Als Tamada in Georgien am Kaukasus 1999

Georgien im Kaukasus. Unten fließt der Alazani Fluß.
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  • Georgien im Kaukasus. Unten fließt der Alazani Fluß.
  • hochgeladen von Karl-Heinz Mücke

Georgien war 1999 einem ehemaligen Kollegen und seiner Frau zu "heiß" (gefährlich) und sie verließen fluchtartig das Land. Zur Beruhigung der Situation wurden viele Polizisten, Soldaten und Sicherheitskräfte eingestellt und der Präsident Eduard Schewardnadse kündigte sein Kommen an. Also wurde ich gefragt, ob ich nicht mal ganz schnell für ein paar Tage als Ersatz hinfliegen könnte. Bis Flug und Visa geregelt waren hatte Schewardnadse unsere Crew auch ohne mich besucht. Die Arbeit blieb trotzdem.

Unsere Firma hatte eine Ausschreibung von der Weltbank gewonnen, im östlichen Teil des Landes in einer bestimmten Zeit nach Ölvorkommen zu suchen. Der italienische Bohrturm war schon bestellt und wir sollten 2D-Linien und 3D-Flächenmessungen machen um den exakten Bohrpunkt bestimmen zu können. Die Geräte waren schon aus Mailand, Hannover, Uetze und Vechta eingetroffen. Es wurden auch einige Fahrzeuge in Georgien gekauft und gemietet.
Da es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit der gesamten Wirtschaft und Infrastruktur auch in Georgien bergab ging, gab es auch in der Region Kakheti keine Hotels mehr. Es gab kaum elektrischen Strom, deshalb wurden die letzten Überlandleitungen gestohlen. So mieteten wir uns in Privathäusern und in ehemalige Firmengelände ein. Wir mussten aber unsere eigenen Generatoren und unser eigenen Kraftstoff mitbringen. Dazu natürlich die Sicherheitskräfte. Für den Fall eines Feuers sind der örtlichen Feuerwehr von uns einige Dieselkanister zur Verfügung gestellt worden. Wir hatten auch unseren eigenen Arzt mit Rettungswagen. Die Kleinstadt Dedopliskaro (Tsiteli-Tskaro) hat einen eigenen Generator und liefert abends für zwei Stunden Strom für die Bevölkerung um die Batterien aufladen zu können und die wenigen Wasserpumpen zum Laufen zu bringen. Zur Stromversorgung habe ich ein paar Bilder. Wir wurden auch von unseren Gastfamilien versorgt. Fast wie in einem guten Hotel. Deshalb nannten wir unsere Gasthäuser auch „Hilton“ und Sheraton“. Zur Freude der Anwohner hatten wir so über 300 Leute beschäftigt. Das war ein richtiger wirtschaftlicher Aufschwung für die Gegend.

Georgier sind gebildete Leute. Es studieren prozentual mehr Kinder als in Deutschland. In jeder unserer Gastfamilien stand ein Klavier auf dem auch täglich gespielt wurde. Am liebsten wird aber auf den Strassen neben Backgammon meistens Schach gespielt. An jeder Ecke. Zu meiner großen Überraschung musste ich damals feststellen, dass Georgier vom Typ und der Art auch Deutsche sein konnten, die es zum Kaukasus verschlagen hat. Geschichtlich ist es wohl umgekehrt. Wir stammen wohl eher von dort ab. Wie war das mit den Goten?
Der größte, bekannteste und noch immer sehr verehrte Georgier ist Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili genannt „Josef Stalin“. Seine Verbrechen werden von vielen einfach vergessen und ignoriert. So habe ich auch in der Stalin-Allee gelebt.

Mein Schlafzimmer hatte ich im Haus eines ehemaligen U-Boot Kapitäns, mein „Office“ im Haus eines ehemaligen Direktors einer Molkerei. Wir wurden wie Familienmitglieder aufgenommen. Beide konnten ein wenig Englisch sprechen. Wir hatten natürlich genügend Dolmetscher von Kartuli, so heißt die Georgische Sprache, ins Englische. Mir wurde einmal eine Deutschlehrerin vorgestellt, die dann so nervös und vor Freude aufgeregt war, das sie kaum einen Satz richtig sprechen konnte. Automatisch lernt man aber ein zwei Floskeln in der Landessprache. Das kommt immer gut an.
Die Leute sind aber immer freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit.
Nachts sind allerdings einige etwas sehr auf ihren Eigenbedarf bedacht, weshalb wir selbst das Wachpersonal überprüfen mussten. Wenn der tags zuvor aufgetankte Generator, der normal zwei Tage ohne nachfüllen laufen kann, schon in der folgenden Nacht den Geist wegen Spritmangel aufgibt, hat der Wächter etwas falsch gemacht.

Jeder Georgier schützt sein Haus und Garten mit einer hohen Mauer oder einem Zaun. In ihrem Reich sind sie Selbstversorger. Viele haben eine Kuh für Milch, vielleicht auch ein Schwein und Kaninchen als Fleischlieferant. Sie bauen alles an was sie brauchen. Gemüse, Kartoffeln, Melonen, Feigen, Walnüsse, Sonnenblumen, Wein usw. Georgien war früher einmal der Paradiesgarten der Sowjetunion. Es ist nicht mehr viel davon geblieben. Die asphaltierte Stalin Strasse ist nicht nur Promenade, man sitzt dort abends draußen auf der Bank, sie wird auch zum trocknen der Früchte genommen. Not macht erfinderisch.

Das Gelände zwischen dem Kura- und dem Alazan-Fluss in der Kakheti Region ist wie bei uns im Mittelgebirge mit ca. 180m bis 800m Höhe. Die Gletscherbedeckten Berge des Kaukasus sind gut zu sehen. Es gibt wenige Ortschaften und aus den kleinen Dörfern wandern die Leute aus. Am liebsten in die U.S.A. , wenn es geht natürlich auch nach Deutschland, Griechenland oder Israel. Dedopliskaro ist so von über 10tausend Einwohner auf 8tausend geschrumpft. Zurück bleiben die Alten.
Mit der ärztlichen Versorgung ist es auf dem Land auch nicht mehr so gut gestellt. Es gab in unserer Gegend „Anthrax“ das ist Milzbrand. Offiziell sprach man von 4 Toten, inoffiziell von 20.
Wie die Türkei und andere Kaukasusstaaten ist Georgien auch Erdbebengebiet. Von Juli bis Oktober hat es zweimal richtig gebebt. Mit unseren feinen Messinstrumenten konnten wir natürlich noch mehr Beben feststellen, das waren aber die Russen, wenn sie im Kaukasus Dörfer bombardiert hatten. Dann mussten wir unsere Messungen einstellen. Seismische Wellen dieser Art gehen eben auch um die Erde.

Neben der Eklipse der Sonne am 11. August war die Weinlese ein weiterer Höhepunkt.

Als wir zum Abschluss zu einem großen Fest geladen hatten, kam alles was Rang und Namen hatte. Jeder brachte etwas mit. Es wurde aus Hörnern guter Wein getrunken und viele Reden gehalten.
Ich hatte die große Ehre als Tamada zu fungieren. Das ist so eine Art Moderator durch das Fest.
Man hält die erste Rede und bedankt sich zuallererst bei Gott. Danach spricht man alle am Tisch Anwesenden einzeln nach bestimmter Rangordnung an. Die Sitzordnung und Einladung hat man auch vorher festgelegt. Anschließend leitet man das Festmahl in dem man bestimmt wer als nächstes Reden darf. Ganz wichtig ist, dass niemand betrunken wird oder wirkt. Man selbst natürlich auch nicht. Wie man auf den Bildern sieht, war ich auch bei dem Einkauf für das Fest mit dabei. Meine Firma musste aber auch alles bezahlen. Mir waren von meinem Manager 200US$ bewilligt worden und ich bin dank vieler Spenden von den einfachen Leuten mit 180 US$ ausgekommen. So groß war die Freude mit Freunden ein Fest feiern zu können.
Mindestens einmal im Jahr bekomme ich immer noch Informationen und Grüße über das Internet zugeschickt.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Mücke aus Pattensen

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