, da ich in ausgelesen habe.
"Freitag" hat mittlerweile das vierte Eis am Stiel verdrückt und weil die 6 er Packung nun mal auf ist und schon antaut, esse ich auch noch eins.
Wir kommen an die Kasse, legen unser Erbeutetes auf das Laufband. Als letztes "Freitag" um anzumelden, das das verlorene Kind seine Eltern sucht.
Die Rechnung beläuft sich auf 544,24 Euro, da "Freitag" mit 300 Euro eingescant wurde. Wir protestieren. Der Geschäftleiter kommt, die Sache wird geklärt und Freitag verschwindet im Büro des Geschäftsführers unter Rufen wie " Mama-Papa?".
Wir streben entschlossen dem Ausgang zu, werden aber schon in Höhe des China-Sprossen-Imbisses, gestoppt. Die Schlacht im Ein-Ausgangsbereich dauert an und wird nun aber unter Zuhilfenahme der mitgebracht leeren Pfandflaschen knallhart ausgetragen.
Wir beschließen Hunger zu haben und eine süß-sauer Chinasuppe + Herbstrolle--- Quatsch= Frühlingsrolle zu schnabulieren und zu beobachten, wann oder wenn dann der Ein-Ausgang uns eine Lücke zur Flucht anbieten würde.
Nach einem ausgiebigen 16 Gänge Mal, etliche Mihu-Tui Schnäpsen zeigt sich im Dunst der Bodenreinigungsmaschinen eine kleine Lücke. Wir stoßen vor und betreten wieder die "Frische Luft" verstauen unser Mitgebrachtes in unserem Umweltvernichter und streben die Heimfahrt an. Ein aufregender Tag.

Wohl ein ganz normaler "Einkaufsamstag" in dieser unserer Republik.

Henning Lahmann 8.10.11

P.S. Das nächste Mal bestelle ich den Braten beim Fleischer meiner Wahl 2 Tage vorher, und hole meinen wöchentlichen Einkauf wieder da, wo man mich kennt.

Bürgerreporter:in:

Henning Lahmann aus Edemissen

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