Als Maria in den Urwald ging - eigentlich eine Weihnachtsgeschichte - Doc Grille- Hannover

Als Maria in den Urwald ging

Maria arbeitete in einem Schallplattengeschäft am Hauptbahnhof. Sie summte meist etwas Gebeatletes, und es ging ihr gut dabei. Sie hatte vor zwölf Jahren Herrn Guiseppe aus Parma hier im Geschäft kennengelernt. Sein Name stand auf einem Adressschildchen an seinem Koffer. Es war in der Adventszeit gewesen, als er so einfach hereinschneite, sich den Schnee abschüttelte, ein Schallplattenputztuch kaufte, Maria ihn in sich verlieben ließ und mit dem restlichen Schnee auf seinem Hut wieder herausschneite. Maria hatte in seinen Augen gelesen, dass er bestimmt wiederkommen würde, und so wartete sie eben auf ihn, meist nicht so stark, nur in der Adventszeit etwas stärker. Aber wenigstens noch so stark genug, dass sie Herrn Joseph bislang immer einen Korb gegeben hatte, als er sie zu einem Punsch einladen wollte. Schon elfmal. Herr Joseph hatte das ganze Jahr über eine braungebrannte Glatze und hielt sich für einen Großwildjäger.
"Ja, dann gibt es bei mir Mäuschen wohl nicht viel zu jagen", antwortete ihm Maria und komplimentierte ihn heraus. Sie wollte auf Herrn Guiseppe warten. Und sie hatte sich auch schon zurechtgelegt, was sie ihm sagen wollte. 'Lieber Herr Guiseppe aus Parma' wollte sie auf jeden Fall zu ihm sagen. Mehr wusste sie noch nicht. "Kommt er, kommt mir das Andere schon ein", sagte sie sich. "Und vielleicht bringt er mir ja einen Schinken mit, der hält sich länger als Blumen", hoffe sie.
"Speck für mein Mäuschen!" trompetete unverdrossen der Herr Großwildjäger, als er nun schon zum zwölften Mal in den Schallplattenladen der Maria trampelte.
"Sie sind ja wie ein Elefant, mein Herr", scherzte Maria dieses Mal, "da bekomme ich ja das Fürchten." Aber sie machte keinerlei Anstalten, ihn hinauszuwerfen.
"Aber liebste Maria, "erwiderte er weltgewandt, "es sind doch eher die Mäuschen, die uns Dickhäutern das Fürchten lehren."
Er wickelte einen Speckstreifen aus einem Packpapier, schnitt ein Stück ab. "Da geht der Punsch nicht so schnell ins Blut," lachte er wie eine Hyäne und gab es ihr. Sie nahm es an, hängte ein Schild an die Tür mit der Aufschrift 'Einmal habe ich im Leben früher zu, und das ist heute.' und ging mit Herrn Joseph zum Punsch.
Beim ersten Becher hatte sie noch das Gesicht, das von der Kälte draußen glühte. Beim zweiten aber schon glühte es ihr von dem Punsch. Und der Herr Joseph erzählte ihr Geschichten von Zebras, Elefanten und Giraffen, und auf seiner braungebrannten Glatze spiegelte sich der Urwald aus ihren Gedanken.
Nach dem dritten Punsch sie schwang sich an einer Liane hinauf zu einem Haus auf einem hohen Baum, unter dem in einem Fluss Krokodile schliefen. Der Herr Joseph fing sie kurz
vor der Ladung auf und trug sie, die heftig strampelte, unter einem Arm zu dem Bett, das mit einem Leopardenfell bezogen war.
An nächsten Tag war Maria nicht bei der Arbeit, und jemand hatte aber ein Schild an die Tür gehängt, auf dem stand 'Einmal im Leben habe ich geschlossen, und das ist heute'.
Am übernächsten Tag fand sie ein Päckchen vor der Tür. Und sie wusste gleich, dass es Schinken war. Auf dem Kärtchen zu dem Geschenk stand 'Ich war da und Sie nicht. Sie brauchen zukünftig nicht mehr auf mich zu warten. Ihr Guiseppe'.
"Na, ja, mehr als 'Lieber Herr Guiseppe aus Parma' hatte ich mir ja sowieso noch nicht zurecht gelegt, da war also noch nicht soviel umsonst", sagte sich Maria.
"Was ist das?" brüllte der Großwildjäger wie ein Löwe, der sich an sie herangeschlichen hatte. "Nicht so laut, davon wird ja unser Kind ganz taub", tadelte ihn Maria sanft.
"Das ist Schinken, den hat einer der Heiligen Drei Könige gebracht."

Bürgerreporter:in:

Doc Grille aus Hannover-Mitte

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