Im Land der gelben Andreaskreuze

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Fünf Jahre hatte er nicht mehr zu Besuch reisen können in diese Landgemeinde bei Uelzen und seine Gastgeber, nennen wir sie Hubertus und Hanne, begrüßten ihn nun nach der langen Zeit entsprechend herzlich. H. und H. geht es auch im Ruhestand gut, was Hubertus - selbstironisch - dadurch kund tut, dass er sich "Besser reich und gesund als arm und krank" hat auf die Visitenkarte drucken lassen.

Am zweiten Tag seines kurzen Aufenthalts stand ein Tagesausflug in - wie sich herausstellte - das Land der gelben Andreaskreuze auf dem Plan. Es war eine nostalgische Fahrt. Überall wurde er an die Wende von den Sechziger- zu den Siebzigerjahren erinnert als er die Gegend kennengelernt hatte: das kleine Süttorf, dann Rosche (korrekt mit langem 'o' gesprochen), die herbstlichen Pilzwälder, die damals an den Wochenenden von Hamburgern heimgesucht wurden. Er erinnerte das alte Wendland, die von den Zeitläuften abgeschnittene Halbinsel im "Roten Meer", auf der Grundbesitz noch billig war und wo sich deshalb so mancher Berliner eine Ferienimmobilie leistete, zu Zeiten als "der Insulaner [noch] unbeirrt" hoffte, "det seine Insel wiedern schönet Festland wird". Ganz am Ende des Wendlandes, nahe der Demarkationslinie, die die einen die Zonen- und die anderen die Staatsgrenze nannten, sah es damals so trist aus, dass der Volksmund meinte, dort wisse man manchenorts gar nicht, auf welcher Seite der Grenze man sich eigentlich befinde.

Das alles ist Vergangenheit. Geblieben ist die weite, abwechslungsreiche Landschaft aus Wäldern, Feldern, malerischen Buschgruppen und Hainen, hinter denen sich die spärlichen Kleinsiedlungen verstecken. Steht ein Gehöft an der Straße, ziert es schon mal das gelbe Anti-Atom-Kreuz. Sobald man den Drawehn erreicht, kommt man kurz vor Lüchow in die Gegend der wendischen Rundlinge, Dörfchen mit einem kreisförmigen Anger, um den die alten Bauernhäuser in der Runde stehen. Als Beispiel mag das kleine "Wellnessdorf" Sagasfeld dienen. Es hat sich mit dem "1. Deutschen Kartoffel Hotel", einem Naturschwimmteich, dem Heimatmuseum und einem kleinen Laden für den gehobenen Andenkenbedarf ganz auf Tourismus eingestellt.

Von Lüchow ging es nach Dannenberg und dann über die Elbbrücke nach Dömitz in Mecklenburg. Wenige Kilometer westlich der Kleinstadt liegt das Dorf Vielank, in dem sich das regional bekannte Vielanker Brauhaus findet, mit einer Gaststätte für ein deftiges Mittagessen. Hanne hatte sich schon den ganzen Vormittag über auf ein frisch gezapftes naturtrübes Weißbier gefreut. Doch die recht stämmig geratene, blonde Kellnerin verkündete - wie in vergangen geglaubten Zeiten - "Ham wer nich! Weißbier gibt's heute nur in Flaschen." Auch Hubertus', des Fahrers, Wunsch nach einem Wasser wurde abschlägig beschieden: "Ham wer nich! Wir brauen hier und woll'n Gebrautes verkaufen!" Kein Wort darüber, dass die Karte eine Reihe nicht alkoholischer Getränke verzeichnete. Ein späterer Blick auf die Homepage des Brauhauses offenbarte dann, dass es über seinen Versandshop durchaus auch Wasser aus eigener Abfüllung [!] anbietet.

Nach dem Essen ging es zurück nach Dömitz. Auch auf der Fahrt durch das elbnahe MeckPom traf man überall auf die gelben Andreaskreuze. Das Café auf dem 40 m hohen Hotel am Dömitzer Hafen war dann das Ziel des Nachmittags. Dort hat man einen herrlichen Blick auf das Festungs-Städtchen und die Elde-Kanal-Schleuse auf der einen und auf die weite Elbniederung auf der anderen Seite. Wer sich einmal fühlen möchte wie auf den oberen Rahen der "Gorch Fock", begibt sich auf den schmalen Außenumgang des Cafés und macht so auch im Binnenland eine ganz eigene Erfahrung.

Auf der Rückfahrt ging es noch an den Ursprungsort der gelben Kreuze, das z. Z. ruhige, protestfreie Gorleben. Der Abend klang bei Gesprächen und einem zünftigen bayerischen Bier aus; es war ja schließlich Oktoberfestzeit!

Bürgerreporter:in:

Peter Perrey aus Neustadt am Rübenberge

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