Buchtipp: "Metatropolis" eine Anthologie von John Scalzi, Karl Schroeder, Tobias Buckel, Elizabeth Bear, Jay Lake

-eine Aussicht auf unsere Gesellschaft in 100 bis 200 Jahren

Die Autoren schreiben unglaublich spannend. Sie sind Science Fiction Autoren und Meister ihres Fachs.
Aufgefordert eine Anthologie zu schreiben, treffen sich die Autoren und entwerfen zunächst eine zukünftige Welt, in der die Geschichten platziert werden sollen. Das Ergebnis ist beeindruckend. Sie entwickeln Zukunftstädte, deren „Bewohner eines künftigen Detroit oder Portland mehr mit Menschen in Hongkong oder Johannesburg gemeinsam haben als mit ihren räumlichen Nachbarn.“, Seite 9.

Durch Klimaveränderungen und Wirtschaftskatastrophen haben sich die Macht- und Wohlstandsverhältnisse drastisch verändert.

„In den Wäldern der Nacht“ von Jay Lake:
Die Anthologie beginnt mit einer Stadt verborgen unter dem Waldboden – unter „„Cascadia“, dem großstädtischen Korridor, der sich vom amerikanischen Portland bis zum kanadischen Vancouver hinaufzieht“, Seite 13. Es ist eine autarke Ökosiedlung aus der Luft nicht zu entdecken durch den dicken Waldboden auch vor Wärmekameras geschützt.
Seite 57:
„Wie ihre Verwandten im urbanen Detroit haben die Bürger von Cascadiopolis sich zu Viren gemacht, zu einer vektorierten Transmission, die von den Händen und Köpfen aller Personen ausgeht, die über ihre lehmigen Straßen gezogen sind. Ihre Stadt – eure Stadt – bewegt sich Meter um Meter in jede Richtung, um überall dort neu zu erblühen, wo der brache Boden reichhaltig genug und das Land weit genug ist. Ein Virus, eine invasive Spezies, eine Welle der Veränderung, ...“

„Raumschiff Detroit“ von Tobias S. Buckell:
Raumschiff Detroit fängt an wie eine Geschichte in der Gegenwart. Reg, Reginald Stratton arbeitet als Rausschmeißer einer Disco. Er lebt in den wenig begehrten Außenbezirken Detroits.
Irgendetwas ist auf den Straßen los. Reginald kann sich noch keinen Reim darauf machen. Er braucht dringend Geld und gerät an einen anonymen Inst-Job.
Seite 121:
„Ich weiß nicht, warum es Insten heißt. Wenn man ein komplizierte Aufgabe hat, stellt man sie online und verteilt sie auf mehrere Leute, die man für das Ergebnis ihrer Arbeit bezahlt.“
Andere arbeiten ferngesteuert wie die Ameisen. Sie haben Datenbrillen auf und verrichten so ihre Aufgaben nach genauen Plänen besonders effektiv. Solche Arbeiter sollen ein leer stehendes Hochhaus einnehmen und es in das Raumschiff Detroit verwandeln.

„Das Rot am Himmel ist unser Blut“ von Elizabeth Bear:
Cadie rast mit ihrem Fahrrad zur Krippe ihrer Stievtochter, kurz einen Besuch abstatten im Hochsicherheitskindergarten. Cadie konnte vor ihrem russischen Ehemann fliehen, einem Mafiosi, gab sich einen anderen Namen, ist untergetaucht. Nun tritt ein junger Mann, Homer, auf sie zu und spricht sie mit ihrem richtigen Namen an. Geschockt möchte sie seiner Einladung nicht folgen ihn zu begleiten, tut es aber dennoch. Homer bringt sie zu einer neuen Gemeinschaft.
Cadie soll helfen andere Mitglieder der Gemeinschaft aus Russland herauszuschleusen, doch zunächst soll sie die Gruppe kennenlernen und gerät dabei in ein Gefecht.
Das ist eine spannend geschriebene Geschichte, eingebettet in Metatropolis. Sie hätte mit leichten Abwandlungen auch in jeder anderen Welt spielen können, da es hier mehr um das zwischenmenschliche Zusammenspiel geht als um Science Fiction.

„Utere nihil non extra quiritationem suis“ von John Scalzi:
„Nutze alles außer dem Quieken“, auf Seite 281 klärt Scalzi den Lateinunkundigen auf, klingt natürlich nicht so schön. Scalzi ist Autor und Herausgeber. Ich glaube, er ist ein wenig albern. Seine Geschichte gefällt mir gut. Er schreibt von einem jungen Mann, der in einer der Städte von Metatropolis, in New St. Louis, aufgewachsen ist. Benjamin ist ein ganz normaler Jugendlicher, allerdings ohne jeglichen Ehrgeiz. Seine Freunde sind längst eingegliedert ins System und arbeiten. Benjamin liegt auf der faulen Haut. Um allerdings nicht vor die Tore der Stadt geschickt zu werden muss Benjamin nun doch den Eignungstest machen. Die Jobs, die sich bei dem ultraschlechten Ergebnis ermöglichen sind wenige und sehr unangenehme. Benjamin entscheidet sich für den Biosystem-Interface-Manager. Das hört sich zumindest gut an, ist es aber nicht. Benjamin landet in einem Hochhaus, das auf jeder Etage mehrere Tausend Schweine beherbergt. Diese neuartigen Schweine verlangen natürlich nach einem hochtrabenderen Betreuer als einem Schweinehirten.
Seite 281:
„ „Die Schweine, die du hier siehst, haben grundlegenden Anteil am footprintneutralen ökologischen Ethos von New St. Louis. Wenn du die Reste deiner Mahlzeit in den entsprechenden Recycling-Schacht wirfst, wird das Ganze sterilisiert und zu Futter für die Schweine hier verarbeitet. Im Gegenzug bekommen wir Dünger, den wir zu den landwirtschaftlichen Türmen und den Testgärten oben auf dem Turm schicken. Wir erzeugen Methan, das wir als Brennstoff nutzen. Wir gewinnen Harnstoff aus dem Urin der Schweine, aus dem wir Kunststoffe herstellen. Wir recyclen die Kunststoffe, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Und so läuft alles im Kreis herum.“
Natürlich muss Benjamin Abenteuer bestehen, nämlich New St. Louis vor den hungernden Angreifern bewahren, die vor der Stadt leben. Die Geschichte ist einfach gestrickt, aber die Idee mit den Schweinen als Biofabrik ist interessant und ermöglicht witzige Pointen.

„Ins ferne Cilena“ von Karl Schroeder
Dieser Text ist nun wesentlich mehr Science Fiction, als die übrigen der Anthologie vor allem weist er auf eine ganz andere Gesellschaftsform hin. Das Jugendbuch Epic von Conor Kostick beschreibt eine ähnliche Gesellschaft. Die reale Welt ist natürlich vorhanden, aber eigentlich spielt sich alles im virtuellen Raum ab. Bei Karl Schroeder allerdings setzt man sich nicht nur einfach eine Datenbrille auf und verschwindet in einem Computer“spiel“, sondern die Realität wird mit eingebaut. Das bedeutet, das Personen und Gebäude ohne Brille real vorhanden sind, mit Brille in der virtuellen Welt aber auch. Man kann also durch die virtuelle Stadt spazieren gehen, in dem man durch die reale Welt geht. Außerdem ist es in Schroeders Welt möglich Menschen fernzusteuern in dem ihre Gehirne an andere Menschen gekoppelt werden.
Seite 356:
„Rivet Couture (ein Alternate Reality Game) war auf anmutige Weise mit leichter Hand gezeichnet. Gewöhnlich fügte es dem, was man sah oder hörte, nur hier und dort einen Touch hinzu, gerade so viel, dass eine ansonsten normale Umgebung einen Hauch von Fremdartigkeit erhielt. Im Aufzug filterte Gennadis Brille das grelle Neonlicht, bis es wie Kerzenschein aussah Auf dem Empfangstresen schimmerte eine kunstvoll verzierte Registrierkasse über dem Terminal, an dem der Angestellte arbeitete. Von der Straße hörte Gennadi leises Wiehern und sah Pferde mit schwarzen Mähnen irgendwo im schnell dahinfließenden Strom der Elektroautos.“

Diese Geschichten entwerfen eine Zukunft, die man sich gut vorstellen kann. Die Tatsache, dass die Texte in einer Welt spielen ist interessant. Es ermöglicht den Blick von fünf verschiedenen Seiten.

Lesealter ab 15

Heyne, 8,99 €
ISBN: 978-3453526846

Bürgerreporter:in:

Vera Henze aus Mönchengladbach

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