Taxi zum Weißen Haus - Doc Grille - Hannover

Taxi zum Weißen Haus

Und später würde er Präsident werden. Das stand fest.
Und weil er sich dessen so sicher war, hatte er jetzt auch den Kopf noch frei für andere wichtige Dinge. Unter anderem auch dafür, mich mit dem grimmigsten Blick der heiligen Gerechtigkeit, den ich je gesehen habe, zu attackieren, wobei er drohend mit einem erhobenen Schwert auf mich zu stürmte.
Das Schwert stammte aus der gut florierenden Waffenschmiede eines Clowns, der mit dicken Backen Luftballonpellen zu langen Würsten aufblies und diese dann rasch und geschickt zu Schwertern für die kleinen Ritter verknotete, die darauf in einer langen Schlange ungeduldig warteten.
Nicht, dass der gutmütige Fratzenmann nur Schwerter knoten konnte, nein, beileibe nicht, Schweine in allen Farben konnte er auch, aber es fand sich selten einmal ein Kind, dem der Sinn nach einem Schwein stand. Die Schwerter dagegen gingen weg wie warme Semmeln, auch bei den kleinen Damen. Und der ganze Spaß kostete die meist stolzen Eltern nicht mehr als nur einen Dollar Tip. Für einen zweiten Dollar Tip wurde der künftige Prinz Eisenherz dann vom Schwerterschmied in einer feierlichen Zeremonie zum Ritter geschlagen, und durfte anschließend sogar für einen weiteren Dollar auf den Schultern des Meisters eine Runde reiten, um sich dort hoch oben auf dem schnaubenden Kampfross Mut für kommende Aufgaben zu machen. Vielleicht auch, um als künftiger König schon einmal alles aus einer höheren Warte zu sehen.
Vermutlich hatte ihn der Besitz des Schwertes überhaupt erst auf die Idee gebracht, sich gegen irgend etwas verteidigen zu müssen. Dieses Etwas war in diesem Falle ich. Und da ich in den dunklen Augen des kleinen Angreifers eine kühne Entschlossenheit aufblitzen sah, hielt ich es für vernünftig, mich als Feind nicht unbeliebt zu machen und huschte artig und feige lächelnd hinter der Frau an meiner Seite in Deckung wie ein Elefant, der sich hinter einer Maus versteckt. Und so meine Maus immer voraus, schlich ich mich dann auf Zehenspitzen vom feindlichen Terrain, währenddessen der braune Dreikäsehoch, kaum dass er mich mit seinem Überraschungsangriff in die Flucht geschlagen hatte, auch schon wieder schnurstracks zu seiner kaum älteren Schwester zurückstratzte, aus deren Obhut er seinen Angriff gestartet hatte. Das Burgfräulein war doch sehr erleichtert, dass es ihren Rittersmann ohne Dellen und Blessuren wieder in die Arme schließen konnte.
Dieser kesse Zwerg erinnerte mich dabei an meinen Mops Tunte, der jedes Mal, nachdem er wieder einmal den Postboten in die Flucht geschlagen hat, sich selbstgefällig in sein Körbchen trollt, um von dort dem Flüchtenden noch ein nachdrückliches Nachknurren nachzuschicken.
Ich war mir in diesem Moment ganz sicher, dass dieser zu allem entschlossene Ritter eines Tages der erste nicht mehlhäutige Präsident
nördlich des Rio Grande werden würde.
Ich muss an dieser Stelle auch etwas nachschicken. Bei der oben erwähnten Frau an meiner Seite handelte es sich zu dem damaligen Zeitpunkt noch nicht um die Frau an meiner Seite, wie man das so gewohnt ist zu verstehen. Es stand da eher zufällig eine Frau an meiner Seite, hinter deren schmalen Rücken ich Zuflucht suchte. Seitdem passt sie aber auf mich auf. Aha!

Frau Hansen hatte mich zum Essen eingeladen.
Familie Hansen war demnach wieder einmal von Reise zurückgekehrt, und ich durfte wie immer der Erste sein, den Frau Hansen mit einer typischen lukullischen Köstlichkeit aus ihrem jeweiligen Reiseland beglückte. Das hat bis heute Tradition.
Es gab Caroline's Burger. Dieses Mal sind sie also in den Vereinigten Staaten gewesen, schloß ich chilischarf.
Familie Hansen, gemeint sind damit Caroline und Gerd, einfach Gerd ohne t und Caroline auch ohne jeden Firlefanz und beide leider auch ohne Kinder, was sie zwar bedauerten, was sie aber nicht davon abhielt sich trotzdem für eine echte Familie zu halten, was sie gelegentlich dadurch vernehmen ließen, dass sie sich nachdrücklich mit Mutti und Vati anredeten. Das hörte ich bis dahin nur aus zweiter Hand, nicht mit eigenen Ohren. Ich stellte mir die beiden dabei so putzig vor wie ein Pärchen
Wellensittiche.
Der Burger schmeckte prima, aber ohne ihr weh tun zu wollen, er schmeckte doch nicht anders als diese Rinderfrisbees vom Burger King oder McDonald, Sie wissen schon, die ich so oft auf meinen USA-Reisen schätzen gelernt habe. Aber es war nie nur das Essen allein, das den Besuch bei den Hansens so vergnüglich machte, nein, es waren auch immer diese ganz besonderen Geschichten, von denen mir die Hansens immer eine von jeder Reise mitbrachten.
"Ja, Herr Grothe, dann sind Sie sicher doch schon gespannt, was wir dieses Mal in unserem Erlebnisköfferchen für Sie mitgebracht haben, nicht wahr?"
Bei Erlebnisköfferchen tippt sich Frau Hansen jetzt immer mit einer extra deutlichen Gebärde an die Stirn, damit ich mich ja nicht wieder nach einem Koffer suchend im Zimmer umschaue, wie bei ersten Mal, als dieses Wort fiel, geschehen.
"Ja, dann stellen Sie sich das doch bloß einmal vor, wir sitzen in diesem Burger King mitten in Manhattan, und da taucht dort doch plötzlich ein Mann einer monströsen gelben Badehose auf wie aus dem Nichts", eröffnete Caroline die diesjährige Geschichte.
Eine vortreffliche Eröffnung, für meinem Geschmack, vielleicht nur mit dem kleinen unangenehmen Beigeschmack, dass Herr Hansen damit nicht so einverstanden war. Meist ließ er Caroline ja erzählen wie ihr der Schnabel gewachsen war, aber wenn sie seiner Meinung nach völlig aus der Spur der Wahrheit rutschte, mischte sich er sich schon mal ein.
"Von wegen aus dem Nichts. Er wird zur Türe hereingekommen sein wie alle, wir haben es nur nicht bemerkt. Du schon gar nicht, du warst ja gerade damit beschäftigt, die Zwiebelringe auf deinem Burger zu zählen."
Burger klang für feine Ohren etwas abschätzig.
"Du solltest dazu besser nichts sagen", wies ihn Frau Hansen zurecht, aber mit jener lieblichen Süße, mit der sich solche Zurechtweisungen für Herrn Hansen leichter, ja überhaupt ertragen ließen, mittlerweile schon im 28. Jahr. "Du wärst doch von alleine dort gar nicht erst hineingegangen. Du bist doch viel zu feige, um etwas Neues auszuprobieren."
Bei dieser Bemerkung kam mir unwillkürlich der Gedanke, dass Herr Hansen, der nun schon nicht Vater geworden war, im Ansehen seiner Frau nie auch wenigstens zum Präsidenten tauglich gewesen wäre.
In diesem Scharmützel wehrte sich Herr Hansen jedoch recht tapfer und bisweilen sogar geschickt.
"Von alleine sicher nicht, aber schließlich bin dann ja doch mitgekommen wie sonst auch immer, wenn du deine Abenteuer haben musstest. Und ich finde es ist schon sehr mutig von mir, überhaupt mit dir mitzugehen."
Spätestens bei diesem so bemühten Scherz in dieser kleinen Schlacht wusste ich, dass es an den 28 Jahren inniger Zweisamkeit nichts zu zweifeln gab.
"Aber gegessen hast du nur die Pommes, den Burger nicht. Das nennst du mutig?"
Herr Hansen richtete sich ein wenig dem dicken Sofa auf und holte zu einem letzten Hieb aus. Das sind doch nur Bouletten, und die sind bei dir jeden Samstag auf dem Speiseplan.
"Aha, Boulette, Herr Grothe, was sagen Sie dazu, sind das hier bloß Bouletten, bemühte sie mich jetzt in echter Empörung als ihren Beistand."
Platsch, da steckte ich im Sumpf.
"Ja, also", druckste ich einen Moment herum, und sann währenddessen angestrengt darüber nach wie ich mich und gleichzeitig die Situation am elegantesten retten könnte.
Mit dem Ergebnis war ich angesichts der prekären Lage zufrieden.
"Also, bloß Bouletten würde ich nicht sagen, dazu sind diese Burger, ich quälte dieses Burger mit meinem besten und scheußlichsten Amerikanisch, um gar keinen Gedanken an Bouletten aufkommen zu lassen, dazu sind diese Burger doch viel zu platt."
"Da hast du es!" frohlockte Caroline gegenüber ihrem Gerd. "Herr Grothe, Sie sind ein Schatz."
Herr Hansen fügte sich wenig überzeugt mit einem brummigen Ach, was!
Seine Frau blieb ungerührt.
"Eins steht jedenfalls fest, ich hätte ihn gar nicht gesehen, wenn ich nicht in den Burger-King gegangen wäre. Möchten Sie noch einen, Herr Grothe?"
Ich verneinte mit viel Charme. "Sie können doch nicht wollen, dass ich platze, liebe Frau Hansen."
"Ach, kommen Sie Herr Grothe, lassen wir das doch mit dem Frau Hansen und dem Herrn Grothe, ich bin die Caroline, basta, und Sie der Dirk! Okay?"
Frau Hansen kocht nicht nur aus dem Land ihrer jeweiligen Leidenschaft, sie lebt es auch.
"Und fragen sie mich jetzt nicht, woher ich das weiß. Jede Frau hat da so ihre kleinen Geheimnisse. Also, Dirk, Sie wollen wirklich keinen Burger mehr?"
"Nein, wirklich nicht, ich bin satt wie eine Scholle, aber ich freue mich schon auf die neue Köstlichkeit, die sie von ihrer nächsten Reise mitbringen werden, Frau Hansen."
"Caroliiiiine, lieber Dirk, wir hatten uns doch auf Caroline geeinigt, und an eine neue Reise denken wir nie, solange noch nicht aufgegessen ist. Also, Dirk, Sie sind Schuld, wenn wir den nächsten Urlaub auf Balkonen verbringen müssen."
"Affentheater, Dirk, Caroline, äffte Herr Hansen aus dem Sofa. Wir sind hier in Deutschland, das lassen Sie sich mal ruhig gesagt sein, von einem der das weiß."
"Vati, (hoi, da war es, dieses Vati) sei doch nicht immer gleich so barsch, ich habe Herrn Grothe, eh, Dirk doch den Vornamen angeboten."
"Ja, ja, entschuldige Darling, ich brauche eben meine Zeit, um mich an so etwas zu gewöhnen."
"Hast du etwa eben Darling zu mir gesagt, Liebling, hast du wirklich, ganz wirklich, eben Darling zu mir gesagt. Haben sie das gehört, Dirk, er hat Darling zu mir gesagt."
Dann wird er ja vielleicht doch noch Präsident, wollte ich sagen, habe ich aber nicht. Außerdem bin ich der Meinung, er hätte sich ruhig auch bei mir entschuldigen können, meinetwegen auch ohne Darling.
Plötzlich herrschte Stille im Hause Hansen, denn Frau Hansen war vor Aufregung so aus der Facon geraten, dass sie sich eilig erst einmal frischmachen musste, und Herr Hansen war vor Erschöpfung eingenickt.
Ich spielte unterdessen die Rolle des einzigen Zuschauers einem Kino, der ungeduldig darauf wartet, dass eine unsichtbare Hand den herausgesprungen Film wieder einlegen würde.
"Der Mann mit der gelben Badehose lief von Tisch zu Tisch und brüllte: 'Ich bin ein Taxi, sollten Sie eines brauchen, nehmen Sie mich. Nehmen Sie mich!' Dirk, stellen Sie sich das einmal vor, ein Mann in einer gelben Badehose als Taxi!"
Caroline war zurück.
Ich behielt es übrigens für mich, dass es mir als professionellem Weltenbummler keine Mühe machte, mir das vorzustellen und hielt es auch nicht für sehr ungewöhnlich, schon gar nicht für New York und dann noch an einem heißen Sommertag. Der Amerikaner nennt das nuts, den alltäglichen Wahnsinn.
"Alle taten so, als ob sie ihn nicht sähen. Aber er war wirklich da, in einer gelben Badehose, so groß wie ein Kinderzelt."
"Glaubst du, Darling, glaubst du", meldete sich jetzt Herr Hansen zurück in die Geschichte, was aber den Zorn der Frau Hansen, oh, entschuldigen Sie, von Caroline hervorrief, der auch durch das Darling nicht zu mildern war.
"Duuuuu hast ihn doch auch gesehen, Gerd, duuu hast doch gesagt: 'Der sieht in seiner Badehose ja aus wie ein Cab.' Und dabei hast du gelacht wie ein betrunkener Kuhjunge. Hohoho. Oder wolltest du mir bloß mit diesem komischen Wort imponieren? Da haben Sie es, Dirk, da fällt einem der eigene Mann nach 28 Jahren doch tatsächlich in den Rücken. Unfassbar."
Herr Hansen schwieg ab jetzt. Nicht so seine Frau, ganz im Gegenteil. Mir war, als würde sie mit jeder Sekunde des Verstummens ihres Gerds um so beredter.
"Doch so schnell gab der Mann nicht auf. Er holte aus seiner Badehose eine Hupe, hüpfte von Tisch zu Tisch und hupte allen Leuten ins Ohr. Aber die taten weiter hin so, als ob er gar nicht vorhanden wäre, obwohl sich einer sogar vor Schreck an einem Gurkenstückchen verschluckte und ein anderer sich mit Ketchup bekleckerte, was ganz normal ist, man wird ja nicht jeden Tag beim Essen angehupt. 'Na, gut', seufzte der Mann schließlich, 'wenn ihr meinen Dienst verschmäht, dann drehe ich eben schon mal eine Runde mit dem zukünftigen Präsidenten.' Und schwups war er verschwunden wie er gekommen war, in dem dunstigen Nichts des heißen New Yorker Sommers. Doch kurze Zeit später sahen wir ihn schon wieder. Er flitze in einem ziemlich hohen Tempo dort draußen auf dem Broadway an dem Burger-King vorbei. Und da sah man, dass er wirklich ein Taxi war, denn er trug auf seinem Rücken einen kleinen braunen Jungen, der zornig sein Luftballonschwert gegen alles erhob, was sich ihm in den Weg stellte. Und der Taximann hupte dabei wie verrückt. Nur mein Gerd will das nicht wahrhaben. Lieber schläft er, Dirk, da sehen sie sich das an! Und besonders sein Gesicht. Immer wenn er im Schlafe so ein Gesicht zieht, träumt er davon, er wäre ein Präsident. Aber heute nicht mehr lange! Ich werde ihn gleich wecken, es ist Zeit, ins Bett zu gehen. Aber vorher, lieber Dirk, bringe ich Sie noch zu Tür!"

Bürgerreporter:in:

Doc Grille aus Hannover-Mitte

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