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Damals in Döhren: Auf dem Dachboden lagen Aktenordner der Wolle

  • 1000-Jahr-Feier Döhren: Fotoausstellung über die Zwangsarbeiter der Döhrener Wolle bei St. Petri.
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1983 war das Jahr der 1000 Jahr-Feier Döhrens. Die St. Petri-Kirchengemeinde beteiligte sich mit einer ganz besonderen Aktion an der ganzjährigen Jubiläumsfete. Im Oktober vor 30 Jahren lud sie die Döhrener zu einer Fotoausstellung der anderen Art in den Gemeindesaal am Lindenhofe. Rund 110 Gesichter – Männer, Frauen und Kinder – blickten stumm und anklagend die Besucher der Bilderschau an: Porträts von Fremdarbeitern der „Döhrener Wolle“ aus der Zeit von 1940 bis 1945.

Es klingt fast wie im Märchen: Ein Künstler auf der Suche nach einem Atelier entdeckt in einer Dachkammer einen Schatz. Der Künstler heißt Hans Hörmann und der Dachboden liegt in der Südstadt. Rund sieben Tonnen Papier fand der Künstler dort. Durch Zufall war er auf ein altes vergessenes Aktenlager der Döhrener Wollwäscherei- und Kämmerei AG gestoßen. Unter den Unmengen von Altpapier waren auch 762 Karteikarten. Die Personalabteilung hatte dort Daten über „ihre“ Fremdarbeiter aus den Jahren 1940 bis 1945 festgehalten und jeweils mit einem Passbild versehen. Aus allen Teilen Europas, überwiegend jedoch aus Polen und der Sowjetunion waren sie von den NS-Machthabern als billige Arbeitssklaven noch Döhren verschleppt worden. Zur 1000-Jahr-Feier-Döhrens machte die St. Petri-Kirchengemeinde diese Bilddokumente der Öffentlichkeit zugänglich und zeigte sie in einer Ausstellung (1). Denn auch die dunklen Kapitel der Geschichte Döhrens sollten nicht vergessen werden. Kein Ruhmesblatt für die Stadt Hannover: Die Publikation des aufsehenerregenden Dachkammerfundes musste Hans Hörmann aus eigener Tasche finanzieren. Das Kulturamt der Stadt hatte eine Unterstützung der Ausstellung abgelehnt.

Das Leben der Fremdarbeiter war hart und entbehrungsreich. Untergebracht waren diese Menschen in schäbigen Baracken. Die Unterkünfte befanden sich am Lindenhofe Nr. 30, 32 und 38, in der Richartzstr. 23, in der Willmerstr. 9 und in der Brückstr. 12, 24 und 25. Bei der Befreiung lebten in diesen Lagern noch etwa 660 Frauen, die 1942 aus der Ukraine zur Zwangsarbeit nach Döhren verschleppt wurden, aber auch italienische Militärinternierte (2). Anfangs durften die Zwangsarbeiter ihre Baracken - eine für Frauen, die andere für Männer - noch am Sonntag verlassen, später wurde ihnen auch das verboten. Die Ukrainer mussten ebenso wie die Polen ein Kennzeichen auf der Kleidung tragen. „Ost“ stand darauf. Die Arbeit war schwer und die Verpflegung schlecht. Zum Teil sorgten die Aufseher dafür, dass die knappe Nahrung noch nicht einmal im vollen Umfang die Arbeiter erreichte. Ein Mann namens Renken fütterte lieber seine Hunde mit dem Brot, dass den Zwangsarbeitern zugedacht war (3).

Den Alltag der unfreiwilligen Wolle-Arbeiter schilderte eine ukrainische Fremdarbeiterin so: „Als ich im achten Monat schwanger war, fiel mir die Arbeit sehr schwer. Ich musste Säcke mit Kartoffeln oder verfaultem Kraut schleppen.“ Trotz Schwangerschaft wurden die Frauen gezwungen, bis zum letzten Tag zu arbeiten und am Tag nach der Geburt schon wieder. Manchmal wurde den Arbeiterinnen verboten, sich um ihre Kinder zu kümmern. „Nach kurzer Zeit wurde mein Kind krank, und ich fürchtete, dass es bald sterben würde, genau wie die Kinder der anderen Arbeiterinnen“, heißt es in dem Bericht einer russischen Frau. Die Arbeitszeit in der Küche dauerte von fünf Uhr in der früh bis fünf Uhr nachmittags. Es gab aber auch hilfsbereite deutsche Arbeiter. Die Chronisten berichten über den früheren Kommunisten Fritz Reske, der, wo er konnte, zu helfen suchte (4). Andere, wie ein gewisser Meister Furken, war jeder Anlass zum Prügeln gut genug (5).

Einer der - damals so genannten - „Fremdarbeiter“ gelangte mit seinen Erlebnissen in Döhren sogar zu einem gewissen literarischen Ruhm. Der Italiener Pietro Sissa schrieb über seine Döhrener Zeit ein Buch und betitelte es „Labanda die Döhren“. Für dieses Werk erhielt er in Italien den Literaturpreis Prämio Viareggio. In Deutschland ist das Buch unter dem Titel „Cassanova im Hühnerstall“ erschienen.

Der genaue Umfang des „Sklavenprogramms“ der Nationalsozialisten in Döhren und Wülfel lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Neben den Hunderten von Zwangsarbeitern, die auf der Döhrener Wolle schuften mussten, sind für das Unternehmen Robert Grasdorf in Wülfel 150 Zwangsarbeiter bekannt, bei den Eisenwerken Wülfel sollen es nach einer Quelle 350, nach anderen Berichten jedoch bedeutend mehr gewesen sein. Laut dem „Heimatgeschichtlichen Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung -“ (6), waren darüber hinaus auf dem Werksgelände in Baracken aber auch Kriegsgefangene untergebracht. Die Autoren des „Wegweisers“ sprechen von 1449 Belgiern und Franzosen sowie 3341 Russen, die dort arbeiten mußten.

Es gab verschiedene Lager für die Fremdarbeiter im Stadtbezirk Döhren -Wülfel.. Nach Erzählungen alter Döhrener existierten bei der „Sonnenwende“ in Seelhorst und in Mittelfeld, dort wo heute das Üstra-Busdepot ist derartige Lager. Der „Wegweiser“ erzählt von einem „Zivilarbeitslager“ für 900 sowjetische Zwangsarbeiter, das am 1. Dezember 1942 „Am Mittelfelde“ eröffnet wurde. Im Haus Am Mittelfeld 38 waren polnische Fremdarbeiter untergebracht. Während die Insassen beider Lager ebenso wie die Leute von den Zivilarbeitslagern Garvensstraße 8 und Erythropelstraße für die Eisenwerke Wülfel arbeiteten, schufteten italienische Internierte Am Mittelfeld 61 für die Mehmel AG. Die Garvenswerke unterhielten ebenfalls mehrere Zivilarbeitslager für sowjetische Zwangsarbeiterinnen und französische Zwangsarbeiter am Brabrinke. Das Lager Am Brabrinke könnte mit den in anderen Quellen erwähnten Lager Wülfel identisch sein. Weitere Gefangene waren in der Hildesheimer Straße in Wülfel untergebracht (u.a. auch auf dem Platz der heutigen St. Michael-Kirche) und die Firma Robert Grasdorf unterhielt ein Lager an der Eichelkampstraße. Die in der Döhrener Warte untergebrachten Arbeiter wurden bei der Maschinenfabrik Niedersachsen-Hannover GmbH in Wülfel eingesetzt, in der Schule Döhren lebten italienische Militärinternierte.

Viele dieser Zwangsarbeiter überlebten den Krieg nicht. Sie starben an den entsetzlichen Arbeits- und Lebensbedingungen oder kamen bei Fliegerangriffen ums Leben. Besonders viele fanden bei dem Angriff am 30. Januar 1944 auf die Wülfeler Eisenwerke den Tod.

Seit über 30 Jahren gehe ich mit der Kamera auf Pirsch und begleite das Geschehen im heutigen Stadtbezirk Döhren-Wülfel fotografisch. Einige der Aufnahmen von damals scanne ich jetzt nach und nach ein, um sie ins digitale Zeitalter herüber zu retten. Unter der Überschrift "Damals in Döhren" bzw. "Damals in ..." möchte ich den myheimat-Usern kleine Einblicke in mein Fotoarchiv geben. Vielleicht erinnert sich ja der eine oder andere noch an die damaligen Ereignisse oder erkennt sich auf einem der alten Fotos sogar wieder.

Anmerkungen:
1) Bericht im Maschseeboten Ausgabe 11/83
2) Heimatgeschichtl. Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung, Bd. Niedersachsen II, S. 33
3) Wolter/Stadtmüller (Hgb.), Die Wolle besteht in Döhren nicht mehr, S. 104ff
4) Hann. Stadtteil-Zeitung Süd v. 13.10.1983
5) Wolter/Stadtmüller, a.a.O.,S. 114
6) Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 35

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25 Kommentare

> "Doch das 'b' dabei geht nicht. Wer Solidarität einfordert, muss auch bereit sein, Solidarität zu üben"

Warum?

Das Prinzip Nächstenliebe funktioniert auch ohne Bedingungen oder Gegenleistungen.

Und wenn die Sicherung des Existenzminimums ein Grundrecht ist, wie kann man da Unterschiede machen zwischen Bürgern erster Klasse, denen man das zuspricht und denem zweiter Klasse, denen man es abspricht?

> "Nassauer brauchen wir nicht!"

Von diesem Neidgedanken oder dem christlichen Arbeite&Bete-Denken muss man sich in der Tat lösen bezüglich bGE. Aber es wird m.E. keine "Nassauer" geben mit einem bGE-Modell, welches alle anderen sozialen Wohltaten und viele bürokratische Hürden ablöst. Die Menschen wären frei, sich wie auch immer und so viel auch immer hinzuverdienen zu können. Viele lehnen manche Modelle ja sogar ab, weil sie als zu hart und neoliberal gelten.

Und wie gesagt - schon jetzt gibt es doch schon viele Geschenke einfach so - die stören dich ja anscheinend auch nicht.

Aber wir sollten vielleicht wieder zum Dachboden gehen ;)

Sicher richtig: Ein eingefleischter Kirchgänger findet da kaum ein Haar in der Suppe. In der Kirche von St. Pauli lassen sie sich ja sogar von ein paar Eingeschleusten erpressen. Aber was soll's?!

Der Dachboden ist auch ganz schön... :-)

> "Sicher richtig: Ein eingefleischter Kirchgänger findet da kaum ein Haar in der Suppe. In der Kirche von St. Pauli lassen sie sich ja sogar von ein paar Eingeschleusten erpressen."

Hä???

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