Demographischer Wandel

Wenn heute etwas in in der Politik, in den öffentlichen Haushalten zum Problem wird, dann ist stets der „demographische Wandel“ daran schuld. Wie viel Wahrheit steckt in dieser Behauptung? Und was ist „Demographie“ und was „wandelt“ sich da?
Das Wort „Demographie“ bedeutet: „Beschreibung vom Zustand und Veränderungen der Bevölkerungszahl und -zusammensetzung mit Hilfe der Bevölkerungsstatistik“ (Brockhaus).
Die Bevölkerungsstatistik liefert uns zunächst, gegliedert nach Alter und Geschlecht, die Angabe über den Bevölkerungsbestand (mit einer Fehlerrate bis zu 5 Prozent), gewonnen aus den Volkszählungen und deren Fortschreibungen. Bildlich wird dies öfter als „Bevölkerungspyramide“, für uns besser als Bienenkorb und, schlimmer, seit einigen Jahrzehnten als Pilz dargestellt.
Die Bevölkerungsstatistik liefert uns dann das Verhältnis von männlichen zu weiblichen lebend geborenen Kindern. Diese Zahl liegt sehr eng um 0,51 zu 0,49, sie ist praktisch eine Naturkonstante. Die höhere Sterblichkeit der männlichen Geborenen gleicht das Verhältnis bis zum Fortpflanzungsalter aus.
Die Bevölkerungsstatistik liefert uns dann die „Sterbetafeln“. Dies sind Tabellen, nach Alter und Geschlecht getrennt, mit den Werten der einjährigen Sterbewahrscheinlichkeiten. (Die einjährige Sterbewahrscheinlichkeit ist die Wahrscheinlichkeit, mit der jemand im Alter x noch vor erreichen des Alters x+1 sterben wird.) Diese Werte sind für die Null-jährigen recht hoch („Säuglingssterblichkeit“), fallen dann bis zum 10./12. Lebensjahr, verharren für ca. zwei Jahrzehnte auf diesen nahe Null (Null = Unsterblichkeit!) liegenden Werten und steigen dann mit dem Alter, zunächst sehr langsam, an. Von allen heute geborenen erreichen rund 97 Prozent das Alter von 65 Jahren. Diese von uns benutzten Sterbetafeln sind systematisch falsch. Die richtigen Sterbetafeln (Kohortensterbetafeln = Sterbetafeln für einen bestimmten Geburtsjahrgang) können nur für die Vergangenheit aufgestellt werden, nicht aber für die uns interessierende Zukunft. Man behilft sich also mit „falschen“ Tafeln, die jährlich neu berechnet und bei Bedarf auch besonders angepasst werden. Da der Fehler praktisch nur in den hohen Altern ab 60 auftritt, wirkt sich der Fehler auf Rentenversicherungen sehr stark, auf die Gesamtbevölkerungszahl mäßig und auf die Reproduktion gar nicht aus. Die Tafeln endeten früher (1870/71-1880/81) beim Alter 85, wegen der Lebensverlängerung ging man dann auf 100 und ist heute bei 110 und höher.
Die Bevölkerungsstatistik liefert als letzten Wert der natürlichen Bevölkerungsbewegung die einjährigen Wahrscheinlichkeiten eines Geborenen (nicht einer Geburt! - Mehrlingsgeburten!) der weiblichen Bevölkerung vom Alter 15 bis 45 (Grenzen eingeschlossen). Die Summe dieser einjährigen Geborenenwahrscheinlichkeiten ergibt die Geborenen je Frau, sie liegt in Deutschland derzeit um 1,3 bis 1,4 und müsste zum Bestandserhalt bei 2,1 liegen (dieser Wert ist allerdings aus anderen Gründen zu niedrig). Die einjährigen Geborenenwahrscheinlichkeiten können sich sprunghaft ändern: 1969/72 „Pillenknick“ Sprung von 1,7 abwärts auf 1,4; Ende der 1920-Jahre nach unten (Wirtschaftskrise); um 1934 bis 1942 nach oben; ab 1945 wieder nach unten auf die Werte um 1930. Diese einjährigen Geborenenwahrscheinlichkeiten zu beeinflussen ist Aufgabe der aktiven Bevölkerungspolitik und tatsächlich von den Willensentscheidungen der Frauen (und Männer!) abhängig.
Beim letzten Wert der Bevölkerungsentwicklung, dem Saldo der Ein- und Auswanderungen, bleibt auch dem Statistiker für die Zukunft nur die Schätzung, also mehr oder minder Kaffeesatzleserei.
Aber trotz aller Fehler und Unwägbarkeiten sind die Aussagen der Bevölkerungsstatistik erstaunlich genau. Die Zahl der Rentner in 60 oder 70 Jahren kann bereits heute recht genau berechnet werden, denn diese sind heute bereits geboren. Genauso kann die Zahl der Studenten in 20 bis 25 Jahren oder die der Schulanfänger in 6 Jahren genau vorhergesagt werden. Mit etwas geringerer Genauigkeit kann aber auch die Zahl der Geborenen in 25 bis 35 Jahren genannt werden, denn deren Mütter sind bereits geboren.
Die Bevölkerungszahlen sind ständig in Bewegung, der „demographische Wandel“ findet ständig statt, wenn auch für den einzelnen kaum merkbar. Nur die laufenden Aufzeichnungen und die Statistik lassen über die langen Zeiträume die Entwicklung erkennen, denn es geht immer um mehrere Jahrzehnte - eine Generation ist rund 30 Jahre lang - und in den Auswirkungen um Jahrhunderte.
Das was heute mit dem „demographischen Wandel“ bezeichnet wird ist einerseits die Absenkung der Sterbewahrscheinlichkeiten, also die Verlängerung des Lebens – eine Erscheinung, die seit über 200 Jahren beobachtet wird. Und zum anderen der Rückgang der Geborenenzahlen je Frau – eine Entwicklung, die ebenfalls seit 200 Jahren bekannt ist. Neu ist daran nicht die Tatsache an sich, dass dies so ist, sondern lediglich, dass diese Tatsache nun endlich, nach 200 Jahren, auch wenigstens als Schlagwort bei den Politikern angekommen ist. Für die heutigen Probleme in den öffentlichen Kassen, für höhere Wasser- und Müllgebühren, ist diese Entwicklung jedenfalls kaum verantwortlich. Allerdings haben wir es – trotz Einwanderung – mit einer langsam sinkenden Bevölkerungszahl zu tun, denn die Geburten gleichen schon seit Jahrzehnten die Sterbefälle nicht mehr aus. Dies gilt für Deutschland und hier insbesondere den deutschstämmigen Bevölkerungsanteil. Mit den sich daraus ergebenden Folgen werden wir uns gesondert befassen.

13.01.2010
Hermann Müller
Bentieröder Bruch 8
OT Bentierode
D-37547 Kreiensen

Bürgerreporter:in:

Hermann Müller aus Einbeck

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