Reden bei der Mahnwache und Kundgebung vor dem Soldatenfriedhof Essel

Aus der Rede von Mechthild Hartung/ Landessprecherin der VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes):

Mecki Hartung kam gerade von von einer Gedenkfeier für ermordete ZwangsarbeiterInnen in Lüneburg. Sie sagte: "Diese Opfer werden gerne am Volkstrauertag mit den toten deutschen Soldaten gleichgesetzt. Wir wehren uns gegen diese Gleichmacherei, denn dabei geraten die wirklichen Opfer in den Hintergrund. In Essel sind Jugendliche in deutschen Uniformen in den Tod gehetzt worden. Das ist schlimm. Tatsache bleibt aber: wir bleiben auf der Seite der Opfer des Nationalsozialismus. Gut dass heute soviele Jugendliche sich auch auf die Seite der Opfer stellen und wie hier in Essel gegen das Heldengedenken von Alt- und Neonazis stehen. Dafür danke ich euch. Wir als VVN/BdA protestieren dagegen, dass Behörden und Polizei im Sinne falsch verstandener Neutralität glauben Demokraten und Neonazis gleiche Bedingungen einräumen zu müssen. Dagegen hat bereits Kurt Tucholsky 1931 das bekannte Gedicht "Rosen auf den Weg gestreut" verfaßt, in dem es heißt: "Ihr müßt sie lieb und nett behandeln". Tucholsky ahnte das 1931 nur, heute wissen alle wohin das geführt hat."

Als dann die Polizei den Versammlungsleiter aufforderte, dass AntifaschistInnen das fotografieren von Friedhofsbesuchern (Nazi-Anhänger) zu unterlassen, denn das würde gegen die Auflagen für diese Versammlung verstoßen, da sagte dann einer vorm Soldatenfriedhof das Tucholsky-Gedicht auf:

Rosen auf den Weg gestreut
Kurt Tucholsky 1931

Ihr müsst sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht - sie sind so zart!
ihr müsst mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift Eurem Hunde, wenn er kläfft - :
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: "Ja und amen - aber gern!
Hier habt ihr mich, schlagt mich in Fetzen!"
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Und schießen sie -: Du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: ihr süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen....

Und verspürt ihr auch
in eurem Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft - :
Küsst die Faschisten, küsst die Faschisten,
küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft - !

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Aus der Rede von Lennard Aldag, DGB-Sekretär:

„Die Gewerkschaften haben als Satzungsaufgabe den Kampf gegen Krieg und Faschismus verankert. Dieser Kampf ist umso aktueller und notwendiger, wenn die Ideologen von Mord und Totschlag ungehindert den Tätern aus der Zeit des Nationalsozialismus huldigen können und die Richtlinien deutscher Außenpolitik mehr und mehr im Verteidigungsministerium festgelegt werden.“

„Zur aktuellen Extremismusdebatte ist nur folgendes zu sagen: Kriminalisiert nicht Antifaschistinnen und Antifaschisten, sondern unterstützt uns im Kampf gegen alte und neue Nazis und für Solidarität und Gerechtigkeit!“

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Rede bei Mahnwache und Kundgebung vorm Soldatenfriedhof Essel

Volkstrauertag 14.11.10 H-D Charly Braun / DGB

Liebe antifaschistischen Freundinnen und Freunde,

diese Toten - egal ob Opfer oder Täter – gehen auf die Rechnung des Nazi-Faschismus. Hitler hat nach einem vergeblichen Putschversuch seine Visionen zwischen 2 Buchdeckel mit dem Titel „Mein Kampf“ geschrieben:

Mittels Krieg, sollte vor allem Osteuropa unterworfen und ausgebeutet werden. Das Öl von Baku und der Weizen aus der Ukraine sollte geraubt und die Menschen versklavt werden. Die reinen Arier aus Deutschland sollten sich im Gebiet der Sowjetunion ansiedeln und eine rassistische koloniale Herrschaft errichten. Für Bolschewisten, Intellektuelle, Juden, Roma, Asiaten und jeglichen Widerstand war Folter, Tod und Massenmord vorgesehen.

Große Teile der deutschen Industriellen und des Hugenberg-Medienkonzerns fanden Hitlers Ziele als die Lösung zum Ausbau ihrer wirtschaftlichen Macht in der internationalen Konkurrenz. Nach einigen Jahren großer Wirtschaftskrise, übertrugen sie Hitler und der NSDAP 1933 die politische Macht – durch das parlamentarische System der Weimarer Republik hindurch. Dann zuerst Ausschaltung der ArbeiterInnenbewegung mit brutalsten Mitteln, dann rassistische Ausgrenzungen, Krieg, Zwangsarbeit, Holocaust - bis zur militärischen Befreiung, auch hier an der Aller.

In den letzten Kriegsjahren wurden alle deutschen Männer, die noch greifbar waren, zu neuen militärischen Einheiten zusammengepackt. Hier zwischen Essel und Hademstorf sollten Männer einer Marineeinheit , des Reichsarbeitsdienstes (RAD) und der Waffen-SS unter allen Umständen an der Aller den Aufmarsch von Briten und Amerikanern mit ihrem Leben aufhalten. Damit die Herren des größten Truppenübungsplatz Bergen-Hohne (TÜP) und die Mörder der Lager Bergen-Belsen, Oerbke u.a. Zeit haben sich zu verdrücken, wurden kaum oder gar nicht militärisch Ausgebildete, meist 17 – 23jährige hier in ein - militärisch obendrein aussichtsloses - Feuer geschickt. Damit diese Jungen das tun, dafür sorgten verblendete Kommandeure und die „Kettenhunde“. „Kettenhunde“, das war die Militärpolizei, die jeden Soldaten auf der Stelle umbrachte, der den Kommandos nicht mehr folgen wollte. Wir wissen aus der Geschichte, dass 1945 immer noch zahlreiche Jugendliche der Nazi-Ideologie und dem Endsieg-Glauben unterlagen. Die mörderische Weltanschauung konnte sich -mangels politischem Widerstand – massenhaft als normal und toll in Millionen Köpfen bis zuletzt festsetzen.

Die 17 – 18 – 20jährigen die auf dem Soldatenfriedhof begraben sind, was hatten die denn schon vom Leben gehabt. ?

Der kommandierende 43jährige Kapitän Gördes (kurz bevor er 44 wurde) soll sich selbst erschossen haben, als er sah, dass der Kampf aussichtslos war.

Nun liegen sie da in der Erde, 114 Mann, manche Leichen so zerstört, dass sie „unbekannter Soldat“ blieben. Der Streit, ob sie Nazis waren, ist müßig. Konnten die unter 20jährigen schon ein dauerhaftendes Nazi-Bewußtsein erreicht haben. Uns wird als AntifaschistInnen gern unterstellt, wir würden die hier Begrabenen zu Nazis erklären und so unseren Widerstand gegen die Heldenfeiern begründen.

Noch einmal für alle hörbar: Wir protestieren nicht gegen die Toten und unterstellen denen auch nachträglich nichts. Wir wollen, dass endlich Schluss ist mit jeder Form der Heldengedenken. Huldigungen der Waffen-SS müssen auch in Form von Kränzen verboten werden.

Hier liegen sie da in der Erde und werden seit über 60 Jahren als Helden gefeiert.

Der Gedenktext auf der Tafel am Friedhof sagt noch: „Unsere jungen Soldaten verloren den Kampf, es fehlte ihnen aber nicht an Tapferkeit.“ - Mit solchen Worten wird die Metzelei im Wald zum Helden-Mythos verklärt.

Der Gedenktext beschreibt die Kampfhandlungen, verliert kein Wort zu den Kettenhunden, Durchhalteparolen, faschistischer Massenerziehung, Kriegsinteressen und den Profiteuren. Nichts zu Rassismus, Massenmord und wer die Schuld daran trägt.

Der Gedenktext unterschlägt, dass es sich bei den Panzersoldaten um Waffen-SS handelt. Immerhin wurde die Waffen-SS 1946 vom Interalliierten Militärtribunal in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt.

Allein dass hier Waffen-SSler begraben sind, war und ist bis heute für Nazis Anlass, den Soldatenfriedhof Essel zum besonderen Wallfahrtsort zu machen.

Hier fanden jahrzehntelang internationale Faschisten- und Militaristen-Heldengedenkfeiern statt - natürlich unter Führung der HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehem. Waffen-SS).

Faschisten der Traditionsorganisation des verbotenen RAD, ehem. und neue Marinesoldaten, Ordensbund der Ritterkreuzträger, flämische Faschisten, Neonazis manchmal in schwarzen Schaftstiefeln wie die SS und moderne Militaristen kamen zu Hunderten. Und viele Menschen aus der Umgebung schauten, oft wohlwollend, zu. Politische Bildung und Erziehung nach 1945 blieb lange unbelehrbar.

Nicht nur die SS, sondern auch die Waffen-SS war als Organisation für Massenvernichtungen und Auslöschung ganzer Dörfer verantwortlich. Im militärischen Kampf galten sie als besonders brutal. Kurz vor Kriegsende richteten Waffen-SSler viele Deserteure und Zivilisten wegen sog. Wehrkraftzersetzung hin.

Die HIAG konnte als Traditionsorganisation, allen begangenen Verbrechen zum Trotz in Westdeutschland legal arbeiten - bis heute. Viele Nazis konnten sich in der HIAG legal politisch betätigen. Mit der HIAG wurde teilweise ein Organisationsverbot für Nazis umgangen. Die HIAG schloss keinen Truppenführer der Waffen-SS wegen begangener Kriegsverbrechen und anderer Verbrechen aus. So war der 1945 wegen Ermordung kanadischer Kriegsgefangener verurteilte Kurt Meyer, 1959 HIAG-Sprecher. Die HIAG hatte erheblichen Einfluss in der Gesellschaft und in die Spitzen der Politik und sie beeinflusste in den 1980er Jahren sehr stark die Ausrichtung des Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge (das sieht im VDK heute anders aus). In den 1980er Jahren beendeten CDU-Abgeordnete ihre Mitarbeit. Die SPD beschloss die Unvereinbarkeit für ihre Mitglieder. 1992 wurde die HIAG als Bundesverband aufgelöst. Einige Landesverbände und regionale Kameradschaften werden weitergeführt – so die HIAG-Hannover, die sich gern auf dem Soldatenfriedhof Essel rumtreibt. Weiterhin erscheint im rechtsradikalen Munin-Verlag die HIAG-Zeitschrift „Der Freiwillige“. Aus Anlass der Essel-Ereignisse antwortete Innenminister Schünemann auf eine Landtagsanfrage zu Nazi-Aktivitäten am Volkstrauertag, dass die HIAG seit Auflösung ihres Bundesverbandes nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Wir fordern

- Änderung der Gedenktafel am Soldatenfriedhof Essel unter paritätischer Beteiligung unseres regionalen antifaschistischen Bündnisses und der VVN/BdA.

- In die Gedenktafel gehören: Ursachen und Verbrechen des Faschismus, der verbrecherische Charakter der HIAG-Waffen-SS, die lange geduldeten militaristischen und faschistischen Heldengedenkfeiern, der antifaschistische Widerstand und sein mehrjähriger Erfolg, das erneute Anhimmeln der Waffen-SS und SS durch Neonazis, der aktuelle Widerstand und die versammlungsrechtlichen Einschränkungen für uns

- Ein grundsätzliches Platzverbot für alle Nazis und MilitaristInnen. Kein Platz für deren Kränze und Gestecke, Reden und Gesänge – auch nicht im Waldweg nebenan oder an irgendwelchen Kriegerdenkmälern.

- Auflösung aller rassistischen Organisationen und offensive Bekämpfung von Ausgrenzung, Militarismus, Rassismus und Kriegspropaganda – auch wenn sie modern daher kommt.

Denn:

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Nie wieder Krieg!

Bürgerreporter:in:

Horst Kröger aus Walsrode

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