Minigolf im Volkspark 1968: Improvisation, Gemeinschaft, Abenteuer und eine deutsche Meisterschaft

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Seit 1964 existiert der Erste Mainzer Minigolfclub. Bis Mitte der Siebziger war der Minigolfplatz im Volkspark das Domizil des Vereins. Gerade in der Anfangszeit ging es neben dem fairen sportlichen Wettkampf um Geselligkeit und Austausch quer durch die Republik. An vielen Wochenenden reisten die Aktiven zu Auswärtsspielen. Häufig wurden sie von ihren Familien begleitet. Minigolf war so etwas wie ein überregionales Gemeinschaftsereignis, umweht von einem ausgeprägten Pioneergeist und einem Hauch von Abenteuer.
Eine Mainzerin erinnert sich.

21. September 1968
Das Vogelhaus würdigten sie heute mit keinem Blick. Sie hatten es eilig. Die Gebäude mit dem kleinen Zoo und den tropischen Pflanzen zogen sich schier endlos dahin. Ganz am Ende befand sich der Eingang zu den Toiletten der Favorite. Carolin und Petra bissen die Zähne zusammen.
Die elegante Dame am Empfang warf ihnen einen unfreundlichen Blick zu. Carolin seufzte. Das kannte sie schon. Die Bediensteten des feinen Hotels im Mainzer Stadtpark waren nicht begeistert davon, dass die Leute vom Minigolfplatz im Volkspark hierherkamen, um die Toiletten zu benutzen.
„Mann, wann bauen die uns endlich ein Klo?“, stieß Petra hervor, nachdem sie wieder draußen standen.
„Also das frage ich mich auch“, stimmte Carolin ihrer Freundin aus tiefstem Herzen zu.
Deutlich entspannter liefen sie den Weg, den sie gekommen waren, zurück, vorbei an den Gebäuden mit exotischen Pflanzen, Reptilien und bunten Fischen zu ihrer Linken. Aus dem Vogelhaus zu ihrer Rechten ertönte wie immer vielstimmiges Gekrächze. Dann überquerten sie die kleine Straßenbrücke zwischen Stadtpark und Volkspark.

Die betriebsame Atmosphäre des Minigolfplatzes war bereits zu spüren, bevor das Clubhaus in Sicht kam. Dieses merkwürdige Gebäude erinnerte Carolin an ein Legohaus, einfach, schlicht, kantig. Eigentlich war es ein überdachter Durchgang, an dessen Ende die Besucher auf den Minigolfplatz traten. Dort befand sich auch der Schalter des Platzwartes, wo bezahlt wurde. Irgendwie komisch wirkten die Türen, die von dem Durchgang abgingen wie in einem Wohnungsflur. Auf der einen Seite befand sich der Raum des Ersten Mainzer Minigolfclubs, auf der anderen Seite waren Kammern, in denen der Platzwart sein Zeug aufbewahrte. In einer stand die Gefriertruhe mit dem Eis.
Rund um das Clubhaus und im Durchgang wuselten Leute herum. Der Platz war voll, an jeder Bahn wurde gespielt. Am heutigen Samstag trainierten die Aktiven des Ersten Mainzer Minigolfclubs für den Klubpokal. Der wurde am morgigen Sonntag ausgetragen. Da aber am nächsten Samstag ein sehr wichtiges Turnier stattfand, waren auch viele Auswärtige angereist, um sich vorzubereiten.

So war das bei den Minigolfern. Während der Saison reisten sie an den Wochenenden kreuz und quer durch die Republik zu ihren Turnieren. Minigolf war eine durchaus ernste Angelegenheit, vielleicht nicht ganz so ernst wie die Fassenacht. Vor allem aber war Minigolf und alles, was damit zusammenhing, ein aufregendes Abenteuer und Geselligkeit pur. Zu den auswärtigen Turnieren nahmen die Spieler und Spielerinnen häufig die Familie mit. Man kannte sich. Diejenigen, die nicht spielten, unterhielten sich, machten Stadtbummel, gingen ins Café. Oft wurde auswärts übernachtet. An den Abenden aß man gemeinsam im Restaurant. Die Erwachsenen unterhielten sich, die Kinder durften lange aufbleiben. Carolin liebte das. Fasziniert war sie von dem Minigolfplatz in St. Ingbert im Saarland. Dort sprachen einige Leute Französisch. Am liebsten fuhr sie nach Idar-Oberstein. Da gab es Spießbraten.

„Heute könnt ihr nicht spielen!“ Carolins Vater Horst kam auf sie zu, ihren Onkel Wolf und Petras Mutter Brigitte im Schlepptau. Er blickte streng, den Ballkoffer in der einen, den Schläger in der anderen Hand. „Ist zu voll. Wir müssen trainieren“, fügte er überflüssigerweise hinzu.
Das war Carolin schon klar gewesen. Auch Petra wirkte nicht überrascht.
„Ihr könnt zu uns nach Hause gehen“, schlug Brigitte vor und lächelte freundlich.
Petra wohnte ganz in der Nähe. Der Vorschlag war sicher auch gut gemeint, aber sie wollten natürlich unbedingt auf dem Platz bleiben.
„Och, nö, Mama!“, sagte Petra schnell. „Wir laufen ein bisschen rum.“
„Genau“, stimmte Carolin eifrig zu. „Die Kreuznacher sind da.“
Damit meinte sie die vier Kinder eines Spielerehepaares im Alter zwischen sechs und elf Jahren, mit denen man prima das Gelände erkunden konnte, egal wo.
„Ihr könnt ja mit der Bimmelbahn fahren“, mischte sich Onkel Wolf ein. Dabei grinste er.
Dass eine Fahrt mit dem Bähnchen unter der Würde seiner achtjährigen Nichte und der zehnjährigen Petra war, wusste er ganz genau. Die Erwachsenen lachten. Klar, so was fanden sie immer lustig.
„Wir gehen mit den Kreuznachern zur Rollschuhbahn und dann vielleicht in den Stadtpark“, bestimmte Carolin.
Sie wusste, dass ihr Vater solche klaren Ansagen mochte. Jetzt nickte er bedächtig.
„In einer Stunde seid ihr wieder hier“, erklärte Brigitte.
„In Ordnung“, erwiderte Petra. Zum Beweis tipte sie auf ihre Armbanduhr.
Dann schritten die drei Profis zur Tat, also zur Bahn Nummer eins. Sie mussten warten, eine Gruppe spielte noch.
„Die Bahn hängt nach recht“, verkündete ein Spieler aus Schweich. „Und zwar ganz ordentlich.“
„So ist es“, stimmte Wolf zu. „Trotzdem hängen unsere Bahnen weniger als eure.“
„Na, darüber lässt sich streiten“, konterte der Mann aus Schweich gutmütig.
„Alles ist besser als Holzappel!“, warf Brigitte ein.
Zustimmendes Gemurmel, wissendes Nicken.
„Holzappel ist ein Acker“, erklärte Horst kategorisch.
Wieder zustimmendes Gemurmel und wissendes Nicken.

Ob eine Bahn hing, wurde regelmäßig und gründlich geprüft. Der Spieler oder die Spielerin ging tief in die Hocke, legte den Schläger auf die Bahn und schaute hochkonzentriert mit schräg gelegtem Kopf am Schläger entlang. Oft standen andere Spieler dabei und warteten mit ernsten Gesichtern. Die Spannung stieg, bis derjenige, der vor der Bahn hockte, sein Urteil abgab: „Hängt leicht nach links.“ Oder: „Hängt schwer nach rechts.“ Dieses Ergebnis wurde mindestens von einem weiteren Spieler überprüft.
Carolin hatte ihren Vater gefragt, was es bedeutete, wenn eine Bahn hing. Es hatte etwas damit zu tun, dass die Bahnen häufig leicht nach einer Seite abfielen, also schepp waren. Wenn sie beispielsweise nach rechts hingen, musste man den Ball ein wenig nach links schlagen, um das Gefälle auszugleichen. Tatsachlich konnte man dann genau beobachten, wie der Ball auf seinem Weg ins Loch eine leichte Linkskurve drehte.
Was Carolin nicht verstand, war, dass auch Bahnen, die schon mehrfach überprüft waren, immer wieder diesem Ritual unterzogen wurden.

„Lass uns erst mal ein Eis holen“, meinte Petra. „Ich hab Geld.“
Gesagt, getan. Ein paar Minuten später saßen sie auf einem der rechteckigen Betonklötze, die als Sitzgelegenheiten dienten, und genossen ihr Capri. Mittlerweile waren Brigitte, Horst und Wolf an der Reihe.
„Mädchen, langweilt ihr euch nicht?“ Sie blickten hoch, der nette Herr Eller lächelte auf sie herab.
Carolins Herz setzte für einen Moment aus, Petra verschluckte sich an ihrem Capri. Neben Herrn Eller stand Herr Schorsch, ihr Schwarm.
Herr Schorsch grinste. „Na, ihr habt’s gut“, meinte er.
Die beiden Männer gesellten sich zu der Gruppe, die sich gerade an der Eins bereitmachte. Wolf legte seinen Ballkoffer auf den Ständer, der eigentlich für den Block bestimmt war, in den die Ergebnisse eingetragen wurden.

Hund oder Quetsch?“, meinte Horst.
Quetsch ist sicher, Hund ist gewagt“, urteilte Herr Schorsch.
„Ich bin ganz klar für die Quetsch“, erklärte Herr Eller bestimmt.
Wolf atmete tief durch und entnahm seinem Ballkoffer einen schwarzen Hund – so hieß der Ball – und ließ ihn fallen. Alle beobachteten, wie der Ball mehrfach hüpfte. Das taten Hunde nämlich. Die grauen Unlackierten hüpften höher als die schwarzen Lackierten. Alle Spieler wussten das, trotzdem wurde das Ballritual immer wieder durchgeführt.
Mit freundlichem, aber dennoch ernstem Gesichtsausdruck entnahm Herr Eller seinem Koffer einen mittelblauen Ball und ließ ihn fallen. Die Quetsch hüpfte nicht. Herr Eller nickte in die Runde. Die Welt war in Ordnung.
„Dess gibt’s doch nidd!“, dröhnte es in diesem Moment von der Bahn Nummer sieben, dem Weitschlag, herüber.
Wie alle anderen wandte Carolin den Kopf zur Sieben. Herr Becker, bekannt für sein Temperament, schleuderte gerade seinen Schläger auf den Boden. Offensichtlich hatte er auch beim dritten Versuch den Ball nicht bis nach hinten befördert – für einen Profi ein Drama, geradezu eine Schande.
An der Eins wurde verständnisvoll geschaut, ernst genickt, verhalten gegrinst. Das war ihnen allen schon passiert. Herrn Beckers Mitspieler beruhigten ihn. Die Gruppe marschierte von der Eins zur Zwei.

„Carolin, lass uns gehen!“, meinte Petra.
Doch in diesem Moment trat Herr Egli, Platzbesitzer und erster Vorsitzender des Minigolfclubs, mit dem Platzwart aus dem Durchgang.
„Dess muss mä sisch vorstelle!“, sagte der Platzwart und fuhr sich über die Stirn. „De Jockel Fuchs!“
Herr Egli nickte. „Ja, der Oberbürgermeister hat die Schirmherrschaft für die Dritten Internationalen Deutschen Meisterschaften übernommen.“
„Mä habbe hald hervorragende Spielä“, erwiderte der Platzwart.
„So ist es“, bestätigte Herr Egli.
Die Männer gingen an ihnen vorbei. Carolin und Petra warfen sich einen Blick zu, der besagte: Minigolf, samt dem ganzen Drumherum, ist einfach großartig.

Die Mainzer Herrenmannschaft, bestehend aus den Spielern Schütz, Deuter, Schorsch und Eller, wurde bei den Dritten Internationalen Deutschen Minigolfmeisterschaften am 28. September 1968 deutscher Meister.
Quelle:„Die Chronik eines Minigolfers“ (unveröffentlicht), Fotos, Sammlung von Zeitungsartikeln aus dem Nachlass von Horst und Heidi Schütz.
Das Foto, das in der AZ mit dem Artikel von Horst-Dieter Schütz erschien, stammt von dem Fotojournalisten Rudolf Klos.

Bürgerreporter:in:

Carolin Olivares Canas aus Mainz

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