Dr Bär isch wieder in Bärn am Fasnachte

Nur aus Stein: die Fratzen am Berner Münster
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Die Berner Gassenfasnacht ist nach Luzern und Basel die drittgrößte Narrenveranstaltung in der Schweiz

An den Trambahn-Haltestellen weisen Schilder auf Umleitungen hin. Am Abend des Donnerstags nach Aschermittwoch, in diesem Jahr am 10. März, ist in der Berner Altstadt kein Durchkommen mehr. Ganz „Bärn“ scheint auf den Beinen. Die „Bärebefreiig“ steht an. Das Wappentier von Bern, der Bär, üblicherweise im Bärengraben oder im Tierpark eingesperrt, hält seit 11.11. des Vorjahres seinen Winterschlaf im Käfigturm am Bärenplatz und wird um 20 Uhr befreit.
Die Köpfe der Zuschauer sind auf die blau angestrahlte Fassade mit den feuerrot leuchtenden Fenstern gerichtet. Das oberste steht offen. Zwei Seile hängen heraus. Wer das Spektakel noch nicht miterlebt hat, rätselt: Lässt sich der Bär an den Seilen herunter? Eine Musikkapelle wartet mit einem Tusch auf. Pünktlich um acht steigt der Bär, rotes Tuch um den Hals, aus dem Fenster und läuft mit ausgebreiteten Armen auf der Fassade wie auf einer geraden Ebene. Überraschend, kurz, beinahe poetisch. Applaus ist ihm gewiss. „Dr Bär isch wieder in Bärns Gassen am Fasnachte.“ Und ganz Bern mit ihm. Nach dem „Bäretanz“ geht`s zum „Usschwärme“ auf den Bundesplatz vor dem der Dresdner Semperoper nachempfundenen Bundeshaus.

Jetzt wird`s höllisch laut. Hier eine Musikgruppe, dort eine. Sie schlagen den Rhythmus und blasen die Töne. Schlagzeug, meist auf ein Fahrgestell montiert, und Blasinstrumente, allen voran das Saxofon, geben den Ton an. Guggenmusik heißen die schrägen Klänge. Darunter versteht man eine fastnächtliche Bläsergruppe mit Rhythmusinstrumenten, eine Katzenmusik, wie sie in Luzern seit 1947 Brauch, in Basel zumindest dem Namen nach seit 1906 bekannt ist. Oft erkennt man einen international bekannten Song erst nach einer Weile. Bei dieser Musik ist der Rhythmus wichtiger als das saubere Zusammenspiel, und ein Misston ist Ausdruck der Lust. Schlichte Lärmmittel wie Kessel, Pfannen, Glocken, Peitschen, Gewehre, Kuhhörner sind ganz oder beinahe verdrängt worden. Heute gehört der Lärm mit zum fastnächtlichen Ausbrechen aus alltäglichen Grenzen. Herrlich, wenn gegen alle Vorschriften unbekümmert Lärm, rhythmischer Lärm produziert wird. Urtöne werden frei und heben das Selbstbewusstsein jedes Mitlärmenden. Und: „Der Lärm vertreibt die bösen Geister.“ Dies genügt den Lärmenden, sie lärmen aus Freude am Lärm und kümmern sich nicht darum, wer diese bösen Geister sein sollen. Nur in frühchristlicher Zeit glaubte und hoffte man, Lärm banne, ja lähme alle drohenden Mächte, so weit er hörbar sei.
Abgesehen von ihrer Musik - Pop, Worldmusic, Jazz - unterscheiden sich die Kapellen, ob zwei oder 60 Mitglieder, durch ihre fantasievollen Kostüme und ihre farbenfroh geschminkten Gesichter. Gleiche Kostüme sind das Merkmal jeder einzelnen Formation, die einen bevorzugen Grün, die anderen Gelb, die dritten Rot, Blau. Obwohl wenige Masken auftreten, ist venezianischer Einfluss schon an der opulenten Kleidung erkennbar. Die Damen lassen in ihren Hüten weiße Täubchen „nisten“ und Blumen sprießen.
Sind zu Beginn des närrischen Treibens nur wenige Zuschauer verkleidet, ändert sich das bereits am Freitag, wenn Mami und/oder Papi die Kleinsten zur Kinderfasnacht auf dem Münsterplatz und der Münsterplattform begleiten. Hier sind Konfettischlachten angesagt. Die Berner machen mit ihren originellen Maskeraden der Schweizer Hauptstadt alle Ehre. Auffällt, dass (Ehe)Partner meist gleiche Kostüme tragen und so ihren Pärchenstatus anzeigen. Da tummeln sich Kleeblatt-Paare, Clownsfamilien, Prinz und Prinzessin, Kater und Kätzchen.
Um 23 Uhr beginnt das Münsterplatzspiel; darauf leitet ein Fackelzug zum närrischen Treiben in den Gassen über.
Am Samstag beginnt um 0.12 Uhr die „Stärnzyt“ auf dem Rathausplatz, und von zehn Uhr bis mittags locken Theaterauftritte in der Kram- und der Gerechtigkeitsgasse. Da darf natürlich das seit rund 200 Jahren immer wieder aufgeführte Tellspiel mit Gesslers Tod nicht fehlen. Um 14.30 Uhr startet der große Fastnachtsumzug in der unteren
Gerechtigkeitsgasse und endet auf dem Bundesplatz mit einem Monsterkonzert der „Guggenmusigen“. Doch halt, nicht genug: Um 22.22 Uhr treffen sich die Hexen zum schaurig wilden Tanz. Abends ist dann richtig „der Bär los“. Und das mindestens bis zwei Uhr nachts! Eine grandiose Leistung inmitten der Schweiz. Buden entlang Markt-, Kram- und Gerechtigkeitsgasse, Festzelte auf Waisenhaus- und Münsterplatz. Alle halbe Stunde wechseln in den Festzelten die Guggen, und die Stimmung unter den Zuhörern wächst. Jeder tanzt mit jedem. So kommt man einander näher. Eine alte Bärner Guggenmusik ist mit von der Partie: „Le Furz de Bern“. Und dazwischen die Trommler „Scream“ mit der dem gleichnamigen Film nachgearbeiteten Maske, schön gruselig, aber gut.
Beim großen Umzug um 14.30 Uhr am Samstag bestimmt der 1982 gegründete Verein Bärner Fasnacht mit seinem Präsidenten, dass bis zu 70 Kapellen mitmischen dürfen, darunter auch auswärtige. Die laufen zu Fuß, Umzugswagen sind verpönt, und wenn, dann müssen sie mit Menschenkraft gezogen werden. 2008 hatten die „Wellness-Hexen“ den einzigen fahrbaren Untersatz. In einem auf glühender Kohle erhitzten Bottich aalten sich zwei männliche „Hexen“ in Badehose und pusteten Schaum in die Masse der Zuschauer. Als ob Seifenblasen durch die Luft flögen.
Seit dem 15. Jahrhundert gibt es Auseinandersetzungen zwischen der um das Seelenheil und die Hierarchie besorgten Obrigkeit und den sinnesfreudigen Untertanen. Die ständigen Verbote lassen in der Tat das närrische Treiben abklingen. Doch nach dem Muster von Basel, Zürich, Freiburg und Solothurn werden 1838 erfolgreich Maskenbälle organisiert. Schließlich treffen sich 1982 einige Wagemutige zur ersten Gassenfastnacht in Bern, kopfschüttelnd begutachtet von alteingesessenen Bürgern. Nach und nach erstarkt die „Bärner Fasnacht“ und wird 1994 nach Luzern und Basel zur drittgrößten in der Schweiz.
Auf Bernisch heißt der „Bäretanz“ auch „Mutzetanz“. Weshalb Bern sich während der Fastnacht den Namen „Mutzopolis“ oder „Mutzopotamien“ zugelegt hat.
Es lebe die Berner Fastnacht – Vivat Mutzopotamien!

Bürgerreporter:in:

Elke Backert aus Hamburg

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