Das SEVESO-Unglück: Potential für einen Thriller

Da das Gift Dioxin nun wieder die Tagespresse dominiert, hier eine Zusammenfassung des Seveso-Unfalls, der dieses Gift in der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat.

Was dazu bekannt wurde bzw. im Nebel der Machenschaften nicht bekannt wurde, kann ein Krimi-Autor nicht besser erfinden.

Zusammenfassung aus http://de.wikipedia.org/wiki/Sevesoungl%C3%BCck

Das Seveso-Unglück war ein Chemieunfall, der sich am 10. Juli 1976 in der chemischen Fabrik Icmesa (Tochter der Firma Roche) im italienischen Meda, 20 Kilometer nördlich von Mailand, ereignete.
Dabei wurde eine unbekannte Menge des hochgiftigen Dioxins TCDD freigesetzt, das umgangssprachlich auch Dioxin oder Sevesogift genannt wird

Hergestellt wurde Trichlorphenol (TCP), ein Vorprodukt für das Desinfektionsmittel Hexachlorophen.

Im Bau B auf dem Werksgelände sollte wie üblich Trichlorphenol produziert werden. Hierzu wurde um 16:00 Uhr des gleichen Tages mit der Beschickung und Beheizung des Reaktionskessels 101 begonnen, so dass gegen Abend der Reaktor zu arbeiten begann.

Um 2:30 Uhr am 10. Juli war laut Temperaturdiagramm die Reaktion des Kesselinhalts beendet. Um 6:00 Uhr war die Nachtschicht beendet und ein Operateur schaltete das Rührwerk des Autoklaven 101 ab. Die zu diesem Zeitpunkt gemessene Temperatur von 158 °C war zu hoch und führte wegen fehlender Umschichtung des Kesselinhalts zu einem Wärmestau. Das Wartungs- und Reinigungspersonal im Gebäude B merkte von der sich anbahnenden Katastrophe nichts.

Die chemische Kettenreaktion begann gegen 12:30 Uhr zunächst langsam, dann mit schnellem Druck- und Temperaturanstieg, und endete schließlich in einer Explosion („Thermisches Durchgehen“). Um 12:37 Uhr löste ein Sicherheitsventil infolge von Überdruck aus und der Kessel 101 entlud sich über eine Abblasstation in die Umwelt.

Ein Auffangreservoir gab es nicht. Über eine halbe Stunde lang wurde abgeblasen. Dabei wurden ein bis drei Kilogramm der hochgiftigen Substanz 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin – auch „Dioxin“ genannt, zehntausendmal giftiger als Zyankali – in die Umgebung freigesetzt.

Die sich ausbreitende Giftwolke trieb in südöstliche Richtung und vergiftete ein 1 mal 6 km großes, dicht bevölkertes Gebiet der Gemeinden Seveso, Meda, Desio und Cesano Maderno.

Erst um 13:45 Uhr traf fachkundiges Personal ein und konnte den Reaktor auf eine unkritische Temperatur herunterfahren. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 1.800 Hektar Land auf Jahre vergiftet.

Die Folgen

Am Montag wurde im Werk weiter gearbeitet, nur Abteilung B stand still.

In den folgenden Tagen welkten und verdorrten die Blätter von Bäumen und Sträuchern in der Umgebung, 3.300 Tierkadaver wurden aufgefunden. Die hohe Zahl an Tieropfern erklärt sich dadurch, dass sie von den vergifteten Weiden und aus der sonstigen Natur fraßen.

Am Mittwoch schlossen die Behörden das Schwimmbad von Seveso.

Den Anwohnern wurde gesagt, sie sollten in ihren Gärten alles Obst und Gemüse vernichten – weshalb, sagte man ihnen nicht.

Am Donnerstag wurden vierzehn Kinder mit Chlorakne ins Krankenhaus eingeliefert, doch die Ärzte wussten nicht, wie sie sie behandeln sollten.

Insgesamt erkrankten 200 Menschen an schwerer Chlorakne.

Am Samstag, dem sechsten Tag nach dem Unfall, begannen die Icmesa-Arbeiter einen wilden Streik, der öffentliche Druck wuchs. Die Behörden reagierten spät und schlossen die Fabrik erst am 17. Juli.

Obwohl die Werksleitung schon am ersten Tag nach dem Unfall wusste, dass Dioxin freigesetzt wurde, gab sie es erst acht Tage später offiziell bekannt, wie der technische Direktor später vor der Untersuchungskommission aussagte.

Das Mutterunternehmen Roche wurde intern am 12. Juli von dem Unfall und der freigesetzten Substanz unterrichtet, ging aber ebenfalls nicht an die Öffentlichkeit.
Hans Fehr – der damalige Pressesprecher von Roche – schilderte die erste Krisensitzung am 15. Juli in seiner Autobiografie Eindrücke so:

„Dr. Hartmann (Vizedirektor der Roche, Red.), ganz Oberst an der Front, stürmte den Ort der Handlung, gefolgt vom Chefchemiker von Givaudan, Dr. Sambeth.

Gut, dass Sie da sind.

Also erstens: Die Sache wird im engsten Kreise der Icmesa gehalten; Givaudan und Roche werden nicht erwähnt.

Zweitens: Dass es bei der Herstellung von Hexachlorophen passiert ist, wird […] nicht erwähnt.

Drittens: Dass Dioxin gebildet wurde, wird nicht erwähnt. Alles klar?“
– HANS FEHR: Die Wochenzeitung

Der Roche-Chef Adolf Jann kommentierte die ersten Opfer so:

„Die Frau, die leider gestorben ist, litt unter Asthma. Der Bub, der mit Leberschäden ins Spital eingeliefert wurde, hatte Gelbsucht. Beide Fälle haben mit der Icmesa nichts zu tun.“
– ADOLF JANN: Die Wochenzeitung

Am 26. Juli verließen zunächst 208 Bewohner das vergiftete Gebiet. Die Zwangsräumung wurde behördlich angeordnet und das gefährdete Gebiet militärisch abgesperrt.

Bewaffnete Soldaten mit zum Teil schweren Schutzanzügen und Gasmasken patrouillierten in den Straßen.

Weitere 500 Personen wurden am 2. August evakuiert, nachdem noch schockierendere Analysenergebnisse eingetroffen waren. Die Firma Roche rief ihren Krisenstab zusammen.

Die Gesundheitsbehörden rieten Schwangeren zu einer Abtreibung.

Zusammen mit der Roche-Konzernleitung versuchte die italienische Regierung einen Dekontaminationsplan für das verseuchte Gebiet zu erarbeiten.

Dies mündete jedoch in zum Teil absurden Vorschlägen.

Roche verpflichtete sich, grundsätzlich für alle Schäden und Dekontaminationsarbeiten aufzukommen.

Im Herbst 1976 begannen die ersten Entgiftungsarbeiten.

Zunächst wurde vergiftetes Laub eingesammelt und Gebäude mit speziellen Seifenlösungen behandelt, sofern deren Entgiftung überhaupt möglich war.

Bis zum Sommer 1977 waren die ersten Dekontaminationsmaßnahmen beendet. Einige Betriebe und Schulen waren wieder nutzbar. Viele Gebäude waren jedoch so stark vergiftet, dass nur deren Abbruch in Frage kam.

Die innere Zone um die Fabrik blieb gesperrt. Das Erdreich in dieser Zone musste teilweise entfernt werden. Bis Jahresende 1977 konnten insgesamt 511 Personen ihre Häuser wieder beziehen.

Im Juli 1978 wurden die letzten Chemikalien – außer denen im Gebäude B – entfernt.

Die Dekontaminationsmaßnahmen in der Kernzone begannen erst im Frühjahr 1980.

Hierzu wurde eine Grube mit 85.000 Kubikmetern Fassungsvermögen bei der Fabrik ausgehoben. Diese Grube wurde mit dicken verschweißten Kunststoffbahnen ausgekleidet. Die Grube sollte vergiftete Erde, Bauschutt und Schrott sicher einschließen.

In der Fabrik selbst begannen die Demontage- und Abbrucharbeiten. Das Gebäude B mit dem Havariekessel wurde aus Sicherheitsgründen nicht angetastet.

Die italienischen Behörden beauftragten Anfang 1982 die Firma Mannesmann Italiana mit der Entsorgung des Reaktorinhaltes.

Eine weitere Grube mit 160.000 Kubikmetern Fassungsvermögen wurde im Mai 1982 ausgehoben, um den Schutt von abgerissenen Gebäuden und vergiftetes Erdreich zu entsorgen.

Im Sommer 1982 – sechs Jahre nach dem Unglück – wurde der Reparto B geöffnet.

Darin verbliebene Rohrleitungen, Behälter und Aggregate wurden demontiert.

Die Arbeiter – allesamt Freiwillige – trugen dabei schwere Schutzanzüge.
Schließlich wurde der Reaktorkessel 101 entleert und der hochgiftige Inhalt in 41 Stahlfässer gefüllt.

Diese Stahlfässer erhielten zusätzlich eine Umverpackung.

Die Entleerung geschah unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und Videoüberwachung. Die raumanzugähnlichen Monturen der Arbeiter wurden von außen mit Frischluft versorgt und die Arbeitszeiten am Reaktor waren genau reglementiert.

Am 24. September 1983 verurteilte ein Gericht in Monza fünf Mitarbeiter in erster Instanz zu Freiheitsstrafen von zweieinhalb bis zu fünf Jahren. Alle Verurteilten gingen in Berufung. Das Gericht entschied statt auf Vorsatz auf Fahrlässigkeit und setzte die Strafen des Produktionsleiters Jörg Sambeth, der damals für seine Firma schwieg, und der Schweizer und italienischen Angeklagten zur Bewährung aus. Laut Sambeth waren Schmiergelder und verdeckte Beziehungen im Spiel.

Am 10. September 1982 wurden die Fässer mit dem Reaktorinhalt mit Lastkraftwagen abtransportiert.

Die LKW fuhren Richtung Frankreich; ab St. Quentin verlor sich ihre Spur.

Als die französische Presse vom „Verlust“ der Fässer erfuhr, kam es zum öffentlichen Skandal.

Es begann eine verzweifelte Suche nach den Giftfässern. Die Fässer wurden an allen möglichen und unmöglichen Orten vermutet. Nach einer Anfrage des französischen Umweltministeriums an das deutsche Innenministerium wurde auch in allen Deponien Westdeutschlands nach den Fässern gefahndet. Einige vermuteten die Fässer sogar in der DDR.

Die deutsche Bundesregierung beauftragte nach erfolgloser Suche Werner Mauss mit der Recherche nach dem Verbleib der Fässer.

Am 19. Mai 1983 wurden die Fässer schließlich in einem ehemaligen Schlachthof im nordfranzösischen Dorf Anguilcourt-le-Sart gefunden und in die französische Kaserne Sissone gebracht.

Die Schweizer Regierung erteilte Roche die Erlaubnis, die Fässer in Basel zwischenzulagern, wo sie am 4. Juni eintrafen.

In diesem Giftmüll-Verbrennungsofen in Basel sollen im Jahr 1985 die Überreste der Seveso-Katastrophe verbrannt worden sein.

Doch im Oktober 1993 behauptete der deutsche Fernsehjournalist und Physiker Ekkehard Sieker, dass der Reaktorinhalt nicht verbrannt, sondern in der Deponie Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern endgelagert worden sei.

Brisant war dabei, dass die in Basel angelangten Fässer wesentlich schwerer gewesen sein sollen als die ursprünglich in Seveso abgefüllten.

Es wurde eine Untersuchungskommission gegründet, die aber nach erfolgloser Suche aufgelöst wurde.

Die von Roche vorgelegten Dokumente waren laut Sieker unvollständig.

Sieker behauptet in seiner Reportage Das Geheimnis von Seveso, in der Anlage Icmesa wäre Dioxin nicht ein unerwünschtes Nebenprodukt gewesen, sondern an Wochenenden heimlich für militärische Zwecke produziert worden.

Laut des Seveso-Dokumentarfilms Gambit von 2005 konnte der technische Direktor Jörg Sambeth dies nicht bestätigen, hielt es aber für technisch möglich.

Sambeth vermutete, dass im militärischen Bedarfsfall das im Vietnamkrieg eingesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange, für das Trichlorphenol ein Grundstoff ist, produziert werden sollte.

Icmesa war zum Zeitpunkt des Unglücks weltweit die einzige Fabrik, die noch Trichlorphenol herstellte.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Kohlmeyer aus Hannover-Groß-Buchholz

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