Südtirol erleben - Im Schnalstal

Am Vernagt-Stausee
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Das Schnalstal, ital. Val Senales, hat doch so einige Besonderheiten zwischen ursprünglicher Bergnatur, stiller Lebensweise und herausragender historischer wie zeitgenössischer und örtlicher Prominenz zu bieten, wie wir mit unserem Besuch erfahren werden.

Von Meran, über Algund, an Partchins vorbei kommen wir durch Naturns aus dem Etschtal ins 20 km lange Schnalstal. Dort ist Karthaus unser eigentlicher Zielort, an dem wir den Spuren der Karthäusermönche in der ehemaligen Klosteranlage nachgehen wollen.

Mit der Einfahrt ins Schnalstal fällt auf linker Seite eine mittelalterliche Burg auf. Auf schmaler Straße fährt unser Linienbus durch das enge Tal mit hohen dicht bewaldeten grünen Berghängen. Hoch oben an einer steilen Felsenkante gelegen erblicken wir die Kirche von dem kleinen Ort Katharinenberg, ital. Monte Santa Catarina. Der Bus bringt uns über eine Serpentinenstrecke in die Ortsmitte, wo wir Zwischenstation machen. Einige Wohnhäuser finden wir vor, wenige Pensionen, die Kirche auf einem Hügel direkt am steilen Felsenabhang gelegen. In der Pfarrkirche St. Katharina halten wir inne und nehmen unsere Eindrücke mit auf den Weg. Von der Höhe her läuft eine Wandergruppe zügigen Schrittes in den Ort. Vermutlich kommen sie vom Meraner Höhenweg, einem der schönsten Wanderwege Südtirols, der oberhalb von Katharinenberg an der Westseite der Texelgruppe verläuft. An einem alten Hofhaus sind Handwerker mit Restaurierungsarbeiten beschäftigt. Auf einer Wanderkarte in der Nähe der Busstation sehen wir, dass es weiter ins Schnalstal hinein einen See gibt, an dem wir an diesem schönen Julitag die frühe Mittagszeit verbringen wollen. Wir könnten auch noch weiter am See entlang mit dem Bus zur Endstation nach Kurzras fahren. Dort gibt es die höchste Seilbahn Südtirols, die Schnalstaler Gletscherbahn, die von 2.011 auf 3.211 m führt. Wir steigen an der Station Vernagt aus.

Smaragdgrün leuchtend, spiegelglatt und schweigsam liegt der Vernagt-Stausee auf 1.689 m Höhe vor uns, umgeben vom Hochgebirgspanorama. Rechtsseitig des Ufers steigt der Schnalskamm der Ötztaler Alpen an. Am Schnalskamm verläuft die Grenze zwischen dem italienischen Südtirol und dem österreichischen Nordtirol.
Der Vernagt-Stausee schweigt über seine Geschichte, die mit dem Bau der Staumauer in den 1950er Jahren begann. Acht uralte Gehöfte des Dorfes Vernagt versanken mit der Flutung durch den Schnalsbach im entstehenden See. Bei niedrigem Wasserstand soll die Spitze des Glockenturms aus dem See ragen. Was für menschliche Schicksale wohl mit im See versunken sind? Wo mögen die Bewohner neue Wohnsitze gefunden haben? Oberhalb des Sees liegt der seit 1981 unter Denkmalschutz stehende Bergbauernhof "Tisenhof" auf 1.814 m Höhe. Urkundlich wurde er erstmals 1306 genannt. Er befindet sich am Ausgang des Tisentals. Bergwanderern bietet er die letzte Einkehrmöglichkeit vor der Similaun-Hütte auf 3.019 m.

Am Uferweg des Vernagtsees verweilend befinden wir uns gar nicht so weit entfernt von der Fundstelle des Ötzis, wie der gefundene Mann im Eis liebevoll im Volksmund genannt wird. 1.611 Höhenmeter trennen uns bis dahin. Oberhalb der Similaun-Hütte und unterhalb des Tisenjochs auf 3.200 m Höhe wurde seine Mumie entdeckt. Der Fund am 19.09.1991 in der Nähe des Similaungletschers (3.697 m) durch das deutsche Ehepaar Erika und Helmut Simon war eine archäologische Sensation. Im größten Dorf des Schnalstals, "Unser Frau", gibt es das archäologische Freilichtmuseum "Archeo Parc", das die Lebensumstände des Mannes vom Tisenjoch darstellt. Die etwa 5.300 Jahre alte Gletschermumie befindet sich im Archäologischen Museum in Bozen und ist dort zu besichtigen. Sie gilt als die älteste naturkonservierte Mumie der Welt.

Über lange Zeit war das Schnalstal ein bedeutender Durchgang für die Nord-Süd-Route über die Alpen bzw. vom Etschtal ins Ötztal. Es war auch für Jakobspilger ein bedeutender Weg. Die Wallfahrtskirche von Schnals "Unser Frau", ital. Madonna di Senales, gehört zu den ältesten Marienwallfahrtsorten Tirols aus der Zeit von Anfang 1300.

Nach unserem beschaulichen Aufenthalt am Vernagtsee begeben wir uns auf die Spuren der Karthäuser in dem kleinen Ort Karthaus, ital. Certosa di Senales. Hier gründeten im Jahre 1326 Mönche des Karthäuserordens das Kloster Allerengelberg. Bis 1782 gehörte das Kloster dem Orden. Mit der Säkularisierung mussten die Mönche das Kloster verlassen. Die Anlage wurde an Bauern, Handwerker und Kaufleute aus dem Schnalstal verkauft. In der Folge entstand eine Verbindung der Gemäuer von ehemaligem Kloster und Dorf. 1924 zerstörte ein Brand den Komplex. Heute sind nur noch Überreste von der einstigen Klosteranlage zu sehen. Im Eingangsbereich führt ein Kurzfilm in das Leben der Mönche ein. Wir begehen den erlebenswerten langen, schmalen Kreuzgang, der mit einer Wölbung des Weges dem Untergrund angepasst ist. Durch Fensteröffnungen blicken wir auf die Wiesenfläche des Innenhofes. Hinter den Türen im Kreuzgang, die in die Zellen der Mönche führten, befinden sich heute Wohnräume. Im Wandbereich neben den Türen sind noch kleine Klappen zu sehen, durch die den Mönchen Speisen gereicht wurden.Wir kommen zu alten Festungsmauern und in bewirtschaftete Gartenbereiche, in denen Blumen, Kräuter und Gemüse gedeihen. Schweigen gehörte zu den Ordensregeln. Wir lassen uns vom Geist der Stille berühren.
Im Kloster-Dorf ist es am frühen Nachmittag außergewöhnlich ruhig. Uns begegnen kaum Menschen. Die Klostergaststätte "Grüner" an der ehemaligen Klosterkirche hat heute geschlossen. Im Restaurant "Goldene Rose" bekommen wir nach 14.00 Uhr kein Mittagessen mehr, aber Kaffee und Kuchen. Wir legen auf den Terrassenplätzen an der Dorfstraße bei Marillenkuchen eine Besinnungspause ein. Danach besuchen wir noch die Pfarrkirche. Hier begegnen wir wieder den Festfahnen der Feiertage. Am Kirchturm wehen Fahnen im leichten Sommerwind.
Von Karthaus aus führt eine Straße ins Pfossental, das einen Einschnitt zwischen den Ötztaler Alpen und der Texelgruppe bildet.

Auf der Rückfahrt kommen wir noch einmal durch Katharinenberg. Vor das innere Auge und in den Sinn kommen mir wieder die wunderschönen Heiligenfiguren auf Tragegestellen, die wir in der in der Kirche gesehen haben. Zu Fronleichnam wurden sie wohl in einer Prozession durch das Dorf getragen und an dem darauf folgenden Herz-Jesu-Sonntag mit Verehrung gewürdigt. Sie sind ein kunstvoller Ausdruck Südtiroler Frömmigkeit und Glaubenskultur.
Auf dem Platz, an dem heute die Kirche steht, befand sich einst die Schnalsburg. In der Burg hat es damals schon eine Katharinenkapelle gegeben. Sie war zu der Zeit das einzige Gotteshaus im Schnalstal. Karthäusermönche ließen die Schnalsburg im Jahr 1350 abtragen. Der ehemalige Burgturm blieb stehen und dient der heutigen Pfarrkirche St. Katharina als Glockenturm.

Die Burg, die uns schon bei der Hinfahrt am Eingang des Schnalstals aufgefallen war, kommt noch einmal in den Blick. Wie wir im Nachhinein erfahren, ist es das Schloss Juval, auf dem der Extrembergsteiger Reinhold Messner seit 1983 Schlossherr ist. Schloss Juval ist sein Sommerwohnsitz, wo er auch seine Bücher schreibt. Es ist zugleich "Messner Mountain Museum" für seine Tibetika-Sammlung und weitere Sammelstücke. Es ist ein Standort von insgesamt sechs seiner Museen.

Das Schnalstal - ein urwüchsiges, stilles und doch prominent gewordenes Tal  - am Taleingang durch unseren Zeitgenossen Reinhold Messner und seiner Burg - am Talende durch den über 5300 Jahre alten "Ötzi". Zeitlich und örtlich dazwischen liegend sind die Spuren und Zeugnisse von Bergwanderern, Pilgern und Karthäusermönchen zu finden. Was haben die Menschen mit ihren Bergbesteigungen und Alpenüberquerungen an Mühseligkeiten und Gefahren auf sich genommen!

Herzlich grüßt Kirsten Mauss

Bürgerreporter:in:

Kirsten Mauss aus Hamburg

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