Das lange Sterben der Rethener Baumriesen

29. Januar 2007
Rethener Feldmark, 30880 Laatzen
Bild Nr. 1: Für 60 gesunde Bäume geht die Sonne unter. Noch ahnen sie nichts von ihrem Schicksal!
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Sie sterben einen langen Tod, die 61 Baumriesen in der Rethener Feldmark entlang der Bruchriede ca. 100 m östlich der Sportanlage Erbenholz. Sie wurden Ende Januar 2007 vom Unterhaltungsverband 52 Mittlere Leine „gescheitelt“, mit dem Ziel „aus den Pappeln Kopfbäume zu machen, indem der Stamm in 3 m Höhe geschnitten wird“. Nun wird entgegen allen Beteuerungen endgültig klar, dass die Bäume, nachdem sie über kurze Zeit „Angsttriebe“ entwickelten, ihren Überlebenskampf verlieren werden. Von den 61 ehemals völlig gesunden Baumriesen werden vielleicht drei das Massaker von 2007 überleben. Alle anderen Bäume sind entweder schon abgestorben oder sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit noch im Laufe dieses Jahres absterben.

Die landschaftsprägende ca. 270 m lange Baumgruppe, außerhalb des öffentlichen Wegenetzes, bestand aus 61 völlig gesunden bis zu 25 m hohen Hybridpappeln (siehe Bild Nr. 1 bis 7). Weitere Einzelheiten zu den Bäumen können der Bestandsaufnahme in Bild Nr. 8 entnommen werden. Danach wurde beim westlichsten Baum der größte Stammumfang mit 4,32 m (in einer Höhe von 1,0 m) gemessen. Der jüngste Baum hatte nur einen Umfang von 1,63 m. Damit waren alle 61 Bäume der Baumschutzsatzung der Stadt Laatzen unterstellt. Die Baumgruppe zeichnete sich in den wärmeren Jahreszeiten durch ein gewaltiges Blätterwerk aus, das noch heute in Google Earth dokumentiert ist und das die Bruchriede perfekt abschattete. Die Blätter, wahrscheinlich mehrere Millionen, produzierten im außerordentlichen Maß Sauerstoff und banden CO2, wie aus folgendem Link hervorgeht: http://www.myheimat.de/schrobenhausen/beitrag/2148...

Ende Januar 2007, kurz nachdem die freistehende Baumgruppe am 18.01.2007 dem Orkan Kyrill nahezu ohne Schaden getrotzt hatte, wurde auf Initiative von Herrn Friedrich Hüper/Ronnenberg, dem Verbandsingenieur und Geschäftsführer des Unterhaltungsverbandes Mittlere Leine/Ronnenberg, die Baumgruppe durch das Lohnunternehmen Thomas Hüper/Ronnenberg (keine verwandschaftliche Verbindung!) gefällt. Fotos dieser Abholzaktion sind in den Bildern 10 bis 24 wiedergegeben. Die chronologisch erste und somit maßgebliche Begründung für die Baumfäll-Aktion liefert Herr Friedrich Hüper im Protokoll der Gewässerschau vom 03.11.2006, Schaubezirk 1:

• untypische Gehölze (Pappelbestand)
• enormer Holzwurf
• fehlende Beschattung wegen zu hoher Kronen

Diese im Protokoll genannten Gründe entsprachen weder den Tatsachen noch waren sie fachlich fundiert. Und hieraus abzuleiten, 61 gesunde Bäume müssten in einem Zug gefällt werden, ist nicht nur unverhältnismäßig sondern geradezu absurd. Ein unabhängiges Gutachten, das bei einem derart gravierenden Eingriff in das Ökosystem selbstverständlich gewesen wäre, wurde nicht erstellt. Außerdem verstieß die Fällung der 61 Bäume eindeutig gegen § 4 (1) der Satzung des Unterhaltungsverbandes Mittlere Leine.

Die Stadt Laatzen besitzt selbstverständlich eine Baumschutzsatzung, die von der Verwaltung aber äußerst dubios ausgelegt wird, wie die Skandale um den Rethener Kastanienpark und neuerdings um eine Baumfällung an der Franz-Carl-Achard-Straße in Rethen belegen. Maßnahmen der ordnungsgemäßen Wasserunterhaltung fallen nach § 4 nicht unter den Schutz der Laatzener Baumschutzsatzung. Wenn aber 61 Bäume unter Berufung auf eine ordnungsgemäße Gewässerunterhaltung gleichzeitig gefällt werden, muss die Gefahr bestanden haben, dass alle 60 Bäume gleichzeitig in die Bruchriede fallen. Da dies aber unmöglich ist, kann es sich bei der Fällung der 61 Bäume nicht um eine ordnungsgemäße Gewässerunterhaltung gehandelt haben. Also hätte die Baumschutzsatzung der Stadt Laatzen angewandt werden müssen und somit hätte die Stadt Laatzen den Antrag des Unterhaltungsverbandes vom 08.11.2006 zurückweisen müssen. Stattdessen hat die Stadt Laatzen dem Antrag am 13.11.2006 stattgegeben. Äußerst merkwürdig ist dabei, dass nach der stadteigenen Argumentation ein Antrag überhaupt nicht hätte gestellt werden müssen, da es sich ja nach dem Verständnis der Stadt um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Gewässerunterhaltung gehandelt hat, die eben nicht der Baumschutzsatzung unterliegt.

Wie die Verwaltung der Stadt Laatzen in den Sitzungen des Ortsrates Rethen vom 06.03.2007 und vom 11.06.2007 ausführte, lag die Zuständigkeit und Kompetenz zur Beurteilung der Maßnahme bei der Region Hannover als Unterer Naturschutz- und Wasserbehörde, die auch den Unterhaltungsverband Mittlere Leine, dem die Stadt Laatzen angehört, beaufsichtigt. Die Region Hannover habe nach dem Niedersächsischen Wassergesetz und dem Niedersächsischen Naturschutzgesetz entscheiden müssen, nicht nach der Baumschutzsatzung der Stadt Laatzen. Und die Region Hannover habe sich dabei der Fachmeinung der vom Unterhaltungsverband beauftragten Gutachter (welche?) angeschlossen und die Köpfung der Pappeln als erforderliche Maßnahme genehmigt. Dem Hochwasserschutz sei dabei ein höherer Wert als der Unterhaltung des Erholungswertes durch die Pappeln beigemessen worden.

Mit der Baumfäll-Aktion wurde aber nicht nur gegen die Satzung des Unterhaltungsverbandes Mittlere Leine und gegen die Baumschutzsatzung der Stadt Laatzen verstoßen sondern darüber hinaus auch gegen das Niedersächsische Wassergesetz (NWG), insbesondere gegen § 98, und gegen europäische Richtlinien.

Nachdem die Bäume gefällt waren und der Bürgerzorn sichtbar wurde, konstruierte man immer neue Scheinargumente, um die Fällung im Nachhinein zu rechtfertigen. Besonders dreist war der Versuch, die Baumfäll-Aktion als Teil des Gewässerentwicklungsplanes Bruchriede (GEPL) darzustellen, der in der ursprünglichen Begründung des Unterhaltungsverbandes mit keinem Wort erwähnt war und der zum damaligen Zeitpunkt weder fertiggestellt noch politisch abgesegnet war. Es lohnt sich jetzt auch nicht mehr auf diese unredlichen Versuche einzugehen, weil sie durch das Absterben der 61 Bäume sowieso entlarvt worden sind.

Wenn aber alle Argumente und Scheinargumente nicht greifen, so stellt sich die Frage, weshalb die Bäume trotzdem gefällt wurden. Die Antwort lautet: Aus finanziellen Gründen. In einem Schreiben der Stadt Laatzen vom 28.02.2007 heißt es: „Der Unterhaltungsverband hat die Auftragsvergabe, u. a. auch für die seine Gehölzpflegearbeiten im Jahre 2006 für 5 Jahre ausgeschrieben. Die durchgeführte Ausschreibung wurde von der Prüfstelle des Wasserverbandstages Niedersachsen e.V. ohne Beanstandungen geprüft. Der beauftragte Unternehmer erhält vom Unterhaltungsverband je Baum einen Betrag, der sich aus den einzelnen Auftragspositionen zusammensetzt. Gleichzeitig geht das geschnittene Holz (Äste, Stammholz etc.) in das Eigentum des Unternehmers über“. Mit anderen Worten: Je mehr Bäume gefällt werden und je mehr Holz anfällt, umso höher ist der Extra-Gewinn des ausführenden Unternehmens. Auch wenn Pappelholz nicht besonders wertvoll ist, kommen in Rethen doch schnell etliche tausend Euro oder mehr als Extra-Gewinn zusammen, wohlgemerkt zusätzlich zum normal kalkulierten Gewinn für die eigentlichen Baumfällarbeiten. Entsprechend den Ausführungen der Stadt Laatzen ist dieses Verfahren völlig legal. Eine andere Frage ist, ob diese Regelung auch so sinnvoll ist. Und da bestehen bei mir erhebliche Zweifel, denn zumindest im Gebiet des Unterhaltungsverbandes Mittlere Leine habe ich beobachtet, dass Bäume gerne und zahlreich gefällt werden, selbstverständlich auf der Grundlage der vorhandenen fachlichen Kompetenz. Und weiter ist zu fragen, ob die von der Stadt Laatzen beschriebene finanzielle Regelung nicht auch ein Einfallstor für korrupte Praktiken sein könnte.

Die drei Hauptakteure im Rethener Umwelt-Drama sind der Unterhaltungsverband Mittlere Leine, die Stadt Laatzen und die Region Hannover. Gegenseitig haben sie sich nach dem Prinzip eines circulus vitiosus die Verantwortung zugeschoben. Außerdem beruft man sich auf die Mitglieder des Ortsrates Rethen, die mündlich in der Ortsratssitzung vom 13.11.2006 über die Maßnahme informiert worden seien, obwohl etliche Ortsratsmitglieder dies gar nicht wahrgenommen haben. Eine fast tragisch zu nennende Rolle spielte der NABU Laatzen: An der Gewässerschau am 03.11.2006 nahm eine NABU-Mitarbeiterin teil und hat dabei die von Herrn Friedrich Hüper vorgeschlagenen Maßnahmen offenbar gebilligt, da Einwände aus dem Protokoll der Gewässerschau nicht hervorgehen.

Es ist wahr, dass die 61 Bäume zunächst „Angsttriebe“ entwickelten (siehe Bilder Nr. 25 bis 27), die von einer Rethener Politikerin als „niedliche Wuschel-Köpfe“ gefeiert wurden. Wer aber Augen hatte, konnte den langsamen Tod der Baumriesen frühzeitig erkennen. Offenbar aber nicht der Geschäftsführer des Unterhaltungsverbandes Mittlere Leine, der in den Leine-Nachrichten vom 12.08.2008 neben einem Foto, das den Todeskampf der Bäume überdeutlich dokumentiert, zynisch feststellt: „Die Bäume haben ihre schwierigste Zeit überstanden“.

Um die ökologische Katastrophe zu kaschieren und um die Bürger ruhigzustellen sind in der Zwischenzeit erhebliche Steuermittel (über die Umlagen für den Unterhaltungsverband) aufgewendet worden, zum Beispiel für eine Feuchtberme mit Erlenanpflanzung, für eine Hartsubstratsohle einschließlich Strauchfaschinen zu ihrer Sicherung, für Wasserlenker aus Baumstämmen und Wasserbausteinen und für Gehölzpflanzungen am Bachsaum. Diese Maßnahmen werden von mir grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen, doch stellt sich die Frage, warum vorher 61 gesunde Bäume sterben mussten und warum diese Maßnahmen nur im Sichtbereich der Baumstümpfe und nicht auch auf den kilometerlangen sonstigen Bruchriede-Abschnitten durchgeführt wurden. Das Bestreben, die ökologische Katastrophe unter Einsatz beträchtlicher zusätzlicher Steuermittel zu verstecken, ist unübersehbar.

Heute fast 2½ Jahre nach dem Massaker und im Anblick der gestorbenen und der sterbenden Baumriesen kann Bilanz gezogen werden: Die Baumfäll-Aktion im Jahre 2007 war und ist ein fachliches, verwaltungstechnisches, juristisches, politisches, emotionales und vor allem ein moralisches Fiasko. Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende: Zusammen mit anderen engagierten Rethenern und Laatzenern Bürgern werde ich mich weiter dafür einsetzen, dass den geschändeten und gemordeten Baumriesen aus der Rethener Feldmark Gerechtigkeit widerfährt.

Bürgerreporter:in:

Klaus Hoffmeister aus Laatzen

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