Chico

Chico, der Garagenhund

Es war dunkel und der Geruch nach den abgekühlten Abgasen des Autos seines Herrn, ließ Chico verächtlich niesen. Oben im Haus hörte er die ersten Geräusche seiner Herren. Die Kinder tapsten mit nackten Füßen über die Fliesen und die Mutter schimpfte deshalb. Es war ein Morgen wie jeder Morgen war, und doch blieb es dunkel. Chico streckte sich über seiner Decke und erhob sich. Seine Eisenkette klirrte und in ihm regte sich das Bedürfnis, sich zu entleeren. Mit gespitzten Ohren starrte er in die Dunkelheit, dort wo er die Tür wusste, durch die seine Herren bald kommen mussten. Nichts geschah, doch die Geräusche oben im Haus blieben. Er lauschte und wartete, während sein Bedürfnis immer dringender wurde. Sehnsuchtsvoll wedelte er mit seiner seidigen Rute und nieste noch einmal, weil die Benzinausdünstungen ihm wieder und wieder in die Nase stachen.
Er wusste genau: wenn er in die Garage machte, würde er bestraft werden, dennoch war alles wie immer. Wenn seine Herren oben im Haus wach wurden, erwachte in ihm sein natürliches Bedürfnis.
Unruhig trippelte er auf der Stelle, zog an der Kette und winselte. Er war ein großer starker katalanischer Hütehundmischling mit beigem langen Fell und wunderschön anzusehen. Deshalb war er zu seinen Menschen gekommen. Sie hatten ihn als Welpen einem benachbarten Schäfer abgekauft, da er so bildhübsch und niedlich gewesen war, in die oberen Etagen des Reihenhauses durfte er jedoch nicht, da er ja Schmutz ins Haus bringen könnte. So war sein Reich die Garage geworden, er kannte kein anderes Zuhause und an die Freiheit seiner Kindertage, erinnerte er sich nur noch in seinen Träumen.
Die Kinder kreischten, er machte den Kopf schief. Er kannte jedes Geräusch oben im Haus. Dann endlich hörte er vertraute und geliebte Schritte an der Treppe zum Keller der zugleich in die Garage überging. Sein Herr kam und die Freude die ihn erfüllte, ließ ihn mit allen Vieren in die Luft springen und laut aufwinseln.
Neonlicht flutete in seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen, was ihn blendete. Trotzdem drängte er an der klirrenden Kette, soweit sie es zuließ, seinem Herrn entgegen. Der gähnte verschlafen, schlug einen Bogen um den Hund, so dass dieser ihn nicht erreichen und anspringen konnte und öffnete das Garagentor. Chico winselte vor Freude.
Sein Herr trat nun zu ihm, klopfte ihn kurz, trat aber sogleich mit dem Fuß nach ihm, als der Hund an ihm hochspringen wollte, gähnte wieder und zog den Hund an der Kette nach Draußen in den gepflasterten Hof. Chico war begeistert. Voller Freude sah er zu, wie sein Herr das Auto in den Hof fuhr und wartete brav. Er wurde sogar im Anschluss noch ein weiteres Mal gestreichelt. Auch als sich das Garagentor schloss, sein Herr ihn verließ und er sich allein an seiner Kette im Hof befand, tat das seiner Freude keinen Abbruch. Er konnte sich endlich entleeren, nahm die vertrauten Geräusche des Hofes wahr und übernahm auch sofort die selbsterteilte Aufgabe des Wächters. Eine andere Aufgabe hatte er ja nicht. Wütend stellte er schon bald fest, das die zwei verhassten schwarzen Nachbarhunde von ihrer Herrin spazieren geführt wurden. Selbstbewusst hoben die zwei schwarzen Mischlingsrüden ihre Beine und markierten sein Revier. Jeden Tag wurden sie an ihm vorbei spazieren geführt und er konnte nichts anders tun, als an seiner Kette hasserfüllt zu bellen. Wie jeden Tag öffnete sich die Balkontür die über der Garage lag und ein Eimer mit Wasser wurde von oben auf ihn gegossen. Wie jeden Tag verstummte er mit seiner Bellerei, schüttelte verachtungsvoll seinen nassen hübschen Kopf und nieste. Dies wiederholte sich ein paar Mal am Morgen. Jedes Mal wenn er bellte, denn die Reihenhausnachbarn hatten sich schon des öfteren beschwert, schüttete seine Herrin Wasser auf ihn herunter. Deshalb hatte er Wasser hassen gelernt.
Seine Kette war kurz und die Zeit seines Freigangs ebenfalls. Schon nach einiger Zeit kam seine Herrin herunter und zog ihn an der Kette in die Garage zurück. Sie stellte ihm einen gefüllten Napf mit Trockenfutter hin und ließ ihn damit allein. Normalerweise schaltete sie ihm ein kleines Lämpchen an, damit er nicht in absoluter Dunkelheit den Tag verbringen musste, heute vergaß sie es.
So saß er wieder in der Dunkelheit seiner Garage und lauschte den vertrauten Geräuschen. Wenn er etwas Verdächtiges hörte, bellte er vorsichtshalber und sein Bellen schallte dumpf wieder. In
der anderen Zeit wartete er und war allein. Vor Langeweile kaute er an einer Stelle im Fell, die mittlerweile kahl geworden war.
Gegen Abend, als sein Herr von der Arbeit kam, durfte er wieder an seiner Kette vor die Garagentür, doch heute war ein wunderbarer Tag, denn sein Herr blieb zusammen mit den Kindern unten im Hof, wo er vor der Garage das Auto wusch. Nur das Waschwasser war ihm unbehaglich, doch das nahm er gerne für die Nähe seiner Menschen inkauf. Chico konnte beobachten was sie taten, konnte mit den Kindern spielen und wurde sogar länger von seinem Herrn gestreichelt. Er war außer sich vor Glück, wedelte ununterbrochen und sein Herr lobte ihn, weil er so hübsch anzusehen war.
Dann geschah etwas Wunderbares. Sein Herr griff zu seiner Leine, löste ihn von der Kette und leinte ihn an. Mit allen Vieren sprang der Hund vor Begeisterung in die Luft, obwohl sein Herr deshalb schimpfte. Er konnte nicht anders, denn die Freude ob der vielen Gerüche, der Bewegung und der vermeintlichen Freiheit, überwältigte ihn. Heute war ein wunderbarer Tag und als er nach zwanzig Minuten wieder allein in der Dunkelheit neben dem Auto seines Herrn auf seiner Decke lag und die ihn diesmal frischen Autoabgase und die Reinigungsmittel in die Nase stachen, fühlte er noch immer das tiefe Glück der Freude, die sein Herr ihm heute gemacht hatte.
Er lag in der Dunkelheit der Garage und seufzte, dann kuschelte er sich in seine Decke und begann wie jeden Abend auf den Morgen zu warten, an dem sein Herr ihn an der Kette vor die Garage lassen würde.

Hundeschicksale/Hundegeschichten

Bürgerreporter:in:

Sweety Kity aus Hannover-Bothfeld

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